Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.Friedrich von Gagern, ein Prophet des Weltkrieges Einwohnern alles in allem 569 000 Mann bei Anspannung aller Kräfte auf¬ So überträgt er denn dem Bundesgenossen England eine mehr mittelbare Als selbstverständlich wird von Gagern angenommen, daß in Belgien, Gagerns Beurteilung der Türkei ist widerspruchsvoll: während er ihre Mitwirkung
Mr als aktiven Machtfaktor einsetzt, hält er an einer anderen Stelle ihre Hilfsleistung für ausgeschlossen: "Die Türkei geht ihrer Auflösung so rasch entgegen, daß in diesem Kriege das urklsche Heer kaum in Rechnung zu bringen sein wird", und in den Friedensbedingungen ird der Hohen Pforte im Falle des Sieges der ihr Verbündeten Zentralmächte die Ab- °tung von Moldau und Walachei an Österreich ohne Entschädigung zugemutet. Friedrich von Gagern, ein Prophet des Weltkrieges Einwohnern alles in allem 569 000 Mann bei Anspannung aller Kräfte auf¬ So überträgt er denn dem Bundesgenossen England eine mehr mittelbare Als selbstverständlich wird von Gagern angenommen, daß in Belgien, Gagerns Beurteilung der Türkei ist widerspruchsvoll: während er ihre Mitwirkung
Mr als aktiven Machtfaktor einsetzt, hält er an einer anderen Stelle ihre Hilfsleistung für ausgeschlossen: „Die Türkei geht ihrer Auflösung so rasch entgegen, daß in diesem Kriege das urklsche Heer kaum in Rechnung zu bringen sein wird", und in den Friedensbedingungen ird der Hohen Pforte im Falle des Sieges der ihr Verbündeten Zentralmächte die Ab- °tung von Moldau und Walachei an Österreich ohne Entschädigung zugemutet. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0403" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324818"/> <fw type="header" place="top"> Friedrich von Gagern, ein Prophet des Weltkrieges</fw><lb/> <p xml:id="ID_1449" prev="#ID_1448"> Einwohnern alles in allem 569 000 Mann bei Anspannung aller Kräfte auf¬<lb/> bringen kann, wird England mit seiner fast doppelt so starken Einwohnerzahl<lb/> ein Kontignent von 30 000 Mann auferlegt; „wir zählen aber nicht auf ihr<lb/> Erscheinen", fügt der Verfasser in richtiger Erkenntnis der tatsächlichen Ver¬<lb/> hältnisse hinzu.</p><lb/> <p xml:id="ID_1450"> So überträgt er denn dem Bundesgenossen England eine mehr mittelbare<lb/> Mitwirkung; wohl wird einmal ganz kurz die Möglichkeit der Entsendung eines<lb/> Landungskorps nach Holland gestreift, um dadurch die Franzosen zu nötigen,<lb/> in Belgien bedeutende Kräfte zu verwenden; aber das Schwergewicht der eng-<lb/> lischen Hilfe liegt doch in der Tätigkeit der Flotte: gegen Frankreich durch Be¬<lb/> drohung der französischen Küsten und Häfen, um dadurch stärkere Besatzungs¬<lb/> truppen festzulegen und sie von der eigentlichen Front fernzuhalten; durch<lb/> Störung der Verbindung mit Algier, um diese Kolonie zu bedrohen, auf jeden<lb/> Fall aber um das Eingreifen der dort stationierten bewaffneten Macht von<lb/> 60 000 Mann am Eingreifen in den Kontinentalkrieg zu hindern. Rußland<lb/> hingegen müsse im Baltischen und im Schwarzen Meere belästigt werden: durch<lb/> Waffenlieferungen an die aufständischen Polen von der See her; durch Unter¬<lb/> stützung der Türken*) — welche mithin als Bundesgenossen der Zentralmächte<lb/> gedacht sind — bei Landungsversuchen an den Donaumündungen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1451" next="#ID_1452"> Als selbstverständlich wird von Gagern angenommen, daß in Belgien,<lb/> trotz seiner Neutralitätserklärung durch die Mächte, „Frankreich und der<lb/> revolutionäre Ursprung das Übergewicht behaupten" werden; aber eine besondere<lb/> Bedeutung wird dieser natürlich durch französische Truppen verstärkten belgischen<lb/> Armee mit dem Hauptquartier in Lüttich nicht beigelegt: in ihrem Vordringen<lb/> gehemmt durch die Flankenstellung der Armee Hollands, das — ganz abgesehen<lb/> von seiner Stellung zum Deutschen Bunde — wegen Gefährdung seiner wich-<lb/> tigen Kolonien in Ostasien keine englandfeindliche Haltung einnehmen darf,<lb/> genügt ein preußisches Korps von 30 000 Mann bei Köln, um dieser Gefahr<lb/> die Spitze zu bieten; und selbst eine allgemeine deutsche Niederlage ist auf<lb/> diesem Kriegsschauplatz weniger belangreich, da verschiedene Rückzugslinien offen<lb/> stehen, die Gefahr einer Umzingelung mithin nicht droht. Noch war das Gebiet<lb/> am Niederrhein mit seinen überreichen Naturschätzen nicht das deutsche Land<lb/> „der unbegrenzten Möglichkeiten" geworden, noch wurde durch seinen auch nur<lb/> vorübergehenden Verlust nicht unser gesamtes nationales Wirtschaftsleben in<lb/> seinen tiefsten Wurzeln getroffen. Es konnte also die Frage der belgischen</p><lb/> <note xml:id="FID_100" place="foot"> Gagerns Beurteilung der Türkei ist widerspruchsvoll: während er ihre Mitwirkung<lb/> Mr als aktiven Machtfaktor einsetzt, hält er an einer anderen Stelle ihre Hilfsleistung für<lb/> ausgeschlossen: „Die Türkei geht ihrer Auflösung so rasch entgegen, daß in diesem Kriege das<lb/> urklsche Heer kaum in Rechnung zu bringen sein wird", und in den Friedensbedingungen<lb/> ird der Hohen Pforte im Falle des Sieges der ihr Verbündeten Zentralmächte die Ab-<lb/> °tung von Moldau und Walachei an Österreich ohne Entschädigung zugemutet.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0403]
Friedrich von Gagern, ein Prophet des Weltkrieges
Einwohnern alles in allem 569 000 Mann bei Anspannung aller Kräfte auf¬
bringen kann, wird England mit seiner fast doppelt so starken Einwohnerzahl
ein Kontignent von 30 000 Mann auferlegt; „wir zählen aber nicht auf ihr
Erscheinen", fügt der Verfasser in richtiger Erkenntnis der tatsächlichen Ver¬
hältnisse hinzu.
So überträgt er denn dem Bundesgenossen England eine mehr mittelbare
Mitwirkung; wohl wird einmal ganz kurz die Möglichkeit der Entsendung eines
Landungskorps nach Holland gestreift, um dadurch die Franzosen zu nötigen,
in Belgien bedeutende Kräfte zu verwenden; aber das Schwergewicht der eng-
lischen Hilfe liegt doch in der Tätigkeit der Flotte: gegen Frankreich durch Be¬
drohung der französischen Küsten und Häfen, um dadurch stärkere Besatzungs¬
truppen festzulegen und sie von der eigentlichen Front fernzuhalten; durch
Störung der Verbindung mit Algier, um diese Kolonie zu bedrohen, auf jeden
Fall aber um das Eingreifen der dort stationierten bewaffneten Macht von
60 000 Mann am Eingreifen in den Kontinentalkrieg zu hindern. Rußland
hingegen müsse im Baltischen und im Schwarzen Meere belästigt werden: durch
Waffenlieferungen an die aufständischen Polen von der See her; durch Unter¬
stützung der Türken*) — welche mithin als Bundesgenossen der Zentralmächte
gedacht sind — bei Landungsversuchen an den Donaumündungen.
Als selbstverständlich wird von Gagern angenommen, daß in Belgien,
trotz seiner Neutralitätserklärung durch die Mächte, „Frankreich und der
revolutionäre Ursprung das Übergewicht behaupten" werden; aber eine besondere
Bedeutung wird dieser natürlich durch französische Truppen verstärkten belgischen
Armee mit dem Hauptquartier in Lüttich nicht beigelegt: in ihrem Vordringen
gehemmt durch die Flankenstellung der Armee Hollands, das — ganz abgesehen
von seiner Stellung zum Deutschen Bunde — wegen Gefährdung seiner wich-
tigen Kolonien in Ostasien keine englandfeindliche Haltung einnehmen darf,
genügt ein preußisches Korps von 30 000 Mann bei Köln, um dieser Gefahr
die Spitze zu bieten; und selbst eine allgemeine deutsche Niederlage ist auf
diesem Kriegsschauplatz weniger belangreich, da verschiedene Rückzugslinien offen
stehen, die Gefahr einer Umzingelung mithin nicht droht. Noch war das Gebiet
am Niederrhein mit seinen überreichen Naturschätzen nicht das deutsche Land
„der unbegrenzten Möglichkeiten" geworden, noch wurde durch seinen auch nur
vorübergehenden Verlust nicht unser gesamtes nationales Wirtschaftsleben in
seinen tiefsten Wurzeln getroffen. Es konnte also die Frage der belgischen
Gagerns Beurteilung der Türkei ist widerspruchsvoll: während er ihre Mitwirkung
Mr als aktiven Machtfaktor einsetzt, hält er an einer anderen Stelle ihre Hilfsleistung für
ausgeschlossen: „Die Türkei geht ihrer Auflösung so rasch entgegen, daß in diesem Kriege das
urklsche Heer kaum in Rechnung zu bringen sein wird", und in den Friedensbedingungen
ird der Hohen Pforte im Falle des Sieges der ihr Verbündeten Zentralmächte die Ab-
°tung von Moldau und Walachei an Österreich ohne Entschädigung zugemutet.
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