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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich von Gagern, ein Prophet des Weltkrieges

auch auf eine recht lange Dauer, unvermeidlichen Weltkrieges. Viele interessante
und überraschende Parallelen zu den gewaltigen Ereignissen unserer Tage treten
uns entgegen: das Schwergewicht des Kampfes gegen Rußland soll Österreich,
gegen Frankreich Preußen zufallen, allein schon deshalb, um einer nur zu leicht
auftauchenden Rivalität zwischen den beiden aufeinander angewiesenen Bundes¬
genossen vorzubeugen. "Alles, die geographische Lage, die Familienverhältnisse,
die Eigenschaften der Heere, scheinen diese Anordnung zu empfehlen. Doch",
so fährt er fort, "ist es angemessen und politisch, daß bei dem Österreichischen
Heere Preußische Armeekorps, bei dem Preußischen Heere Österreichische Armee-
korps als Bestandteile zugeteilt seien."

In ausführlichster Weise entwirft er sodann den Kriegsverlauf im Osten
und im Westen, so wie er ihn sich im Geiste an seinem Schreibtische ausmalt:
alle Möglichkeiten werden erwogen, der Erfolg und der Mißerfolg. Sieg und
Niederlage, die Maßnahmen, welche die Heerführer für sich, sür die ihnen unter¬
stehenden Heeresteile, oder die Armeeleitung im ganzen in jedem einzelnen Falle
M treffen haben; aber so interessant diese Erörterungen sind, so sehr man sich
gedrängt fühlt, Vergleichs mit den Ereignissen des Jahres 1870 und besonders
mit den wirklichen gewaltigen Erfolgen unserer Feldgrauen in unseren Tagen
anzustellen, ich möchte doch auf diese Fragen nicht eingehen, da es sich
nur um Möglichkeiten handelt, welche in ihrer Verwirklichung bei den heutigen
durchaus geänderten Verhältnissen nicht mehr zutreffen.

Ebenso versage ich mir. die von Gagern berechneten Stärkeoerhältnisse
der einzelnen Bündnissysteme, seine Urteile über ihren inneren Wert, über ihre
Schlagfertigkeit und Kampffähigkeit zu wiederholen oder zu kritisieren; soviel
nur sei erwähnt, daß der Eindruck vorherrscht, daß Gagern auf das öster-
reichische und preußische Heer kein zu großes Vertrauen setzt, da beide seit
achtundzwanzig Jahren keinen Krieg mehr geführt hätten, da seine im Kampf
erprobten Heerführer tot seien, und da der Nachwuchs nicht nur in den höheren
Chargen, sondern auch in den unteren Stellungen zu alt sei. "Alle, welche
nach ihrem jetzigen Range höhere Befehlshaberstellen ansprechen können, sind
sehr bejahrte Leute oder unerfahrene Prinzen."

Nur noch auf eine Bemerkung aus diesem Teil von Gagerns Erörterungen
Möchte ich kurz hinweisen, da ihre Richtigkeit durch die praktischen Erfahrungen
des jetzigen Weltkrieges unzweifelhaft erhärtet wurde, die Frage des Offizier¬
ersatzes im Kriege. Grundsätzlich huldigt er der in Preußen bestehenden Ein-
richtung. daß Unteroffiziere "im Frieden keine Aussicht auf weitere Beförderung
haben". "Daß dem so sei. ist eine Folge unseres geselligen Zustandes; es läßt
fich nicht wohl ändern, aber außer Acht lassen dürfen wir nicht, daß in Frank-
reich und Rußland den Unteroffizieren andere Aussichten geöffnet sind, und es
ist unerläßlich, den Unteroffizieren unserer Heere im Kriege einen großen Anteil
an den Beförderungen zum Offizier zuzugestehen".

So interessant diese Beobachtungen auch sein mögen, so liegt das dauernd


Friedrich von Gagern, ein Prophet des Weltkrieges

auch auf eine recht lange Dauer, unvermeidlichen Weltkrieges. Viele interessante
und überraschende Parallelen zu den gewaltigen Ereignissen unserer Tage treten
uns entgegen: das Schwergewicht des Kampfes gegen Rußland soll Österreich,
gegen Frankreich Preußen zufallen, allein schon deshalb, um einer nur zu leicht
auftauchenden Rivalität zwischen den beiden aufeinander angewiesenen Bundes¬
genossen vorzubeugen. „Alles, die geographische Lage, die Familienverhältnisse,
die Eigenschaften der Heere, scheinen diese Anordnung zu empfehlen. Doch",
so fährt er fort, „ist es angemessen und politisch, daß bei dem Österreichischen
Heere Preußische Armeekorps, bei dem Preußischen Heere Österreichische Armee-
korps als Bestandteile zugeteilt seien."

In ausführlichster Weise entwirft er sodann den Kriegsverlauf im Osten
und im Westen, so wie er ihn sich im Geiste an seinem Schreibtische ausmalt:
alle Möglichkeiten werden erwogen, der Erfolg und der Mißerfolg. Sieg und
Niederlage, die Maßnahmen, welche die Heerführer für sich, sür die ihnen unter¬
stehenden Heeresteile, oder die Armeeleitung im ganzen in jedem einzelnen Falle
M treffen haben; aber so interessant diese Erörterungen sind, so sehr man sich
gedrängt fühlt, Vergleichs mit den Ereignissen des Jahres 1870 und besonders
mit den wirklichen gewaltigen Erfolgen unserer Feldgrauen in unseren Tagen
anzustellen, ich möchte doch auf diese Fragen nicht eingehen, da es sich
nur um Möglichkeiten handelt, welche in ihrer Verwirklichung bei den heutigen
durchaus geänderten Verhältnissen nicht mehr zutreffen.

Ebenso versage ich mir. die von Gagern berechneten Stärkeoerhältnisse
der einzelnen Bündnissysteme, seine Urteile über ihren inneren Wert, über ihre
Schlagfertigkeit und Kampffähigkeit zu wiederholen oder zu kritisieren; soviel
nur sei erwähnt, daß der Eindruck vorherrscht, daß Gagern auf das öster-
reichische und preußische Heer kein zu großes Vertrauen setzt, da beide seit
achtundzwanzig Jahren keinen Krieg mehr geführt hätten, da seine im Kampf
erprobten Heerführer tot seien, und da der Nachwuchs nicht nur in den höheren
Chargen, sondern auch in den unteren Stellungen zu alt sei. „Alle, welche
nach ihrem jetzigen Range höhere Befehlshaberstellen ansprechen können, sind
sehr bejahrte Leute oder unerfahrene Prinzen."

Nur noch auf eine Bemerkung aus diesem Teil von Gagerns Erörterungen
Möchte ich kurz hinweisen, da ihre Richtigkeit durch die praktischen Erfahrungen
des jetzigen Weltkrieges unzweifelhaft erhärtet wurde, die Frage des Offizier¬
ersatzes im Kriege. Grundsätzlich huldigt er der in Preußen bestehenden Ein-
richtung. daß Unteroffiziere „im Frieden keine Aussicht auf weitere Beförderung
haben". „Daß dem so sei. ist eine Folge unseres geselligen Zustandes; es läßt
fich nicht wohl ändern, aber außer Acht lassen dürfen wir nicht, daß in Frank-
reich und Rußland den Unteroffizieren andere Aussichten geöffnet sind, und es
ist unerläßlich, den Unteroffizieren unserer Heere im Kriege einen großen Anteil
an den Beförderungen zum Offizier zuzugestehen".

So interessant diese Beobachtungen auch sein mögen, so liegt das dauernd


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[0401] Friedrich von Gagern, ein Prophet des Weltkrieges auch auf eine recht lange Dauer, unvermeidlichen Weltkrieges. Viele interessante und überraschende Parallelen zu den gewaltigen Ereignissen unserer Tage treten uns entgegen: das Schwergewicht des Kampfes gegen Rußland soll Österreich, gegen Frankreich Preußen zufallen, allein schon deshalb, um einer nur zu leicht auftauchenden Rivalität zwischen den beiden aufeinander angewiesenen Bundes¬ genossen vorzubeugen. „Alles, die geographische Lage, die Familienverhältnisse, die Eigenschaften der Heere, scheinen diese Anordnung zu empfehlen. Doch", so fährt er fort, „ist es angemessen und politisch, daß bei dem Österreichischen Heere Preußische Armeekorps, bei dem Preußischen Heere Österreichische Armee- korps als Bestandteile zugeteilt seien." In ausführlichster Weise entwirft er sodann den Kriegsverlauf im Osten und im Westen, so wie er ihn sich im Geiste an seinem Schreibtische ausmalt: alle Möglichkeiten werden erwogen, der Erfolg und der Mißerfolg. Sieg und Niederlage, die Maßnahmen, welche die Heerführer für sich, sür die ihnen unter¬ stehenden Heeresteile, oder die Armeeleitung im ganzen in jedem einzelnen Falle M treffen haben; aber so interessant diese Erörterungen sind, so sehr man sich gedrängt fühlt, Vergleichs mit den Ereignissen des Jahres 1870 und besonders mit den wirklichen gewaltigen Erfolgen unserer Feldgrauen in unseren Tagen anzustellen, ich möchte doch auf diese Fragen nicht eingehen, da es sich nur um Möglichkeiten handelt, welche in ihrer Verwirklichung bei den heutigen durchaus geänderten Verhältnissen nicht mehr zutreffen. Ebenso versage ich mir. die von Gagern berechneten Stärkeoerhältnisse der einzelnen Bündnissysteme, seine Urteile über ihren inneren Wert, über ihre Schlagfertigkeit und Kampffähigkeit zu wiederholen oder zu kritisieren; soviel nur sei erwähnt, daß der Eindruck vorherrscht, daß Gagern auf das öster- reichische und preußische Heer kein zu großes Vertrauen setzt, da beide seit achtundzwanzig Jahren keinen Krieg mehr geführt hätten, da seine im Kampf erprobten Heerführer tot seien, und da der Nachwuchs nicht nur in den höheren Chargen, sondern auch in den unteren Stellungen zu alt sei. „Alle, welche nach ihrem jetzigen Range höhere Befehlshaberstellen ansprechen können, sind sehr bejahrte Leute oder unerfahrene Prinzen." Nur noch auf eine Bemerkung aus diesem Teil von Gagerns Erörterungen Möchte ich kurz hinweisen, da ihre Richtigkeit durch die praktischen Erfahrungen des jetzigen Weltkrieges unzweifelhaft erhärtet wurde, die Frage des Offizier¬ ersatzes im Kriege. Grundsätzlich huldigt er der in Preußen bestehenden Ein- richtung. daß Unteroffiziere „im Frieden keine Aussicht auf weitere Beförderung haben". „Daß dem so sei. ist eine Folge unseres geselligen Zustandes; es läßt fich nicht wohl ändern, aber außer Acht lassen dürfen wir nicht, daß in Frank- reich und Rußland den Unteroffizieren andere Aussichten geöffnet sind, und es ist unerläßlich, den Unteroffizieren unserer Heere im Kriege einen großen Anteil an den Beförderungen zum Offizier zuzugestehen". So interessant diese Beobachtungen auch sein mögen, so liegt das dauernd

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/401>, abgerufen am 22.07.2024.