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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Gin Kapitel zur Entstehungsgeschichte des Krieges

türmten, eine Unterredung mit einem deutschen Staatsmanne über dieses Thema.
Durnowo, der eine unbegrenzte Verachtung sür die Duma hatte, trotzdem aber
nach Art der russischen Konversativen von ihrer Gefährlichkeit überzeugt war,
sprach damals das gewissenlose Wort aus: "wir werden die Duma nicht anders
tot kriegen als durch einen Krieg". Als ihm darauf der deutsche Staatsmann
erwiderte: "er denke natürlich nur an einen siegreichen Krieg. Wie aber, wenn
dieser Krieg für Rußland mit einer Niederlage enden würde?", entgegnete,
Durnowo stolz: "daran denke niemand in Rußland, jeder glaube nur an
einen Sieg. Aber wenn es auch in einem Kriege Rückschläge geben werde
Rußland bleibe doch immer Rußland".

In dieser Unterredung, die für die gewissenlose Denkweise der führenden
russischen Politiker bezeichnend ist wie keine andere, haben wir den Kern der
Anschauung der herrschenden russischen Schicht über einen Krieg. Um die Duma
totzukriegen, ist es unter Umständen gleichgültig, Millionen von Leben zu
opfern. Das sind Erwägungen zweiten Grades. Die großen Maximen und
Ziele der inneren Politik zuerst, alles andere ist sekundär.

Je mehr wir uns in solche Anschauungen vertiefen, um so klarer wird
uns die ganze Lächerlichkeit jener politischen Gruppen, wie Struve, Miljukow
und Mitrofanow, der für uns Deutsche die Gedankenzusammenhänge jener
Reflexpolitiker so deutlich zusammengefaßt hat.

Sie glaubten zu schieben und sie wurden geschoben.

Die panslavistische Idee zusammen mit dem Popanz voll der Gefahr der
deutschen Reaktion, das war das ihnen vorgehaltene rote Tuch, das ihnen den
freien Blick blendete. Sie kämpften für die "Freiheit" -- und unterstützten
einen Durnowo. Das Tragische und das Lächerliche liegen nahe beieinander.




Gin Kapitel zur Entstehungsgeschichte des Krieges

türmten, eine Unterredung mit einem deutschen Staatsmanne über dieses Thema.
Durnowo, der eine unbegrenzte Verachtung sür die Duma hatte, trotzdem aber
nach Art der russischen Konversativen von ihrer Gefährlichkeit überzeugt war,
sprach damals das gewissenlose Wort aus: „wir werden die Duma nicht anders
tot kriegen als durch einen Krieg". Als ihm darauf der deutsche Staatsmann
erwiderte: „er denke natürlich nur an einen siegreichen Krieg. Wie aber, wenn
dieser Krieg für Rußland mit einer Niederlage enden würde?", entgegnete,
Durnowo stolz: „daran denke niemand in Rußland, jeder glaube nur an
einen Sieg. Aber wenn es auch in einem Kriege Rückschläge geben werde
Rußland bleibe doch immer Rußland".

In dieser Unterredung, die für die gewissenlose Denkweise der führenden
russischen Politiker bezeichnend ist wie keine andere, haben wir den Kern der
Anschauung der herrschenden russischen Schicht über einen Krieg. Um die Duma
totzukriegen, ist es unter Umständen gleichgültig, Millionen von Leben zu
opfern. Das sind Erwägungen zweiten Grades. Die großen Maximen und
Ziele der inneren Politik zuerst, alles andere ist sekundär.

Je mehr wir uns in solche Anschauungen vertiefen, um so klarer wird
uns die ganze Lächerlichkeit jener politischen Gruppen, wie Struve, Miljukow
und Mitrofanow, der für uns Deutsche die Gedankenzusammenhänge jener
Reflexpolitiker so deutlich zusammengefaßt hat.

Sie glaubten zu schieben und sie wurden geschoben.

Die panslavistische Idee zusammen mit dem Popanz voll der Gefahr der
deutschen Reaktion, das war das ihnen vorgehaltene rote Tuch, das ihnen den
freien Blick blendete. Sie kämpften für die „Freiheit" — und unterstützten
einen Durnowo. Das Tragische und das Lächerliche liegen nahe beieinander.




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[0398] Gin Kapitel zur Entstehungsgeschichte des Krieges türmten, eine Unterredung mit einem deutschen Staatsmanne über dieses Thema. Durnowo, der eine unbegrenzte Verachtung sür die Duma hatte, trotzdem aber nach Art der russischen Konversativen von ihrer Gefährlichkeit überzeugt war, sprach damals das gewissenlose Wort aus: „wir werden die Duma nicht anders tot kriegen als durch einen Krieg". Als ihm darauf der deutsche Staatsmann erwiderte: „er denke natürlich nur an einen siegreichen Krieg. Wie aber, wenn dieser Krieg für Rußland mit einer Niederlage enden würde?", entgegnete, Durnowo stolz: „daran denke niemand in Rußland, jeder glaube nur an einen Sieg. Aber wenn es auch in einem Kriege Rückschläge geben werde Rußland bleibe doch immer Rußland". In dieser Unterredung, die für die gewissenlose Denkweise der führenden russischen Politiker bezeichnend ist wie keine andere, haben wir den Kern der Anschauung der herrschenden russischen Schicht über einen Krieg. Um die Duma totzukriegen, ist es unter Umständen gleichgültig, Millionen von Leben zu opfern. Das sind Erwägungen zweiten Grades. Die großen Maximen und Ziele der inneren Politik zuerst, alles andere ist sekundär. Je mehr wir uns in solche Anschauungen vertiefen, um so klarer wird uns die ganze Lächerlichkeit jener politischen Gruppen, wie Struve, Miljukow und Mitrofanow, der für uns Deutsche die Gedankenzusammenhänge jener Reflexpolitiker so deutlich zusammengefaßt hat. Sie glaubten zu schieben und sie wurden geschoben. Die panslavistische Idee zusammen mit dem Popanz voll der Gefahr der deutschen Reaktion, das war das ihnen vorgehaltene rote Tuch, das ihnen den freien Blick blendete. Sie kämpften für die „Freiheit" — und unterstützten einen Durnowo. Das Tragische und das Lächerliche liegen nahe beieinander.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/398>, abgerufen am 22.07.2024.