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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Bulgarien nach fünfzig Jahren

läßt, der Organisation! Sie ist eine Tat, und Taten gebrauchen wir in
unserem zerrissenen und in den meisten Teilen etwas verlotterten alten Europa!
Haben wir am heutigen Abend nicht hier eine vereinigte europäische Völker¬
familie unter wehenden deutschen Weihnachtsfahnen gebildet? Wahrlich, nie¬
mand, und wäre er auch noch so eigenbrödlerisch oder meinetwegen patriotisch
gesinnt, hätte sich der lebendig waltenden Ordnung entziehen können, jeder spielte
die Rolle, die ihm von der Konsequenz des Ganzen zuerteilt war, und jeder
spielte sie mit Lust....."

"Natürlich," rief lachend der dänische Arzt herzutretend, "wer wäre denn
so töricht, sich so herrlicher Genüsse zu berauben, wie z. B. dieses pompösen
Weihnachtspunsches! Frau Hebe, bitte um noch ein Glas!" Die Bulgarin
hob den Deckel vom Gefäß und goß das rotleuchtende Getränk ein. "Es
macht man garnichts", sagte sie etwas stockend nach Worten suchend, "es ist
nichts von böse Geist darin!"

"Recht so, Frau Hebe, es ist Nektar, und was hätte der Göttertrank zu
tun mit dem allzu irdischen Alkohol."

Man stieß an und setzte sich enger zusammen zum Plaudern.

"Wir wollen etwas Gutes, etwas Neues hören", sagte der Gerichtsrat,
"etwas aus fernen Landen....."

"O ja", rief die junge Gattin des dänischen Arztes, "ich wünsche mir
jetzt ein wenig Mystik oder mindestens eine Räubergeschichte aus --" sie sah
schalkhaft empor an der hohen, kräftigen Gestalt des Bulgaren, "aus
Bulgarien."

Er wandte sich schnell und etwas heftig ihr zu, sagte aber dann nach
einem Blick in das helle, sonnige Kindergestcht: "Sie meinen aus Mazedonien?"
"Aus Mazedonien? ja, auch das. Ich dachte an das Schicksal des deutschen
Prinzen, des Battenbergers. Aber nehmen Sie es um Gotteswillen nicht ernst,
Herr Doktor, als gelüstete es mich nach dem Anhören politischer Unterhaltungen.
Das mit dem Fürsten Alexander, das war doch die schönste Räubergeschichte. . ."

"Bei der ein Kaiser von Rußland die Rolle des Räuberhauptmanns
spielte, allerdings!"

"Und nun? Nun hassen Sie. haßt Ihr Volk wohl gar die Russen noch
heftiger als die Türken, wie?"

Der Gefragte schwieg, und sah gedankenverloren in das tiefe Grün des
Baumes hinein. Seine Gattin legte die Hand auf seine Schulter. In seinen
Zügen lesend, sprach sie bittenden Tones einige bulgarische Worte. "Ja,
Kind, komm, setze dich neben mich. Du wirst schon verstehen."

"Ihre halb scherzhaft gemeinten Bemerkungen, gnädige Frau, zeigen ein¬
mal wieder, wie wenig man in ihrer Welt unsere Lage und unser Streben
versteht, wie wenig noch man uns ernst nimmt. Aber", er sprach mit er¬
hobener Stimme und richtete seine Worte an alle Anwesenden, "aber wir
wollen den Anschluß an die europäische Kulturwelt, an Deutschland zunächst,


Bulgarien nach fünfzig Jahren

läßt, der Organisation! Sie ist eine Tat, und Taten gebrauchen wir in
unserem zerrissenen und in den meisten Teilen etwas verlotterten alten Europa!
Haben wir am heutigen Abend nicht hier eine vereinigte europäische Völker¬
familie unter wehenden deutschen Weihnachtsfahnen gebildet? Wahrlich, nie¬
mand, und wäre er auch noch so eigenbrödlerisch oder meinetwegen patriotisch
gesinnt, hätte sich der lebendig waltenden Ordnung entziehen können, jeder spielte
die Rolle, die ihm von der Konsequenz des Ganzen zuerteilt war, und jeder
spielte sie mit Lust....."

„Natürlich," rief lachend der dänische Arzt herzutretend, „wer wäre denn
so töricht, sich so herrlicher Genüsse zu berauben, wie z. B. dieses pompösen
Weihnachtspunsches! Frau Hebe, bitte um noch ein Glas!" Die Bulgarin
hob den Deckel vom Gefäß und goß das rotleuchtende Getränk ein. „Es
macht man garnichts", sagte sie etwas stockend nach Worten suchend, „es ist
nichts von böse Geist darin!"

„Recht so, Frau Hebe, es ist Nektar, und was hätte der Göttertrank zu
tun mit dem allzu irdischen Alkohol."

Man stieß an und setzte sich enger zusammen zum Plaudern.

„Wir wollen etwas Gutes, etwas Neues hören", sagte der Gerichtsrat,
„etwas aus fernen Landen....."

„O ja", rief die junge Gattin des dänischen Arztes, „ich wünsche mir
jetzt ein wenig Mystik oder mindestens eine Räubergeschichte aus —" sie sah
schalkhaft empor an der hohen, kräftigen Gestalt des Bulgaren, „aus
Bulgarien."

Er wandte sich schnell und etwas heftig ihr zu, sagte aber dann nach
einem Blick in das helle, sonnige Kindergestcht: „Sie meinen aus Mazedonien?"
„Aus Mazedonien? ja, auch das. Ich dachte an das Schicksal des deutschen
Prinzen, des Battenbergers. Aber nehmen Sie es um Gotteswillen nicht ernst,
Herr Doktor, als gelüstete es mich nach dem Anhören politischer Unterhaltungen.
Das mit dem Fürsten Alexander, das war doch die schönste Räubergeschichte. . ."

„Bei der ein Kaiser von Rußland die Rolle des Räuberhauptmanns
spielte, allerdings!"

„Und nun? Nun hassen Sie. haßt Ihr Volk wohl gar die Russen noch
heftiger als die Türken, wie?"

Der Gefragte schwieg, und sah gedankenverloren in das tiefe Grün des
Baumes hinein. Seine Gattin legte die Hand auf seine Schulter. In seinen
Zügen lesend, sprach sie bittenden Tones einige bulgarische Worte. „Ja,
Kind, komm, setze dich neben mich. Du wirst schon verstehen."

»Ihre halb scherzhaft gemeinten Bemerkungen, gnädige Frau, zeigen ein¬
mal wieder, wie wenig man in ihrer Welt unsere Lage und unser Streben
versteht, wie wenig noch man uns ernst nimmt. Aber", er sprach mit er¬
hobener Stimme und richtete seine Worte an alle Anwesenden, „aber wir
wollen den Anschluß an die europäische Kulturwelt, an Deutschland zunächst,


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[0385] Bulgarien nach fünfzig Jahren läßt, der Organisation! Sie ist eine Tat, und Taten gebrauchen wir in unserem zerrissenen und in den meisten Teilen etwas verlotterten alten Europa! Haben wir am heutigen Abend nicht hier eine vereinigte europäische Völker¬ familie unter wehenden deutschen Weihnachtsfahnen gebildet? Wahrlich, nie¬ mand, und wäre er auch noch so eigenbrödlerisch oder meinetwegen patriotisch gesinnt, hätte sich der lebendig waltenden Ordnung entziehen können, jeder spielte die Rolle, die ihm von der Konsequenz des Ganzen zuerteilt war, und jeder spielte sie mit Lust....." „Natürlich," rief lachend der dänische Arzt herzutretend, „wer wäre denn so töricht, sich so herrlicher Genüsse zu berauben, wie z. B. dieses pompösen Weihnachtspunsches! Frau Hebe, bitte um noch ein Glas!" Die Bulgarin hob den Deckel vom Gefäß und goß das rotleuchtende Getränk ein. „Es macht man garnichts", sagte sie etwas stockend nach Worten suchend, „es ist nichts von böse Geist darin!" „Recht so, Frau Hebe, es ist Nektar, und was hätte der Göttertrank zu tun mit dem allzu irdischen Alkohol." Man stieß an und setzte sich enger zusammen zum Plaudern. „Wir wollen etwas Gutes, etwas Neues hören", sagte der Gerichtsrat, „etwas aus fernen Landen....." „O ja", rief die junge Gattin des dänischen Arztes, „ich wünsche mir jetzt ein wenig Mystik oder mindestens eine Räubergeschichte aus —" sie sah schalkhaft empor an der hohen, kräftigen Gestalt des Bulgaren, „aus Bulgarien." Er wandte sich schnell und etwas heftig ihr zu, sagte aber dann nach einem Blick in das helle, sonnige Kindergestcht: „Sie meinen aus Mazedonien?" „Aus Mazedonien? ja, auch das. Ich dachte an das Schicksal des deutschen Prinzen, des Battenbergers. Aber nehmen Sie es um Gotteswillen nicht ernst, Herr Doktor, als gelüstete es mich nach dem Anhören politischer Unterhaltungen. Das mit dem Fürsten Alexander, das war doch die schönste Räubergeschichte. . ." „Bei der ein Kaiser von Rußland die Rolle des Räuberhauptmanns spielte, allerdings!" „Und nun? Nun hassen Sie. haßt Ihr Volk wohl gar die Russen noch heftiger als die Türken, wie?" Der Gefragte schwieg, und sah gedankenverloren in das tiefe Grün des Baumes hinein. Seine Gattin legte die Hand auf seine Schulter. In seinen Zügen lesend, sprach sie bittenden Tones einige bulgarische Worte. „Ja, Kind, komm, setze dich neben mich. Du wirst schon verstehen." »Ihre halb scherzhaft gemeinten Bemerkungen, gnädige Frau, zeigen ein¬ mal wieder, wie wenig man in ihrer Welt unsere Lage und unser Streben versteht, wie wenig noch man uns ernst nimmt. Aber", er sprach mit er¬ hobener Stimme und richtete seine Worte an alle Anwesenden, „aber wir wollen den Anschluß an die europäische Kulturwelt, an Deutschland zunächst,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/385>, abgerufen am 22.07.2024.