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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Serbien und (Oesterreich vor einem Jahrhundert

Trotzdem dies alles so deutlich und klar war. die Gelegenheit günstiger
als je zuvor, weil Napoleon jetzt mit Österreich verbündet war, während
anderseits in Wien die Nachricht eintraf, daß Rußland ein Heer abgesandt
habe, um Serbien angeblich Hilfe zu bringen, in Wirklichkeit aber Belgrad zu
besetzen, -- trotz alledem überhörte der von Metternich stets sehr übel beratene
Kaiser Franz auch diesmal den herzzerreißenden Hilferuf eines für die öster-
reichische Monarchie doch so wichtigen Volkes! Er glaubte genug getan zu
haben, wenn er Kara Gjorgje durch Jugovitsch sein allerhöchstes Wohlgefallen
über die Ergebenheit des serbischen Volkes aussprach, an der er nie gezweifelt
habe und wenn er dem Gesandten für seine Reisekosten 1000 Gulden an¬
weisen ließ. Auch ließ er Jugovitsch sagen, daß er dem serbischen Volke einen
neuen Beweis seines Wohlwollens und seiner väterlichen Fürsorge gegeben
habe, indem er Simbschen Weisungen geben ließ, die den Zweck hätten, den
Frieden auf Grund von Bedingungen wiederherzustellen, die die ständige
Wohlfahrt Serbiens sichern würden. Dafür hätten aber auch die Serben das
Ihrige dazu beizutragen, daß das Ziel erreicht werde.

Die Folgen dieser unseligen Metternichschen Verblendung zeigten sich bald.
Rußland hatte durch seinen Friedensschluß mit Schweden Finnland ergattert
und ein Heer frei bekommen, das gegen die Pforte verwendet werden konnte.
Dazu bedürfte man wieder der Serben, und Nedoba begann die Nodofimkinsche
Maulwurfsarbeit von neuem. Unter höhnenden Hinweis auf die Sprödigkeit
des österreichischen Hofes gegenüber dem Liebeswerben Kara Gjorgjes brachte er
den Senat dazu, daß die Skuptschina mit großer Mehrheit entgegen den Be¬
mühungen Kara Gjorgjes, der eifrig für Österreich eintrat, den Beschluß faßte,
mit Rußland ein Bündnis einzugehen. So mußte der Wiener Hofkriegsrat
am 4. Inn 1810 an Metternich berichten. dem dies aber in seiner stets be->
währten Kurzsichngkeit gleichgültig gewesen zu sein scheint.

Wieder stritten die Serben wacker gegen die Türken und ermöglichten es
se> den Russen im Jahre 1811 Vorteile zu erringen, die sie so anmaßend
machten, daß sie bei den Friedensunterhandlungen in Bukarest nicht weniger
verlangten als die Abtretung von Bessarabien. Moldau. Walachei und --
Serbien! Als die Türken davon nichts wissen wollten, andrerseits aber der
Bruch mit Frankreich als drohendes Gespenst am Himmel erschien, sattelte
Rußland um und ließ durch seinen außerordentlichen Gesandten. Grafen
Schuwalow. dem Kaiser Franz sagen, es teile ganz dessen Ansicht, daß Serben
wieder unter türkische Herrschaft kommen müsse. Und dies zu einer Zeit, da Serbien
noch Rußlands Verbündeter war! Als dies keinen Eindruck machte, schrieb
Kaiser Alexander dem Kaiser Franz am 11. Februar 1911 einen eigenhändigen
Brief, in dem er ihm nicht nur das heutige Rumänien bis zum Seret. sondern
auch Serbien anbot! Diesen Brief schrieb der Zar einen Tag. nachdem der
russische Oberst Balla mit 500 russischen Soldaten die Belgrader Festung be-


Serbien und (Oesterreich vor einem Jahrhundert

Trotzdem dies alles so deutlich und klar war. die Gelegenheit günstiger
als je zuvor, weil Napoleon jetzt mit Österreich verbündet war, während
anderseits in Wien die Nachricht eintraf, daß Rußland ein Heer abgesandt
habe, um Serbien angeblich Hilfe zu bringen, in Wirklichkeit aber Belgrad zu
besetzen, — trotz alledem überhörte der von Metternich stets sehr übel beratene
Kaiser Franz auch diesmal den herzzerreißenden Hilferuf eines für die öster-
reichische Monarchie doch so wichtigen Volkes! Er glaubte genug getan zu
haben, wenn er Kara Gjorgje durch Jugovitsch sein allerhöchstes Wohlgefallen
über die Ergebenheit des serbischen Volkes aussprach, an der er nie gezweifelt
habe und wenn er dem Gesandten für seine Reisekosten 1000 Gulden an¬
weisen ließ. Auch ließ er Jugovitsch sagen, daß er dem serbischen Volke einen
neuen Beweis seines Wohlwollens und seiner väterlichen Fürsorge gegeben
habe, indem er Simbschen Weisungen geben ließ, die den Zweck hätten, den
Frieden auf Grund von Bedingungen wiederherzustellen, die die ständige
Wohlfahrt Serbiens sichern würden. Dafür hätten aber auch die Serben das
Ihrige dazu beizutragen, daß das Ziel erreicht werde.

Die Folgen dieser unseligen Metternichschen Verblendung zeigten sich bald.
Rußland hatte durch seinen Friedensschluß mit Schweden Finnland ergattert
und ein Heer frei bekommen, das gegen die Pforte verwendet werden konnte.
Dazu bedürfte man wieder der Serben, und Nedoba begann die Nodofimkinsche
Maulwurfsarbeit von neuem. Unter höhnenden Hinweis auf die Sprödigkeit
des österreichischen Hofes gegenüber dem Liebeswerben Kara Gjorgjes brachte er
den Senat dazu, daß die Skuptschina mit großer Mehrheit entgegen den Be¬
mühungen Kara Gjorgjes, der eifrig für Österreich eintrat, den Beschluß faßte,
mit Rußland ein Bündnis einzugehen. So mußte der Wiener Hofkriegsrat
am 4. Inn 1810 an Metternich berichten. dem dies aber in seiner stets be->
währten Kurzsichngkeit gleichgültig gewesen zu sein scheint.

Wieder stritten die Serben wacker gegen die Türken und ermöglichten es
se> den Russen im Jahre 1811 Vorteile zu erringen, die sie so anmaßend
machten, daß sie bei den Friedensunterhandlungen in Bukarest nicht weniger
verlangten als die Abtretung von Bessarabien. Moldau. Walachei und —
Serbien! Als die Türken davon nichts wissen wollten, andrerseits aber der
Bruch mit Frankreich als drohendes Gespenst am Himmel erschien, sattelte
Rußland um und ließ durch seinen außerordentlichen Gesandten. Grafen
Schuwalow. dem Kaiser Franz sagen, es teile ganz dessen Ansicht, daß Serben
wieder unter türkische Herrschaft kommen müsse. Und dies zu einer Zeit, da Serbien
noch Rußlands Verbündeter war! Als dies keinen Eindruck machte, schrieb
Kaiser Alexander dem Kaiser Franz am 11. Februar 1911 einen eigenhändigen
Brief, in dem er ihm nicht nur das heutige Rumänien bis zum Seret. sondern
auch Serbien anbot! Diesen Brief schrieb der Zar einen Tag. nachdem der
russische Oberst Balla mit 500 russischen Soldaten die Belgrader Festung be-


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[0373] Serbien und (Oesterreich vor einem Jahrhundert Trotzdem dies alles so deutlich und klar war. die Gelegenheit günstiger als je zuvor, weil Napoleon jetzt mit Österreich verbündet war, während anderseits in Wien die Nachricht eintraf, daß Rußland ein Heer abgesandt habe, um Serbien angeblich Hilfe zu bringen, in Wirklichkeit aber Belgrad zu besetzen, — trotz alledem überhörte der von Metternich stets sehr übel beratene Kaiser Franz auch diesmal den herzzerreißenden Hilferuf eines für die öster- reichische Monarchie doch so wichtigen Volkes! Er glaubte genug getan zu haben, wenn er Kara Gjorgje durch Jugovitsch sein allerhöchstes Wohlgefallen über die Ergebenheit des serbischen Volkes aussprach, an der er nie gezweifelt habe und wenn er dem Gesandten für seine Reisekosten 1000 Gulden an¬ weisen ließ. Auch ließ er Jugovitsch sagen, daß er dem serbischen Volke einen neuen Beweis seines Wohlwollens und seiner väterlichen Fürsorge gegeben habe, indem er Simbschen Weisungen geben ließ, die den Zweck hätten, den Frieden auf Grund von Bedingungen wiederherzustellen, die die ständige Wohlfahrt Serbiens sichern würden. Dafür hätten aber auch die Serben das Ihrige dazu beizutragen, daß das Ziel erreicht werde. Die Folgen dieser unseligen Metternichschen Verblendung zeigten sich bald. Rußland hatte durch seinen Friedensschluß mit Schweden Finnland ergattert und ein Heer frei bekommen, das gegen die Pforte verwendet werden konnte. Dazu bedürfte man wieder der Serben, und Nedoba begann die Nodofimkinsche Maulwurfsarbeit von neuem. Unter höhnenden Hinweis auf die Sprödigkeit des österreichischen Hofes gegenüber dem Liebeswerben Kara Gjorgjes brachte er den Senat dazu, daß die Skuptschina mit großer Mehrheit entgegen den Be¬ mühungen Kara Gjorgjes, der eifrig für Österreich eintrat, den Beschluß faßte, mit Rußland ein Bündnis einzugehen. So mußte der Wiener Hofkriegsrat am 4. Inn 1810 an Metternich berichten. dem dies aber in seiner stets be-> währten Kurzsichngkeit gleichgültig gewesen zu sein scheint. Wieder stritten die Serben wacker gegen die Türken und ermöglichten es se> den Russen im Jahre 1811 Vorteile zu erringen, die sie so anmaßend machten, daß sie bei den Friedensunterhandlungen in Bukarest nicht weniger verlangten als die Abtretung von Bessarabien. Moldau. Walachei und — Serbien! Als die Türken davon nichts wissen wollten, andrerseits aber der Bruch mit Frankreich als drohendes Gespenst am Himmel erschien, sattelte Rußland um und ließ durch seinen außerordentlichen Gesandten. Grafen Schuwalow. dem Kaiser Franz sagen, es teile ganz dessen Ansicht, daß Serben wieder unter türkische Herrschaft kommen müsse. Und dies zu einer Zeit, da Serbien noch Rußlands Verbündeter war! Als dies keinen Eindruck machte, schrieb Kaiser Alexander dem Kaiser Franz am 11. Februar 1911 einen eigenhändigen Brief, in dem er ihm nicht nur das heutige Rumänien bis zum Seret. sondern auch Serbien anbot! Diesen Brief schrieb der Zar einen Tag. nachdem der russische Oberst Balla mit 500 russischen Soldaten die Belgrader Festung be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/373>, abgerufen am 29.12.2024.