Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert

Pascha hatte mit einem mächtigen Heere von Risch her angegriffen, Singjelitsch
hatte sich nach hartnäckiger Verteidigung zusammen mit den Seinigen und mit
den Türken in die Luft gesprengt und Kara Gjorgje mußte an die Morava
eilen, um dort das Unheil zu beschwören. Glücklicherweise überschritten im
August 1809 die Russen die Donau und zwangen dadurch den Großvesir
zum Rückzug aus Serbien.

Schon vorher, am 14. April 1309, hatte Kara Gjorgje an Simbsche,
geschrieben, daß er gehört habe, Österreich solle mit Napoleon in Krieg geraten.
In diesem Falle möge Österreich getrost alle seine Truppen von der serbischen
Grenze abziehen lassen, er verbürge sich für deren Schutz. Er seirlerseits habe
den Kampf mit den Türken neuerdings aufgenommen und bitte um Simbschens
Wohlwollen. Übrigens behaupten die serbischen Geschichtsschreiber, daß der
spätere Mißerfolg Kara Gjorgjes im Feldzug von 1809, der doch so glänzend
begonnen hatte, weniger auf Rechnung des Angriffs Churschid Paschas komme,
als auf den Umstand, daß Kara Gjorgje fortwährend getrachtet habe, seinen
Plan zu verwirklichen, Serbien mit Österreich zu vereinigen, während die von
Rodofinikin gewonnenen (lies gezählten) Führer 'nichts davon wissen wollten
und deshalb Uneinigkeit entstand. Somit steht fest, daß auch noch 1809 Kara
Gjorgje überzeugt war, in der Vereinigung mit Osterreich liege Serbiens Glücke
Daß dem so ist, beweist am besten Kara Gjorgjes Brief vom 28. August 1809,
in dem er aufrichtig um österreichischen Schutz bittet und sich bereit erklärt,
Belgrad, Smederevo und Schabatsch den Östereichern zu übergeben. In diesem
Briefe lautet eine bezeichnende Stelle folgendermaßen: "Rodofinikin ist des
Nachts aus Belgrad entflohen; er hat uns verraten und treulos verlassen,
ohne daß wir verstehen können warum. Gott möge ihn verurteilen!" Kara
Gjorgje erinnerte dann Simbschen an die vorjährigen Besprechungen, erklärte
sich bereit, sein Wort zu halten, denn nur Rodofinikin sei Schuld, weil er
allen eingeredet habe, daß Österreich nichts anderes bezwecke als die Serben,
wenn sie sich an Österreich angeschlossen hätten, wieder den Türken aus¬
zuliefern.

Es scheint übrigens, als ob Kara Gjorgje nicht sicher gewesen sei, ob
nicht Österreich auch jetzt wieder im letzten Augenblick die eigenen Vorschläge
verleugnen werde (aus Rücksicht auf andere Mächte), denn am selben Tage
(28. August) schrieb er auch an Napoleon einen Brief, in dem er bat, sich
unter französischen Schutz stellen zu dürfen. Dieser Brief wurde, nebenbei
bemerkt, der Beginn langer Unterhandlungen, die sich bis 1814 hinzogen und
doch zu nichts führten. Auch über diese Verhandlungen besitze ich alle bezüg¬
lichen Urkunden der Archive von Paris und Belgrad, doch behalte ich mir
deren Veröffentlichung für das oben erwähnte Buch vor.

Weil die Antwort aus Paris viele Monate auf sich warten ließ, die
Türkengefahr aber immer größer wurde, drängte Kara Gjorgje im September
neuerdings in Wien, indem er an Simbschen schrieb, Österreich möge doch


Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert

Pascha hatte mit einem mächtigen Heere von Risch her angegriffen, Singjelitsch
hatte sich nach hartnäckiger Verteidigung zusammen mit den Seinigen und mit
den Türken in die Luft gesprengt und Kara Gjorgje mußte an die Morava
eilen, um dort das Unheil zu beschwören. Glücklicherweise überschritten im
August 1809 die Russen die Donau und zwangen dadurch den Großvesir
zum Rückzug aus Serbien.

Schon vorher, am 14. April 1309, hatte Kara Gjorgje an Simbsche,
geschrieben, daß er gehört habe, Österreich solle mit Napoleon in Krieg geraten.
In diesem Falle möge Österreich getrost alle seine Truppen von der serbischen
Grenze abziehen lassen, er verbürge sich für deren Schutz. Er seirlerseits habe
den Kampf mit den Türken neuerdings aufgenommen und bitte um Simbschens
Wohlwollen. Übrigens behaupten die serbischen Geschichtsschreiber, daß der
spätere Mißerfolg Kara Gjorgjes im Feldzug von 1809, der doch so glänzend
begonnen hatte, weniger auf Rechnung des Angriffs Churschid Paschas komme,
als auf den Umstand, daß Kara Gjorgje fortwährend getrachtet habe, seinen
Plan zu verwirklichen, Serbien mit Österreich zu vereinigen, während die von
Rodofinikin gewonnenen (lies gezählten) Führer 'nichts davon wissen wollten
und deshalb Uneinigkeit entstand. Somit steht fest, daß auch noch 1809 Kara
Gjorgje überzeugt war, in der Vereinigung mit Osterreich liege Serbiens Glücke
Daß dem so ist, beweist am besten Kara Gjorgjes Brief vom 28. August 1809,
in dem er aufrichtig um österreichischen Schutz bittet und sich bereit erklärt,
Belgrad, Smederevo und Schabatsch den Östereichern zu übergeben. In diesem
Briefe lautet eine bezeichnende Stelle folgendermaßen: „Rodofinikin ist des
Nachts aus Belgrad entflohen; er hat uns verraten und treulos verlassen,
ohne daß wir verstehen können warum. Gott möge ihn verurteilen!" Kara
Gjorgje erinnerte dann Simbschen an die vorjährigen Besprechungen, erklärte
sich bereit, sein Wort zu halten, denn nur Rodofinikin sei Schuld, weil er
allen eingeredet habe, daß Österreich nichts anderes bezwecke als die Serben,
wenn sie sich an Österreich angeschlossen hätten, wieder den Türken aus¬
zuliefern.

Es scheint übrigens, als ob Kara Gjorgje nicht sicher gewesen sei, ob
nicht Österreich auch jetzt wieder im letzten Augenblick die eigenen Vorschläge
verleugnen werde (aus Rücksicht auf andere Mächte), denn am selben Tage
(28. August) schrieb er auch an Napoleon einen Brief, in dem er bat, sich
unter französischen Schutz stellen zu dürfen. Dieser Brief wurde, nebenbei
bemerkt, der Beginn langer Unterhandlungen, die sich bis 1814 hinzogen und
doch zu nichts führten. Auch über diese Verhandlungen besitze ich alle bezüg¬
lichen Urkunden der Archive von Paris und Belgrad, doch behalte ich mir
deren Veröffentlichung für das oben erwähnte Buch vor.

Weil die Antwort aus Paris viele Monate auf sich warten ließ, die
Türkengefahr aber immer größer wurde, drängte Kara Gjorgje im September
neuerdings in Wien, indem er an Simbschen schrieb, Österreich möge doch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0370" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324783"/>
          <fw type="header" place="top"> Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1325" prev="#ID_1324"> Pascha hatte mit einem mächtigen Heere von Risch her angegriffen, Singjelitsch<lb/>
hatte sich nach hartnäckiger Verteidigung zusammen mit den Seinigen und mit<lb/>
den Türken in die Luft gesprengt und Kara Gjorgje mußte an die Morava<lb/>
eilen, um dort das Unheil zu beschwören. Glücklicherweise überschritten im<lb/>
August 1809 die Russen die Donau und zwangen dadurch den Großvesir<lb/>
zum Rückzug aus Serbien.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1326"> Schon vorher, am 14. April 1309, hatte Kara Gjorgje an Simbsche,<lb/>
geschrieben, daß er gehört habe, Österreich solle mit Napoleon in Krieg geraten.<lb/>
In diesem Falle möge Österreich getrost alle seine Truppen von der serbischen<lb/>
Grenze abziehen lassen, er verbürge sich für deren Schutz. Er seirlerseits habe<lb/>
den Kampf mit den Türken neuerdings aufgenommen und bitte um Simbschens<lb/>
Wohlwollen. Übrigens behaupten die serbischen Geschichtsschreiber, daß der<lb/>
spätere Mißerfolg Kara Gjorgjes im Feldzug von 1809, der doch so glänzend<lb/>
begonnen hatte, weniger auf Rechnung des Angriffs Churschid Paschas komme,<lb/>
als auf den Umstand, daß Kara Gjorgje fortwährend getrachtet habe, seinen<lb/>
Plan zu verwirklichen, Serbien mit Österreich zu vereinigen, während die von<lb/>
Rodofinikin gewonnenen (lies gezählten) Führer 'nichts davon wissen wollten<lb/>
und deshalb Uneinigkeit entstand. Somit steht fest, daß auch noch 1809 Kara<lb/>
Gjorgje überzeugt war, in der Vereinigung mit Osterreich liege Serbiens Glücke<lb/>
Daß dem so ist, beweist am besten Kara Gjorgjes Brief vom 28. August 1809,<lb/>
in dem er aufrichtig um österreichischen Schutz bittet und sich bereit erklärt,<lb/>
Belgrad, Smederevo und Schabatsch den Östereichern zu übergeben. In diesem<lb/>
Briefe lautet eine bezeichnende Stelle folgendermaßen: &#x201E;Rodofinikin ist des<lb/>
Nachts aus Belgrad entflohen; er hat uns verraten und treulos verlassen,<lb/>
ohne daß wir verstehen können warum. Gott möge ihn verurteilen!" Kara<lb/>
Gjorgje erinnerte dann Simbschen an die vorjährigen Besprechungen, erklärte<lb/>
sich bereit, sein Wort zu halten, denn nur Rodofinikin sei Schuld, weil er<lb/>
allen eingeredet habe, daß Österreich nichts anderes bezwecke als die Serben,<lb/>
wenn sie sich an Österreich angeschlossen hätten, wieder den Türken aus¬<lb/>
zuliefern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1327"> Es scheint übrigens, als ob Kara Gjorgje nicht sicher gewesen sei, ob<lb/>
nicht Österreich auch jetzt wieder im letzten Augenblick die eigenen Vorschläge<lb/>
verleugnen werde (aus Rücksicht auf andere Mächte), denn am selben Tage<lb/>
(28. August) schrieb er auch an Napoleon einen Brief, in dem er bat, sich<lb/>
unter französischen Schutz stellen zu dürfen. Dieser Brief wurde, nebenbei<lb/>
bemerkt, der Beginn langer Unterhandlungen, die sich bis 1814 hinzogen und<lb/>
doch zu nichts führten. Auch über diese Verhandlungen besitze ich alle bezüg¬<lb/>
lichen Urkunden der Archive von Paris und Belgrad, doch behalte ich mir<lb/>
deren Veröffentlichung für das oben erwähnte Buch vor.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1328" next="#ID_1329"> Weil die Antwort aus Paris viele Monate auf sich warten ließ, die<lb/>
Türkengefahr aber immer größer wurde, drängte Kara Gjorgje im September<lb/>
neuerdings in Wien, indem er an Simbschen schrieb, Österreich möge doch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0370] Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert Pascha hatte mit einem mächtigen Heere von Risch her angegriffen, Singjelitsch hatte sich nach hartnäckiger Verteidigung zusammen mit den Seinigen und mit den Türken in die Luft gesprengt und Kara Gjorgje mußte an die Morava eilen, um dort das Unheil zu beschwören. Glücklicherweise überschritten im August 1809 die Russen die Donau und zwangen dadurch den Großvesir zum Rückzug aus Serbien. Schon vorher, am 14. April 1309, hatte Kara Gjorgje an Simbsche, geschrieben, daß er gehört habe, Österreich solle mit Napoleon in Krieg geraten. In diesem Falle möge Österreich getrost alle seine Truppen von der serbischen Grenze abziehen lassen, er verbürge sich für deren Schutz. Er seirlerseits habe den Kampf mit den Türken neuerdings aufgenommen und bitte um Simbschens Wohlwollen. Übrigens behaupten die serbischen Geschichtsschreiber, daß der spätere Mißerfolg Kara Gjorgjes im Feldzug von 1809, der doch so glänzend begonnen hatte, weniger auf Rechnung des Angriffs Churschid Paschas komme, als auf den Umstand, daß Kara Gjorgje fortwährend getrachtet habe, seinen Plan zu verwirklichen, Serbien mit Österreich zu vereinigen, während die von Rodofinikin gewonnenen (lies gezählten) Führer 'nichts davon wissen wollten und deshalb Uneinigkeit entstand. Somit steht fest, daß auch noch 1809 Kara Gjorgje überzeugt war, in der Vereinigung mit Osterreich liege Serbiens Glücke Daß dem so ist, beweist am besten Kara Gjorgjes Brief vom 28. August 1809, in dem er aufrichtig um österreichischen Schutz bittet und sich bereit erklärt, Belgrad, Smederevo und Schabatsch den Östereichern zu übergeben. In diesem Briefe lautet eine bezeichnende Stelle folgendermaßen: „Rodofinikin ist des Nachts aus Belgrad entflohen; er hat uns verraten und treulos verlassen, ohne daß wir verstehen können warum. Gott möge ihn verurteilen!" Kara Gjorgje erinnerte dann Simbschen an die vorjährigen Besprechungen, erklärte sich bereit, sein Wort zu halten, denn nur Rodofinikin sei Schuld, weil er allen eingeredet habe, daß Österreich nichts anderes bezwecke als die Serben, wenn sie sich an Österreich angeschlossen hätten, wieder den Türken aus¬ zuliefern. Es scheint übrigens, als ob Kara Gjorgje nicht sicher gewesen sei, ob nicht Österreich auch jetzt wieder im letzten Augenblick die eigenen Vorschläge verleugnen werde (aus Rücksicht auf andere Mächte), denn am selben Tage (28. August) schrieb er auch an Napoleon einen Brief, in dem er bat, sich unter französischen Schutz stellen zu dürfen. Dieser Brief wurde, nebenbei bemerkt, der Beginn langer Unterhandlungen, die sich bis 1814 hinzogen und doch zu nichts führten. Auch über diese Verhandlungen besitze ich alle bezüg¬ lichen Urkunden der Archive von Paris und Belgrad, doch behalte ich mir deren Veröffentlichung für das oben erwähnte Buch vor. Weil die Antwort aus Paris viele Monate auf sich warten ließ, die Türkengefahr aber immer größer wurde, drängte Kara Gjorgje im September neuerdings in Wien, indem er an Simbschen schrieb, Österreich möge doch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/370
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/370>, abgerufen am 23.07.2024.