Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert

Simbschen berichtete darüber am 5. April an den Erzherzog Karl,
der ihn am 14. April beauftragte, den Serben Getreide und Mehl sicher
zu versprechen, aber unter der Bedingung, daß sie einen untrüglichen Beweis
ihrer Ergebenheit und Loyalität geben, indem sie die Belgrader Festung von
kaiserlichen Truppen besetzen lassen. Dies solle man aber den Serben nicht
unmittelbar sagen, sondern man möge die Verhandlungen so führen, daß die
Serben von selbst auf die Idee verfallen, einen solchen Antrag zu stellen.
Simbschen könnte dann auch versprechen, daß. die Serben niemals mit dem
ungarischen Königreich vereinigt und daß sie auch niemals nach ungarischen
Gesetzen regiert würden. Simbschen erhielt ferner den Auftrag Belgrad auch
ohne solche Übereinkunft zu besetzen, ohne erst in Wien anzufragen, falls Ge¬
fahr entstehen sollte, daß Rußland Belgrad besetze.

Simbschen lud also Kara Gjorgje zu einer neuerlichen Besprechung,
erhielt aber die Antwort (vom 5. Mai), daß er jetzt nicht abkommen könne,
weil er an der Drina den türkischen Angriff abschlagen müsse. Er sende aber
seine Schreiber Jevtitsch und Maden, welche sein volles Vertrauen genössen.
Simbschen schrieb daraufhin am 20. Mai an Kara Gjorgje, auch er sei an
der Zusammenkunft verhindert, weil er den seinen Befehlsbezirk inspizierenden
Erzherzog Ludwig begleiten müsse, doch sende er vier Vertreter, welche alle
Vollmacht und Verhaltungsmaßregeln besäßen, um die Sache endgültig ab¬
zuschließen. Es waren dies: Oberst Perß. Oberstleutnant Stanisavljevitsch.
Bürgermeister Hadshitsch und der Kaufmann Milosch Uroschevitsch. Die Ver¬
haltungsmaßregeln vom 20. Mai 1808 dieser vier lauteten folgendermaßen:
Wenn Belgrad Österreich übergeben wird, wäre die Verbindung mit den öster¬
reichischen Ländern ununterbrochen und die Serben könnten dann aus Osterreich
alles beziehen, was sie zum Leben und zu ihrer Verteidigung brauchen. Auch im
schlimmsten Falle böte ihnen Belgrad mit Umgebung einen sicheren Zufluchts¬
ort, wohin sie ihre Familien und Habe unter österreichischem Schutz bringen
könnten. Durch Besetzung Belgrads würde Osterreich die Verpflichtung über¬
nehmen, die Serben gegen ihre Feinde zu schützen, sie mit Waffen und Schie߬
bedarf zu versorgen, die Festung in gutem Stand zu erhalten. Die Führer
und der Senat wären selbständig in ihrer Herrschaft, Serbien würde seine gegen¬
wärtigen Einrichtungen behalten bis etwas Endgültiges festgesetzt ist. Privateigentum
wäre unverletzlich. Die Festung würde niemals an die Feinde Serbiens übergeben
werden und nach geschlossenem Frieden würden niemals in Serbien ungarische
Gesetze eingeführt werden, sondern die Verfassung der k. k. Militärgrenze.

Oberst Perß besprach sich über diese Punkte mit Jevtitsch, der darüber an
Kara Gjorgje berichtete, ihn um den Befehl bittend, er möge sagen, unter
welchen Bedingungen das ganze Serbenvolk unter den hohen österreichischen
Schutz treten wolle.

Soweit war alles gut gegangen und Serbiens Schicksal und seine weitere
Entwicklung hätte eine ganz andere Richtung genommen, wenn nicht der ver-


Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert

Simbschen berichtete darüber am 5. April an den Erzherzog Karl,
der ihn am 14. April beauftragte, den Serben Getreide und Mehl sicher
zu versprechen, aber unter der Bedingung, daß sie einen untrüglichen Beweis
ihrer Ergebenheit und Loyalität geben, indem sie die Belgrader Festung von
kaiserlichen Truppen besetzen lassen. Dies solle man aber den Serben nicht
unmittelbar sagen, sondern man möge die Verhandlungen so führen, daß die
Serben von selbst auf die Idee verfallen, einen solchen Antrag zu stellen.
Simbschen könnte dann auch versprechen, daß. die Serben niemals mit dem
ungarischen Königreich vereinigt und daß sie auch niemals nach ungarischen
Gesetzen regiert würden. Simbschen erhielt ferner den Auftrag Belgrad auch
ohne solche Übereinkunft zu besetzen, ohne erst in Wien anzufragen, falls Ge¬
fahr entstehen sollte, daß Rußland Belgrad besetze.

Simbschen lud also Kara Gjorgje zu einer neuerlichen Besprechung,
erhielt aber die Antwort (vom 5. Mai), daß er jetzt nicht abkommen könne,
weil er an der Drina den türkischen Angriff abschlagen müsse. Er sende aber
seine Schreiber Jevtitsch und Maden, welche sein volles Vertrauen genössen.
Simbschen schrieb daraufhin am 20. Mai an Kara Gjorgje, auch er sei an
der Zusammenkunft verhindert, weil er den seinen Befehlsbezirk inspizierenden
Erzherzog Ludwig begleiten müsse, doch sende er vier Vertreter, welche alle
Vollmacht und Verhaltungsmaßregeln besäßen, um die Sache endgültig ab¬
zuschließen. Es waren dies: Oberst Perß. Oberstleutnant Stanisavljevitsch.
Bürgermeister Hadshitsch und der Kaufmann Milosch Uroschevitsch. Die Ver¬
haltungsmaßregeln vom 20. Mai 1808 dieser vier lauteten folgendermaßen:
Wenn Belgrad Österreich übergeben wird, wäre die Verbindung mit den öster¬
reichischen Ländern ununterbrochen und die Serben könnten dann aus Osterreich
alles beziehen, was sie zum Leben und zu ihrer Verteidigung brauchen. Auch im
schlimmsten Falle böte ihnen Belgrad mit Umgebung einen sicheren Zufluchts¬
ort, wohin sie ihre Familien und Habe unter österreichischem Schutz bringen
könnten. Durch Besetzung Belgrads würde Osterreich die Verpflichtung über¬
nehmen, die Serben gegen ihre Feinde zu schützen, sie mit Waffen und Schie߬
bedarf zu versorgen, die Festung in gutem Stand zu erhalten. Die Führer
und der Senat wären selbständig in ihrer Herrschaft, Serbien würde seine gegen¬
wärtigen Einrichtungen behalten bis etwas Endgültiges festgesetzt ist. Privateigentum
wäre unverletzlich. Die Festung würde niemals an die Feinde Serbiens übergeben
werden und nach geschlossenem Frieden würden niemals in Serbien ungarische
Gesetze eingeführt werden, sondern die Verfassung der k. k. Militärgrenze.

Oberst Perß besprach sich über diese Punkte mit Jevtitsch, der darüber an
Kara Gjorgje berichtete, ihn um den Befehl bittend, er möge sagen, unter
welchen Bedingungen das ganze Serbenvolk unter den hohen österreichischen
Schutz treten wolle.

Soweit war alles gut gegangen und Serbiens Schicksal und seine weitere
Entwicklung hätte eine ganz andere Richtung genommen, wenn nicht der ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0368" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324781"/>
          <fw type="header" place="top"> Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1316"> Simbschen berichtete darüber am 5. April an den Erzherzog Karl,<lb/>
der ihn am 14. April beauftragte, den Serben Getreide und Mehl sicher<lb/>
zu versprechen, aber unter der Bedingung, daß sie einen untrüglichen Beweis<lb/>
ihrer Ergebenheit und Loyalität geben, indem sie die Belgrader Festung von<lb/>
kaiserlichen Truppen besetzen lassen. Dies solle man aber den Serben nicht<lb/>
unmittelbar sagen, sondern man möge die Verhandlungen so führen, daß die<lb/>
Serben von selbst auf die Idee verfallen, einen solchen Antrag zu stellen.<lb/>
Simbschen könnte dann auch versprechen, daß. die Serben niemals mit dem<lb/>
ungarischen Königreich vereinigt und daß sie auch niemals nach ungarischen<lb/>
Gesetzen regiert würden. Simbschen erhielt ferner den Auftrag Belgrad auch<lb/>
ohne solche Übereinkunft zu besetzen, ohne erst in Wien anzufragen, falls Ge¬<lb/>
fahr entstehen sollte, daß Rußland Belgrad besetze.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1317"> Simbschen lud also Kara Gjorgje zu einer neuerlichen Besprechung,<lb/>
erhielt aber die Antwort (vom 5. Mai), daß er jetzt nicht abkommen könne,<lb/>
weil er an der Drina den türkischen Angriff abschlagen müsse. Er sende aber<lb/>
seine Schreiber Jevtitsch und Maden, welche sein volles Vertrauen genössen.<lb/>
Simbschen schrieb daraufhin am 20. Mai an Kara Gjorgje, auch er sei an<lb/>
der Zusammenkunft verhindert, weil er den seinen Befehlsbezirk inspizierenden<lb/>
Erzherzog Ludwig begleiten müsse, doch sende er vier Vertreter, welche alle<lb/>
Vollmacht und Verhaltungsmaßregeln besäßen, um die Sache endgültig ab¬<lb/>
zuschließen. Es waren dies: Oberst Perß. Oberstleutnant Stanisavljevitsch.<lb/>
Bürgermeister Hadshitsch und der Kaufmann Milosch Uroschevitsch. Die Ver¬<lb/>
haltungsmaßregeln vom 20. Mai 1808 dieser vier lauteten folgendermaßen:<lb/>
Wenn Belgrad Österreich übergeben wird, wäre die Verbindung mit den öster¬<lb/>
reichischen Ländern ununterbrochen und die Serben könnten dann aus Osterreich<lb/>
alles beziehen, was sie zum Leben und zu ihrer Verteidigung brauchen. Auch im<lb/>
schlimmsten Falle böte ihnen Belgrad mit Umgebung einen sicheren Zufluchts¬<lb/>
ort, wohin sie ihre Familien und Habe unter österreichischem Schutz bringen<lb/>
könnten. Durch Besetzung Belgrads würde Osterreich die Verpflichtung über¬<lb/>
nehmen, die Serben gegen ihre Feinde zu schützen, sie mit Waffen und Schie߬<lb/>
bedarf zu versorgen, die Festung in gutem Stand zu erhalten. Die Führer<lb/>
und der Senat wären selbständig in ihrer Herrschaft, Serbien würde seine gegen¬<lb/>
wärtigen Einrichtungen behalten bis etwas Endgültiges festgesetzt ist. Privateigentum<lb/>
wäre unverletzlich. Die Festung würde niemals an die Feinde Serbiens übergeben<lb/>
werden und nach geschlossenem Frieden würden niemals in Serbien ungarische<lb/>
Gesetze eingeführt werden, sondern die Verfassung der k. k. Militärgrenze.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1318"> Oberst Perß besprach sich über diese Punkte mit Jevtitsch, der darüber an<lb/>
Kara Gjorgje berichtete, ihn um den Befehl bittend, er möge sagen, unter<lb/>
welchen Bedingungen das ganze Serbenvolk unter den hohen österreichischen<lb/>
Schutz treten wolle.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1319" next="#ID_1320"> Soweit war alles gut gegangen und Serbiens Schicksal und seine weitere<lb/>
Entwicklung hätte eine ganz andere Richtung genommen, wenn nicht der ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0368] Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert Simbschen berichtete darüber am 5. April an den Erzherzog Karl, der ihn am 14. April beauftragte, den Serben Getreide und Mehl sicher zu versprechen, aber unter der Bedingung, daß sie einen untrüglichen Beweis ihrer Ergebenheit und Loyalität geben, indem sie die Belgrader Festung von kaiserlichen Truppen besetzen lassen. Dies solle man aber den Serben nicht unmittelbar sagen, sondern man möge die Verhandlungen so führen, daß die Serben von selbst auf die Idee verfallen, einen solchen Antrag zu stellen. Simbschen könnte dann auch versprechen, daß. die Serben niemals mit dem ungarischen Königreich vereinigt und daß sie auch niemals nach ungarischen Gesetzen regiert würden. Simbschen erhielt ferner den Auftrag Belgrad auch ohne solche Übereinkunft zu besetzen, ohne erst in Wien anzufragen, falls Ge¬ fahr entstehen sollte, daß Rußland Belgrad besetze. Simbschen lud also Kara Gjorgje zu einer neuerlichen Besprechung, erhielt aber die Antwort (vom 5. Mai), daß er jetzt nicht abkommen könne, weil er an der Drina den türkischen Angriff abschlagen müsse. Er sende aber seine Schreiber Jevtitsch und Maden, welche sein volles Vertrauen genössen. Simbschen schrieb daraufhin am 20. Mai an Kara Gjorgje, auch er sei an der Zusammenkunft verhindert, weil er den seinen Befehlsbezirk inspizierenden Erzherzog Ludwig begleiten müsse, doch sende er vier Vertreter, welche alle Vollmacht und Verhaltungsmaßregeln besäßen, um die Sache endgültig ab¬ zuschließen. Es waren dies: Oberst Perß. Oberstleutnant Stanisavljevitsch. Bürgermeister Hadshitsch und der Kaufmann Milosch Uroschevitsch. Die Ver¬ haltungsmaßregeln vom 20. Mai 1808 dieser vier lauteten folgendermaßen: Wenn Belgrad Österreich übergeben wird, wäre die Verbindung mit den öster¬ reichischen Ländern ununterbrochen und die Serben könnten dann aus Osterreich alles beziehen, was sie zum Leben und zu ihrer Verteidigung brauchen. Auch im schlimmsten Falle böte ihnen Belgrad mit Umgebung einen sicheren Zufluchts¬ ort, wohin sie ihre Familien und Habe unter österreichischem Schutz bringen könnten. Durch Besetzung Belgrads würde Osterreich die Verpflichtung über¬ nehmen, die Serben gegen ihre Feinde zu schützen, sie mit Waffen und Schie߬ bedarf zu versorgen, die Festung in gutem Stand zu erhalten. Die Führer und der Senat wären selbständig in ihrer Herrschaft, Serbien würde seine gegen¬ wärtigen Einrichtungen behalten bis etwas Endgültiges festgesetzt ist. Privateigentum wäre unverletzlich. Die Festung würde niemals an die Feinde Serbiens übergeben werden und nach geschlossenem Frieden würden niemals in Serbien ungarische Gesetze eingeführt werden, sondern die Verfassung der k. k. Militärgrenze. Oberst Perß besprach sich über diese Punkte mit Jevtitsch, der darüber an Kara Gjorgje berichtete, ihn um den Befehl bittend, er möge sagen, unter welchen Bedingungen das ganze Serbenvolk unter den hohen österreichischen Schutz treten wolle. Soweit war alles gut gegangen und Serbiens Schicksal und seine weitere Entwicklung hätte eine ganz andere Richtung genommen, wenn nicht der ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/368
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/368>, abgerufen am 23.07.2024.