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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert

"Aber alles hängt natürlich von der allerhöchsten Weisheit Eurer
Majestät ab."

Unter diesen Bericht schrieb dann Kaiser Franz folgende Zeilen:

"Ich genehmige Eure Meinungen, nur wünsche ich, daß man den serbischen
Christen von der Wohlgeneigtheit der Pforte gegen sie nicht mehr sage, als diese
in Wirklichkeit zeigt; ferner wünsche ich, daß jene christlichen Untertanen aus
Serbien, die sich an Mich um Schutz gewendet haben, sowie jene, welche ihre
Unterwerfung antrugen, nicht der Rache der Pforte ausgeliefert werden, auf daß
diese sie nicht dann verfolgt, züchtigt oder mißhandelt; schließlich hat die Staats¬
kanzlei Sorge zu tragen, daß die Belehrung der Serben-Christen und das
Verhalten Unserer zuständigen Militär- und Zivilbehörden bei den etwa ein¬
tretenden Ereignissen völlig mit diesen Vorschlägen übereinstimme, welche ich
mit den eben angeführten Änderungen billige. .

Da diese beiden Urkunden für sich sprechen, bedürfen sie kaum einer
Glossierung. Es genüge zu erwähnen, daß Kara Gjorgje, nachdem er sich in
seinen Hoffnungen auf Österreich getäuscht sah, mit eigenen Kräften den Auf¬
stand weiter führte, dank feinem angeborenen Feldherrntalent*) einen zweiten
Belgrader Pascha schlug, Smederevo erstürmte, das ganze Land von Türken
säuberte und diese in ihren drei Festungen Belgrad, Schabac und Ushice ein¬
schloß, die er aber ohne Artillerie nicht nehmen konnte. Als er so weit war,
hoffte er beim Wiener Hofe mehr Verständnis zu finden und deshalb schrieb
er am 6. Juni 1805 an den Landesbefehlshaber Baron Geneczyne folgenden
Brief:

"Wir teilen untertänigst mit, daß alles gut steht. Bis heute haben wir
97 000 (?) Mann unter den Waffen. Unaufhörlich erhalten wir aus Bosnien,
Sostja und Skadar ("Scutari" in Albanien) Nachrichten, daß die Türken sich
anschicken, uns von allen Seiten anzugreifen. Mit Gottes Hilfe hoffen wir
zu widerstehen. In dieser Lage bitten und empfehlen wir uns der Gnade
des Kaisers und Eurer Excellenz, denn einer klugen Auffassung kann es nicht
entgehen, wem wir in Wirklichkeit zugetan sind, für wen wir uns abmühen
und Blut vergießen und wir, verlassen uns darauf, daß dies schließlich für
das Kaiserhaus von Nutzen sein werde. Schließlich bitten wir, daß man uns
so schnell als möglich durch die serbischen Kaufleute Milosch Nertschevitsch, Dimitrije



*) Der verstorbene General Zach, (ein geborener Österreicher), durch Jahrzehnte Vor¬
stand der Belgrader Militär-Akademie, teilte mir mit, daß er die Feldzüge Kara Gjorgjes
an Ort und Stelle studiert habe und von tiefem Staunen ergriffen wurde, als er sah,
Welche Stellungen Kara Gjorgje eingenommen und wie er operiert hatte. "Kein hoch¬
gelehrter westlicher Feldherr hätte es besser machen können als dieser analphabetische ehe¬
malige k. k, Feldwebel. An ihm konnte ich zur Erkenntnis kommen, daß Feldhcrrntalente
nicht anerzogen werden können, sondern angeboren sein müssen. Denn schließlich, wo hätten
denn Alexander, Hannibal und Cäsar Strategie und Taktik studiert?" So urteilte de"
studierte General über Kara Gjorgje.
Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert

„Aber alles hängt natürlich von der allerhöchsten Weisheit Eurer
Majestät ab."

Unter diesen Bericht schrieb dann Kaiser Franz folgende Zeilen:

„Ich genehmige Eure Meinungen, nur wünsche ich, daß man den serbischen
Christen von der Wohlgeneigtheit der Pforte gegen sie nicht mehr sage, als diese
in Wirklichkeit zeigt; ferner wünsche ich, daß jene christlichen Untertanen aus
Serbien, die sich an Mich um Schutz gewendet haben, sowie jene, welche ihre
Unterwerfung antrugen, nicht der Rache der Pforte ausgeliefert werden, auf daß
diese sie nicht dann verfolgt, züchtigt oder mißhandelt; schließlich hat die Staats¬
kanzlei Sorge zu tragen, daß die Belehrung der Serben-Christen und das
Verhalten Unserer zuständigen Militär- und Zivilbehörden bei den etwa ein¬
tretenden Ereignissen völlig mit diesen Vorschlägen übereinstimme, welche ich
mit den eben angeführten Änderungen billige. .

Da diese beiden Urkunden für sich sprechen, bedürfen sie kaum einer
Glossierung. Es genüge zu erwähnen, daß Kara Gjorgje, nachdem er sich in
seinen Hoffnungen auf Österreich getäuscht sah, mit eigenen Kräften den Auf¬
stand weiter führte, dank feinem angeborenen Feldherrntalent*) einen zweiten
Belgrader Pascha schlug, Smederevo erstürmte, das ganze Land von Türken
säuberte und diese in ihren drei Festungen Belgrad, Schabac und Ushice ein¬
schloß, die er aber ohne Artillerie nicht nehmen konnte. Als er so weit war,
hoffte er beim Wiener Hofe mehr Verständnis zu finden und deshalb schrieb
er am 6. Juni 1805 an den Landesbefehlshaber Baron Geneczyne folgenden
Brief:

„Wir teilen untertänigst mit, daß alles gut steht. Bis heute haben wir
97 000 (?) Mann unter den Waffen. Unaufhörlich erhalten wir aus Bosnien,
Sostja und Skadar („Scutari" in Albanien) Nachrichten, daß die Türken sich
anschicken, uns von allen Seiten anzugreifen. Mit Gottes Hilfe hoffen wir
zu widerstehen. In dieser Lage bitten und empfehlen wir uns der Gnade
des Kaisers und Eurer Excellenz, denn einer klugen Auffassung kann es nicht
entgehen, wem wir in Wirklichkeit zugetan sind, für wen wir uns abmühen
und Blut vergießen und wir, verlassen uns darauf, daß dies schließlich für
das Kaiserhaus von Nutzen sein werde. Schließlich bitten wir, daß man uns
so schnell als möglich durch die serbischen Kaufleute Milosch Nertschevitsch, Dimitrije



*) Der verstorbene General Zach, (ein geborener Österreicher), durch Jahrzehnte Vor¬
stand der Belgrader Militär-Akademie, teilte mir mit, daß er die Feldzüge Kara Gjorgjes
an Ort und Stelle studiert habe und von tiefem Staunen ergriffen wurde, als er sah,
Welche Stellungen Kara Gjorgje eingenommen und wie er operiert hatte. „Kein hoch¬
gelehrter westlicher Feldherr hätte es besser machen können als dieser analphabetische ehe¬
malige k. k, Feldwebel. An ihm konnte ich zur Erkenntnis kommen, daß Feldhcrrntalente
nicht anerzogen werden können, sondern angeboren sein müssen. Denn schließlich, wo hätten
denn Alexander, Hannibal und Cäsar Strategie und Taktik studiert?" So urteilte de«
studierte General über Kara Gjorgje.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/362>, abgerufen am 22.07.2024.