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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert

die Monarchie angetragen hat, nämlich am 25. Mai 1804, 6. Juni 1305,
6. Februar 1806, 5. April 1808, 2. April 1809. 17. Dezember 1809.
4. März 1810 und 13. September 1813, wobei er miederholt versicherte, daß
Serbien bei der Einverleibung in Österreich am besten fahren würde. Angesichts
des Umstandes, daß jetzt wohl der damalige Wunsch des serbischen Freiheits¬
helden in Erfüllung gehen dürfte, erscheint es von besonderem Interesse und
pikantem Beigeschmack, die diesbezüglichen Urkunden kennen zu lernen, welche
sich in den Staatsarchiven von Belgrad, Wien und Petersburg befinden.

Gleich beim Ausbruch des Aufstandes der Serben gegen die Pforte 1804
und einige Tage bevor am 10. Mai die Zusammenkunft der Abgesandten des
Belgrader Paschas und der Aufständischen in der Wohnung des österreichischen
Befehlshabers zu Zemun ("Semlin") behufs Verhandlungen stattfand, sagte
Kara Gjorgje zum österreichischen Hauptmann Schaptinski: "Das serbische Volk
kann und will nicht länger unter türkischem Joch schmachten. Der Wunsch
des gesamten Volkes ist, unter die Regierung des österreichischen Kaiserhauses
zu kommen. In Belgrad, Schabatsch und Smederevo ("Semendria") ist alles
bereit, den Kaiser zu bitten, daß er einen Erzherzog als Statthalter ins Land
sende. Sollte Österreich nicht darauf eingehen, so würden die Serben, obgleich
sehr ungern, gezwungen sein, sich an eine andere christliche Macht zu wenden,
nur um den ferneren Bedrückungen durch die Türken zu entgehen.

Dies wurde dem Kaiser Franz sofort berichtet, welcher darüber von seiner
Regierung ein Gutachten verlangte. Am 25. Mai erstatteten somit Fürst
Colloredo und Graf Kobenzl folgenden Bericht:

"Eine sich selbst anbietende Provinz in Besitz zu nehmen -- und sei es
auch in feierlicher Weise und infolge allgemeinen freien Willens, und wäre es
auch von noch so großem Vorteil -- würde offen die Staatstreue und die
Religion verletzen und derlei kann von der kaiserlichen Treue nicht ange¬
nommen werden, garnicht zu reden von den unabsehbaren Folgen, welche eine
so beliebte gefährliche Sache unvermeidlich bei den Großmächten hervorrufen
würde. Von diesem doppelten Gesichtspunkt aus muß der Antrag abgelehnt
werden. Aber jedenfalls soll dieser Antrag dazu benutzt werden, dem ansehn¬
lichen serbischen Volke das gnädige Wohlwollen und die Teilnahme Eurer
Majestät zu versichern, mit der Belehrung, daß es vorläufig unmöglich sei,
daß es jemand andern als der Pforte untertänig sei, die ihm gegenüber sehr
wohlgeneigt wäre, sowie schließlich das Versprechen zu geben, daß sich Eure
Majestät für die Serben bei deren Herrscher verwenden wollen, damit die
Zuneigung der Serben für das kaiserliche Haus gesichert bleibe, weil diese
immerhin nach Wiederherstellung des Friedens mindestens größere Sicherheit
für den Handel und Verkehr verbürgt.

"Was die Pforte betrifft, so glauben wir, daß man ihr sofort durch unseren
Jnternuntius (Geschäftsträger) mitteilen soll, daß die Zusammenkunft in Zemun
erfolglos blieb, daß man ihr zu verstehen gebe, wie ihre äußerste Halsstarrig-


Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert

die Monarchie angetragen hat, nämlich am 25. Mai 1804, 6. Juni 1305,
6. Februar 1806, 5. April 1808, 2. April 1809. 17. Dezember 1809.
4. März 1810 und 13. September 1813, wobei er miederholt versicherte, daß
Serbien bei der Einverleibung in Österreich am besten fahren würde. Angesichts
des Umstandes, daß jetzt wohl der damalige Wunsch des serbischen Freiheits¬
helden in Erfüllung gehen dürfte, erscheint es von besonderem Interesse und
pikantem Beigeschmack, die diesbezüglichen Urkunden kennen zu lernen, welche
sich in den Staatsarchiven von Belgrad, Wien und Petersburg befinden.

Gleich beim Ausbruch des Aufstandes der Serben gegen die Pforte 1804
und einige Tage bevor am 10. Mai die Zusammenkunft der Abgesandten des
Belgrader Paschas und der Aufständischen in der Wohnung des österreichischen
Befehlshabers zu Zemun („Semlin") behufs Verhandlungen stattfand, sagte
Kara Gjorgje zum österreichischen Hauptmann Schaptinski: „Das serbische Volk
kann und will nicht länger unter türkischem Joch schmachten. Der Wunsch
des gesamten Volkes ist, unter die Regierung des österreichischen Kaiserhauses
zu kommen. In Belgrad, Schabatsch und Smederevo („Semendria") ist alles
bereit, den Kaiser zu bitten, daß er einen Erzherzog als Statthalter ins Land
sende. Sollte Österreich nicht darauf eingehen, so würden die Serben, obgleich
sehr ungern, gezwungen sein, sich an eine andere christliche Macht zu wenden,
nur um den ferneren Bedrückungen durch die Türken zu entgehen.

Dies wurde dem Kaiser Franz sofort berichtet, welcher darüber von seiner
Regierung ein Gutachten verlangte. Am 25. Mai erstatteten somit Fürst
Colloredo und Graf Kobenzl folgenden Bericht:

„Eine sich selbst anbietende Provinz in Besitz zu nehmen — und sei es
auch in feierlicher Weise und infolge allgemeinen freien Willens, und wäre es
auch von noch so großem Vorteil — würde offen die Staatstreue und die
Religion verletzen und derlei kann von der kaiserlichen Treue nicht ange¬
nommen werden, garnicht zu reden von den unabsehbaren Folgen, welche eine
so beliebte gefährliche Sache unvermeidlich bei den Großmächten hervorrufen
würde. Von diesem doppelten Gesichtspunkt aus muß der Antrag abgelehnt
werden. Aber jedenfalls soll dieser Antrag dazu benutzt werden, dem ansehn¬
lichen serbischen Volke das gnädige Wohlwollen und die Teilnahme Eurer
Majestät zu versichern, mit der Belehrung, daß es vorläufig unmöglich sei,
daß es jemand andern als der Pforte untertänig sei, die ihm gegenüber sehr
wohlgeneigt wäre, sowie schließlich das Versprechen zu geben, daß sich Eure
Majestät für die Serben bei deren Herrscher verwenden wollen, damit die
Zuneigung der Serben für das kaiserliche Haus gesichert bleibe, weil diese
immerhin nach Wiederherstellung des Friedens mindestens größere Sicherheit
für den Handel und Verkehr verbürgt.

„Was die Pforte betrifft, so glauben wir, daß man ihr sofort durch unseren
Jnternuntius (Geschäftsträger) mitteilen soll, daß die Zusammenkunft in Zemun
erfolglos blieb, daß man ihr zu verstehen gebe, wie ihre äußerste Halsstarrig-


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[0360] Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert die Monarchie angetragen hat, nämlich am 25. Mai 1804, 6. Juni 1305, 6. Februar 1806, 5. April 1808, 2. April 1809. 17. Dezember 1809. 4. März 1810 und 13. September 1813, wobei er miederholt versicherte, daß Serbien bei der Einverleibung in Österreich am besten fahren würde. Angesichts des Umstandes, daß jetzt wohl der damalige Wunsch des serbischen Freiheits¬ helden in Erfüllung gehen dürfte, erscheint es von besonderem Interesse und pikantem Beigeschmack, die diesbezüglichen Urkunden kennen zu lernen, welche sich in den Staatsarchiven von Belgrad, Wien und Petersburg befinden. Gleich beim Ausbruch des Aufstandes der Serben gegen die Pforte 1804 und einige Tage bevor am 10. Mai die Zusammenkunft der Abgesandten des Belgrader Paschas und der Aufständischen in der Wohnung des österreichischen Befehlshabers zu Zemun („Semlin") behufs Verhandlungen stattfand, sagte Kara Gjorgje zum österreichischen Hauptmann Schaptinski: „Das serbische Volk kann und will nicht länger unter türkischem Joch schmachten. Der Wunsch des gesamten Volkes ist, unter die Regierung des österreichischen Kaiserhauses zu kommen. In Belgrad, Schabatsch und Smederevo („Semendria") ist alles bereit, den Kaiser zu bitten, daß er einen Erzherzog als Statthalter ins Land sende. Sollte Österreich nicht darauf eingehen, so würden die Serben, obgleich sehr ungern, gezwungen sein, sich an eine andere christliche Macht zu wenden, nur um den ferneren Bedrückungen durch die Türken zu entgehen. Dies wurde dem Kaiser Franz sofort berichtet, welcher darüber von seiner Regierung ein Gutachten verlangte. Am 25. Mai erstatteten somit Fürst Colloredo und Graf Kobenzl folgenden Bericht: „Eine sich selbst anbietende Provinz in Besitz zu nehmen — und sei es auch in feierlicher Weise und infolge allgemeinen freien Willens, und wäre es auch von noch so großem Vorteil — würde offen die Staatstreue und die Religion verletzen und derlei kann von der kaiserlichen Treue nicht ange¬ nommen werden, garnicht zu reden von den unabsehbaren Folgen, welche eine so beliebte gefährliche Sache unvermeidlich bei den Großmächten hervorrufen würde. Von diesem doppelten Gesichtspunkt aus muß der Antrag abgelehnt werden. Aber jedenfalls soll dieser Antrag dazu benutzt werden, dem ansehn¬ lichen serbischen Volke das gnädige Wohlwollen und die Teilnahme Eurer Majestät zu versichern, mit der Belehrung, daß es vorläufig unmöglich sei, daß es jemand andern als der Pforte untertänig sei, die ihm gegenüber sehr wohlgeneigt wäre, sowie schließlich das Versprechen zu geben, daß sich Eure Majestät für die Serben bei deren Herrscher verwenden wollen, damit die Zuneigung der Serben für das kaiserliche Haus gesichert bleibe, weil diese immerhin nach Wiederherstellung des Friedens mindestens größere Sicherheit für den Handel und Verkehr verbürgt. „Was die Pforte betrifft, so glauben wir, daß man ihr sofort durch unseren Jnternuntius (Geschäftsträger) mitteilen soll, daß die Zusammenkunft in Zemun erfolglos blieb, daß man ihr zu verstehen gebe, wie ihre äußerste Halsstarrig-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/360>, abgerufen am 22.07.2024.