Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.Altpreußisch o Romantik in Polen flüchten. Zu Johanni dieses Jahres wurde er an die Kammer zu Plock ver¬ Altpreußisch o Romantik in Polen flüchten. Zu Johanni dieses Jahres wurde er an die Kammer zu Plock ver¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0036" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324445"/> <fw type="header" place="top"> Altpreußisch o Romantik in Polen</fw><lb/> <p xml:id="ID_66" prev="#ID_65"> flüchten. Zu Johanni dieses Jahres wurde er an die Kammer zu Plock ver¬<lb/> setzt und führte nun im Kreise junger Polen ein freies Leben, so daß er selbst<lb/> noch viel später diese zwei Plocker Jahre als „die glücklichsten, frohesten und<lb/> heitersten seines Lebens" betrachtete. So wurde er trotz seines Berufes um<lb/> 1794 ein Feind der Teilungsmächte und ein enthusiastischer Polenfreund.<lb/> Die polnische Frage hat seine Jünglings- und Mannesjahre stark beherrscht<lb/> und ist erst 1810 endgültig religiösen Interessen gewichen. Seine politische<lb/> Jugendlyrik bedeutet den Gipfelpunkt der deutschen Polendichtung des achtzehnten<lb/> Jahrhunderts. 1796 wurde Werner nach Warschau versetzt und ergab sich in<lb/> der leichtlebigen Stadt, die am besten mit seinen Worten an Regiomontanus:<lb/> „alle Laster zügellos, kein schuldloser Genuß" charakterisiert wird, einem aus¬<lb/> schweifenden Leben, ohne doch ganz darin auszugehen. In Warschau fand er<lb/> in dem jungen Auskultator Hitzig, seinem späteren Biographen, einen getreuen<lb/> Jünger, und jetzt erst regte sich in ihm zum erstenmal der Dramatiker. In<lb/> dieser Warschauer Periode (1796 bis 1805) wurzelt Werners dramatische<lb/> Polenromantik. 1800 begann er seine „Söhne des Tals", in denen er bei<lb/> allem unklaren Mystizismus und trotz Verschwommenheit des Grundplanes eine<lb/> Kraft zeigt, die er später nur gelegentlich wieder erreicht hat. Der Jünglings-<lb/> figur des Tempelritters Robert d'Heredon hat er die Züge seines Freundes<lb/> Hitzig verliehen, mit dem er oft im Sommer Ausflüge nach der in klösterlicher<lb/> Einsamkeit in dichtem Walde zauberhaft an der Weichsel liegenden Abtei<lb/> Bielany machte. Der Sonntag wurde durchweg im Freien, auf Streifereien,<lb/> bei Wasserfahrten auf der Weichsel bis zum späten Abend zugebracht. Im<lb/> Walde wurde biwakiert, unter einem Zelt geschlafen .... Nach einigen<lb/> Königsberger Reisen lernte Werner in Warschau Hoffmann kennen; auch den alten<lb/> Freund Hitzig fand er nach der Trennung wieder hier wieder. Aber er suchte<lb/> mit allen Kräften von Warschau loszukommen; seine Wünsche richteten sich nach<lb/> Berlin. In dieser Stimmung hatte er den Stoff seines zweiten Trauerspiels „Das<lb/> Kreuz an der Ostsee" gewählt. In diesem Drama wollte er, der Polenfreund, den<lb/> deutschen Orden poetisch verklären, auf einem Boden, der jenem immer feindlich<lb/> gewesen war. Doch geriet ihm auch hier die Ausführung durchweg romantisch<lb/> und mystisch, sodaß Hoffmann, der die dazu nötige Musik komponierte, mit Recht<lb/> sagen konnte: „Dieses Kreuz kreuzige einen wirklich mit allen nur möglichen<lb/> Formen der neuen Schule." Das Vorspiel, das allein fertig geworden ist,<lb/> stellte dem Komponisten dankbare Aufgaben: die Charakteristik der heidnischen<lb/> Preußen, die Schlacht zwischen den Rittern und den Preußen und<lb/> das Überirdische in der Person des si. Adalbert. Neben wirksamen<lb/> Bühnenszenen sind besonders die Frauengestalten, die „einen Zyklus<lb/> polnischer Weiblichkeit" geben, wohlgelungen. Endlich, im Herbst 1805,<lb/> erfüllte sich Werners Wunsch: er erhielt eine Sekretärstelle beim Minister<lb/> Schroeter, und so traf der Dichter im Oktober dieses Jahres im heißersehnten<lb/> Berlin ein.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0036]
Altpreußisch o Romantik in Polen
flüchten. Zu Johanni dieses Jahres wurde er an die Kammer zu Plock ver¬
setzt und führte nun im Kreise junger Polen ein freies Leben, so daß er selbst
noch viel später diese zwei Plocker Jahre als „die glücklichsten, frohesten und
heitersten seines Lebens" betrachtete. So wurde er trotz seines Berufes um
1794 ein Feind der Teilungsmächte und ein enthusiastischer Polenfreund.
Die polnische Frage hat seine Jünglings- und Mannesjahre stark beherrscht
und ist erst 1810 endgültig religiösen Interessen gewichen. Seine politische
Jugendlyrik bedeutet den Gipfelpunkt der deutschen Polendichtung des achtzehnten
Jahrhunderts. 1796 wurde Werner nach Warschau versetzt und ergab sich in
der leichtlebigen Stadt, die am besten mit seinen Worten an Regiomontanus:
„alle Laster zügellos, kein schuldloser Genuß" charakterisiert wird, einem aus¬
schweifenden Leben, ohne doch ganz darin auszugehen. In Warschau fand er
in dem jungen Auskultator Hitzig, seinem späteren Biographen, einen getreuen
Jünger, und jetzt erst regte sich in ihm zum erstenmal der Dramatiker. In
dieser Warschauer Periode (1796 bis 1805) wurzelt Werners dramatische
Polenromantik. 1800 begann er seine „Söhne des Tals", in denen er bei
allem unklaren Mystizismus und trotz Verschwommenheit des Grundplanes eine
Kraft zeigt, die er später nur gelegentlich wieder erreicht hat. Der Jünglings-
figur des Tempelritters Robert d'Heredon hat er die Züge seines Freundes
Hitzig verliehen, mit dem er oft im Sommer Ausflüge nach der in klösterlicher
Einsamkeit in dichtem Walde zauberhaft an der Weichsel liegenden Abtei
Bielany machte. Der Sonntag wurde durchweg im Freien, auf Streifereien,
bei Wasserfahrten auf der Weichsel bis zum späten Abend zugebracht. Im
Walde wurde biwakiert, unter einem Zelt geschlafen .... Nach einigen
Königsberger Reisen lernte Werner in Warschau Hoffmann kennen; auch den alten
Freund Hitzig fand er nach der Trennung wieder hier wieder. Aber er suchte
mit allen Kräften von Warschau loszukommen; seine Wünsche richteten sich nach
Berlin. In dieser Stimmung hatte er den Stoff seines zweiten Trauerspiels „Das
Kreuz an der Ostsee" gewählt. In diesem Drama wollte er, der Polenfreund, den
deutschen Orden poetisch verklären, auf einem Boden, der jenem immer feindlich
gewesen war. Doch geriet ihm auch hier die Ausführung durchweg romantisch
und mystisch, sodaß Hoffmann, der die dazu nötige Musik komponierte, mit Recht
sagen konnte: „Dieses Kreuz kreuzige einen wirklich mit allen nur möglichen
Formen der neuen Schule." Das Vorspiel, das allein fertig geworden ist,
stellte dem Komponisten dankbare Aufgaben: die Charakteristik der heidnischen
Preußen, die Schlacht zwischen den Rittern und den Preußen und
das Überirdische in der Person des si. Adalbert. Neben wirksamen
Bühnenszenen sind besonders die Frauengestalten, die „einen Zyklus
polnischer Weiblichkeit" geben, wohlgelungen. Endlich, im Herbst 1805,
erfüllte sich Werners Wunsch: er erhielt eine Sekretärstelle beim Minister
Schroeter, und so traf der Dichter im Oktober dieses Jahres im heißersehnten
Berlin ein.
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