Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Eigentlich wäre noch die einmal monatlich erscheinende "Kunstbeilage" des
Rigaer Tageblatts als besondere Zeitschrift zu zählen. Diesen 46 deutschen
Blättern stehen etwa 49 lettische. 22 russische (darunter die drei Gouvernements¬
anzeiger), 14 chemische und zwei litauische gegenüber. Unter den lettischen sind
ein paar von deutschen Pastoren herausgegebene kirchlich-erbauliche Blätter.
Einen Vergleich im geistigen Niveau halten die undeutschen mit den deutschen
Zeitschriften nicht aus. Da den rund 200000 Deutschen 2 Millionen Letten
und Ehlen gegenüberstehen, würde man erwarten, daß es etwa zehnmal soviel
undeutsche wie deutsche Zeitschriften gibt. Statt dessen ist das Verhältnis der
chemisch-lettischen zu den deutschen Zeitschriften nur wie etwa 4:3.


Stände und Berufe.

Die deutsche Bevölkerung der Ostseeprovinzen gliedert sich in drei Stände:
Adel, Literaten und "Bürger" (im engern Sinne). Der Adel ist korporativ
zusammengeschlossen zu den "Ritterschaften" im engern Sinne. Ursprünglich hatte
nämlich nur der Adel auf den Landtagen Sitz und Stimme. Als die bürger¬
lichen Gutsbesitzer das Stimmrecht erhielten, blieben eine Anzahl von Land¬
tagsverhandlungsgegenständen dem immatrikulierten Adel d. h. den Gliedern
der in die Matrikel der Provinz eingetragenen Familien deutschen Adels vor¬
behalten, z. B. das Recht, Personen in die Matrikel aufzunehmen oder aus ihnen
auszuschließen. Diese Adelskorporation ist nicht ein Verein von einer Reihe adliger
Personen, sondern noch ein Stand im eigentlichen Sinne dieses Wortes mit
allen Merkmalen eines solchen: Gemeinsamkeit von Traditionen, Anschauungen,
gesellschaftlichen Ansprüchen, des Ehrbegriffs. Solidaritätsgefühl. Standesdisziplin
was man von der Klasse von Personen, die in Deutschland jetzt offiziell
dem Adel angehören, nicht aussagen kann. Diese ideellen Momente darf man
nicht gering anschlagen; sie schweißen den Stand erst zur Einheit zusammen, die
ihn im Nationalitätenkampfe eine Macht werden läßt.

Seinem Berufe nach ist ein großer Teil des Adels Gutsbesitzer. Sonst
trifft man viel Bankbeamte, Rechtsanwälte. Ärzte und besonders in Livland
Gelehrte und Schriftsteller unter den Edelleuten.

Der Adel ist keine Kaste mit ägyptischer Abgeschlossenh 'it. Mannigfache
Beziehungen laufen zum zielen Stande, den "Ltterawi", hinüber. Gesell-
schaftliche Beziehungen, die von dem Dorpater Korps herstammenden gemein¬
samen Traditionen, der gleiche Ehrbegriff, auf Grund dessen Edelmann und
Literat sich Satisfaktion geben, berufliche und vielfach Familienbeziehungen ver-
einigen die beiden Stände zu einer führenden Gesellschaft, die im Nationali-
tätenkampfe das meiste geleistet hat. Im übrigen ist vom Literatenstand schon
die Rede gewesen.

Eine dritte Gruppe ist das Bürgertum. Sie ist nicht in dem Sinne wie
die beiden anderen Gruppen zu einem Stande zusammengeschweißt. Immerhin
fehlt es auch ihr nicht an Organisierung. Die Vereinheitlichung ist hier auf


Eigentlich wäre noch die einmal monatlich erscheinende „Kunstbeilage" des
Rigaer Tageblatts als besondere Zeitschrift zu zählen. Diesen 46 deutschen
Blättern stehen etwa 49 lettische. 22 russische (darunter die drei Gouvernements¬
anzeiger), 14 chemische und zwei litauische gegenüber. Unter den lettischen sind
ein paar von deutschen Pastoren herausgegebene kirchlich-erbauliche Blätter.
Einen Vergleich im geistigen Niveau halten die undeutschen mit den deutschen
Zeitschriften nicht aus. Da den rund 200000 Deutschen 2 Millionen Letten
und Ehlen gegenüberstehen, würde man erwarten, daß es etwa zehnmal soviel
undeutsche wie deutsche Zeitschriften gibt. Statt dessen ist das Verhältnis der
chemisch-lettischen zu den deutschen Zeitschriften nur wie etwa 4:3.


Stände und Berufe.

Die deutsche Bevölkerung der Ostseeprovinzen gliedert sich in drei Stände:
Adel, Literaten und „Bürger" (im engern Sinne). Der Adel ist korporativ
zusammengeschlossen zu den „Ritterschaften" im engern Sinne. Ursprünglich hatte
nämlich nur der Adel auf den Landtagen Sitz und Stimme. Als die bürger¬
lichen Gutsbesitzer das Stimmrecht erhielten, blieben eine Anzahl von Land¬
tagsverhandlungsgegenständen dem immatrikulierten Adel d. h. den Gliedern
der in die Matrikel der Provinz eingetragenen Familien deutschen Adels vor¬
behalten, z. B. das Recht, Personen in die Matrikel aufzunehmen oder aus ihnen
auszuschließen. Diese Adelskorporation ist nicht ein Verein von einer Reihe adliger
Personen, sondern noch ein Stand im eigentlichen Sinne dieses Wortes mit
allen Merkmalen eines solchen: Gemeinsamkeit von Traditionen, Anschauungen,
gesellschaftlichen Ansprüchen, des Ehrbegriffs. Solidaritätsgefühl. Standesdisziplin
was man von der Klasse von Personen, die in Deutschland jetzt offiziell
dem Adel angehören, nicht aussagen kann. Diese ideellen Momente darf man
nicht gering anschlagen; sie schweißen den Stand erst zur Einheit zusammen, die
ihn im Nationalitätenkampfe eine Macht werden läßt.

Seinem Berufe nach ist ein großer Teil des Adels Gutsbesitzer. Sonst
trifft man viel Bankbeamte, Rechtsanwälte. Ärzte und besonders in Livland
Gelehrte und Schriftsteller unter den Edelleuten.

Der Adel ist keine Kaste mit ägyptischer Abgeschlossenh 'it. Mannigfache
Beziehungen laufen zum zielen Stande, den „Ltterawi", hinüber. Gesell-
schaftliche Beziehungen, die von dem Dorpater Korps herstammenden gemein¬
samen Traditionen, der gleiche Ehrbegriff, auf Grund dessen Edelmann und
Literat sich Satisfaktion geben, berufliche und vielfach Familienbeziehungen ver-
einigen die beiden Stände zu einer führenden Gesellschaft, die im Nationali-
tätenkampfe das meiste geleistet hat. Im übrigen ist vom Literatenstand schon
die Rede gewesen.

Eine dritte Gruppe ist das Bürgertum. Sie ist nicht in dem Sinne wie
die beiden anderen Gruppen zu einem Stande zusammengeschweißt. Immerhin
fehlt es auch ihr nicht an Organisierung. Die Vereinheitlichung ist hier auf


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0351" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324764"/>
            <fw type="header" place="top"/><lb/>
            <p xml:id="ID_1258"> Eigentlich wäre noch die einmal monatlich erscheinende &#x201E;Kunstbeilage" des<lb/>
Rigaer Tageblatts als besondere Zeitschrift zu zählen. Diesen 46 deutschen<lb/>
Blättern stehen etwa 49 lettische. 22 russische (darunter die drei Gouvernements¬<lb/>
anzeiger), 14 chemische und zwei litauische gegenüber. Unter den lettischen sind<lb/>
ein paar von deutschen Pastoren herausgegebene kirchlich-erbauliche Blätter.<lb/>
Einen Vergleich im geistigen Niveau halten die undeutschen mit den deutschen<lb/>
Zeitschriften nicht aus. Da den rund 200000 Deutschen 2 Millionen Letten<lb/>
und Ehlen gegenüberstehen, würde man erwarten, daß es etwa zehnmal soviel<lb/>
undeutsche wie deutsche Zeitschriften gibt. Statt dessen ist das Verhältnis der<lb/>
chemisch-lettischen zu den deutschen Zeitschriften nur wie etwa 4:3.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Stände und Berufe.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1259"> Die deutsche Bevölkerung der Ostseeprovinzen gliedert sich in drei Stände:<lb/>
Adel, Literaten und &#x201E;Bürger" (im engern Sinne). Der Adel ist korporativ<lb/>
zusammengeschlossen zu den &#x201E;Ritterschaften" im engern Sinne. Ursprünglich hatte<lb/>
nämlich nur der Adel auf den Landtagen Sitz und Stimme. Als die bürger¬<lb/>
lichen Gutsbesitzer das Stimmrecht erhielten, blieben eine Anzahl von Land¬<lb/>
tagsverhandlungsgegenständen dem immatrikulierten Adel d. h. den Gliedern<lb/>
der in die Matrikel der Provinz eingetragenen Familien deutschen Adels vor¬<lb/>
behalten, z. B. das Recht, Personen in die Matrikel aufzunehmen oder aus ihnen<lb/>
auszuschließen. Diese Adelskorporation ist nicht ein Verein von einer Reihe adliger<lb/>
Personen, sondern noch ein Stand im eigentlichen Sinne dieses Wortes mit<lb/>
allen Merkmalen eines solchen: Gemeinsamkeit von Traditionen, Anschauungen,<lb/>
gesellschaftlichen Ansprüchen, des Ehrbegriffs. Solidaritätsgefühl. Standesdisziplin<lb/>
was man von der Klasse von Personen, die in Deutschland jetzt offiziell<lb/>
dem Adel angehören, nicht aussagen kann. Diese ideellen Momente darf man<lb/>
nicht gering anschlagen; sie schweißen den Stand erst zur Einheit zusammen, die<lb/>
ihn im Nationalitätenkampfe eine Macht werden läßt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1260"> Seinem Berufe nach ist ein großer Teil des Adels Gutsbesitzer. Sonst<lb/>
trifft man viel Bankbeamte, Rechtsanwälte. Ärzte und besonders in Livland<lb/>
Gelehrte und Schriftsteller unter den Edelleuten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1261"> Der Adel ist keine Kaste mit ägyptischer Abgeschlossenh 'it. Mannigfache<lb/>
Beziehungen laufen zum zielen Stande, den &#x201E;Ltterawi", hinüber. Gesell-<lb/>
schaftliche Beziehungen, die von dem Dorpater Korps herstammenden gemein¬<lb/>
samen Traditionen, der gleiche Ehrbegriff, auf Grund dessen Edelmann und<lb/>
Literat sich Satisfaktion geben, berufliche und vielfach Familienbeziehungen ver-<lb/>
einigen die beiden Stände zu einer führenden Gesellschaft, die im Nationali-<lb/>
tätenkampfe das meiste geleistet hat. Im übrigen ist vom Literatenstand schon<lb/>
die Rede gewesen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1262" next="#ID_1263"> Eine dritte Gruppe ist das Bürgertum. Sie ist nicht in dem Sinne wie<lb/>
die beiden anderen Gruppen zu einem Stande zusammengeschweißt. Immerhin<lb/>
fehlt es auch ihr nicht an Organisierung. Die Vereinheitlichung ist hier auf</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0351] Eigentlich wäre noch die einmal monatlich erscheinende „Kunstbeilage" des Rigaer Tageblatts als besondere Zeitschrift zu zählen. Diesen 46 deutschen Blättern stehen etwa 49 lettische. 22 russische (darunter die drei Gouvernements¬ anzeiger), 14 chemische und zwei litauische gegenüber. Unter den lettischen sind ein paar von deutschen Pastoren herausgegebene kirchlich-erbauliche Blätter. Einen Vergleich im geistigen Niveau halten die undeutschen mit den deutschen Zeitschriften nicht aus. Da den rund 200000 Deutschen 2 Millionen Letten und Ehlen gegenüberstehen, würde man erwarten, daß es etwa zehnmal soviel undeutsche wie deutsche Zeitschriften gibt. Statt dessen ist das Verhältnis der chemisch-lettischen zu den deutschen Zeitschriften nur wie etwa 4:3. Stände und Berufe. Die deutsche Bevölkerung der Ostseeprovinzen gliedert sich in drei Stände: Adel, Literaten und „Bürger" (im engern Sinne). Der Adel ist korporativ zusammengeschlossen zu den „Ritterschaften" im engern Sinne. Ursprünglich hatte nämlich nur der Adel auf den Landtagen Sitz und Stimme. Als die bürger¬ lichen Gutsbesitzer das Stimmrecht erhielten, blieben eine Anzahl von Land¬ tagsverhandlungsgegenständen dem immatrikulierten Adel d. h. den Gliedern der in die Matrikel der Provinz eingetragenen Familien deutschen Adels vor¬ behalten, z. B. das Recht, Personen in die Matrikel aufzunehmen oder aus ihnen auszuschließen. Diese Adelskorporation ist nicht ein Verein von einer Reihe adliger Personen, sondern noch ein Stand im eigentlichen Sinne dieses Wortes mit allen Merkmalen eines solchen: Gemeinsamkeit von Traditionen, Anschauungen, gesellschaftlichen Ansprüchen, des Ehrbegriffs. Solidaritätsgefühl. Standesdisziplin was man von der Klasse von Personen, die in Deutschland jetzt offiziell dem Adel angehören, nicht aussagen kann. Diese ideellen Momente darf man nicht gering anschlagen; sie schweißen den Stand erst zur Einheit zusammen, die ihn im Nationalitätenkampfe eine Macht werden läßt. Seinem Berufe nach ist ein großer Teil des Adels Gutsbesitzer. Sonst trifft man viel Bankbeamte, Rechtsanwälte. Ärzte und besonders in Livland Gelehrte und Schriftsteller unter den Edelleuten. Der Adel ist keine Kaste mit ägyptischer Abgeschlossenh 'it. Mannigfache Beziehungen laufen zum zielen Stande, den „Ltterawi", hinüber. Gesell- schaftliche Beziehungen, die von dem Dorpater Korps herstammenden gemein¬ samen Traditionen, der gleiche Ehrbegriff, auf Grund dessen Edelmann und Literat sich Satisfaktion geben, berufliche und vielfach Familienbeziehungen ver- einigen die beiden Stände zu einer führenden Gesellschaft, die im Nationali- tätenkampfe das meiste geleistet hat. Im übrigen ist vom Literatenstand schon die Rede gewesen. Eine dritte Gruppe ist das Bürgertum. Sie ist nicht in dem Sinne wie die beiden anderen Gruppen zu einem Stande zusammengeschweißt. Immerhin fehlt es auch ihr nicht an Organisierung. Die Vereinheitlichung ist hier auf

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/351
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/351>, abgerufen am 22.07.2024.