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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Altpreußische Romantik in Polen

im Malrock auf einem Gerüst im neuen Lokal der Ressource mitten unter
Farbentöpfen, eine Flasche Ungar zur Seite, und ließ sich von Freunden von
unten herauf unterhalten ... Im Dezember 1804 schrieb er die Musik zu Brentanos
märchenhaften, unter Gozzis Einfluß stehenden "Luftiger Musikanten", die er
im folgenden April auf die Bühne brachte.

Mit Gozzis Dramen, von denen auch der Westpreuße Karl Edler von
Putlitz (geboren um 1770. gestorben 1822) aus Marienburg, Regierungsrat
zu Plock, Verfasser eines dramatischen Gedichts "Zoraide" (1307) und der
"Klagelieder und Briefe unberühmter Personen über Gegenstände der Zeit" (1817),
1822 eins sür sein Zauberspiel "Der Rabe" zum Muster nahm, ist Hoffmann
wohl in Warschau bekannt geworden. 1805 bis 1806 komponierte er eine komische
Oper "Der Kanonikus von Mailand". Seiner bedeutendsten Oper "Liebe und
Eifersucht", die er 1807 bis 1808 im Stil des Figaro in Warschau vertonte,
legte er ein Drama Calderons zugrunde. Auch eine Faustoper plante er, zu
der ihm Werner den Text schreiben sollte. Die Kirchenmusik vernachlässigte Hoffmann
in dieser Zeit gleichfalls nicht. Nächst Mozart, den er meisterhaft zu dirigieren
verstand, waren Gluck und Cherubini, in Kirchensachen die alten Italiener sowie
Handn seine Meister. Von Beethoven ließ er damals schon eine Symphonie
aufführen. Jeden Sonntag gab es Quartette und musikalische Zirkel. In
dieser Zeit kam Möser aus Berlin nach Warschau; unter seiner Leitung hörte
man die besten Mozartschen und Handnschen Quartette.

Zu derselben Zeit, als Hoffmann die ersten entscheidenden Einflüsse der
Romantik erfuhr, begegnete ihm sein Landsmann Zacharias Werner, der
"unstäte Kreuz- und Querfahrer zur Liebe", der ebenso wie er in der Romantik
seinen künstlerischen Boden gefunden hatte und dessen poetischer Produktion
Hoffmann schon hier in Warschau kritisch gegenübertrat. Zu einem wirklich
freundschaftlichen Verhältnis zwischen beiden ist es aber wegen der vielen unan¬
genehmen Eigenschaften Werners nicht gekommen. Werner ist die interessanteste
Erscheinung unter den schriftstellernden Beamten Südpreußens. 1792 hatte er
sich in Warschau, dem Zentrum des kurz vor seiner Auflösung stehenden polnischen
Staates, mit einem zweifelhaften Mädchen trauen lassen. Nach diesem verrückten
Streich ging er als Sekretär der Kriegs- und Domänenkammer nach dem süd¬
preußischen Petrikau, lunter den vielen minderwertigen Beamten der neuen
Provinz sicherlich einer der unbrauchbarsten. Hier hat auch der poetisch
begabte Kosmopolit, Kriegs" und Domänenrat Joseph Zerboni ti Sposetti (1760
bis 1331) gewirkt, der, ein Cato Südpreußens, zusammen mit dem Rat Hans
von Held (1764 bis 1842) bedenkliche Transaktionen der Landesverwaltung
rücksichtslos enthüllt hat*). Wegen des Ausbruchs des Aufstandes 1794 mußte
Werner aus dem stillen Städtchen, einem der ältesten Sitze polnischer Kultur,



*) Arnold, Geschichie der deutschen Polenliteratur bis 1800, Halle 1900, Seite 24S.
2!Z0 bis 267.
Altpreußische Romantik in Polen

im Malrock auf einem Gerüst im neuen Lokal der Ressource mitten unter
Farbentöpfen, eine Flasche Ungar zur Seite, und ließ sich von Freunden von
unten herauf unterhalten ... Im Dezember 1804 schrieb er die Musik zu Brentanos
märchenhaften, unter Gozzis Einfluß stehenden „Luftiger Musikanten", die er
im folgenden April auf die Bühne brachte.

Mit Gozzis Dramen, von denen auch der Westpreuße Karl Edler von
Putlitz (geboren um 1770. gestorben 1822) aus Marienburg, Regierungsrat
zu Plock, Verfasser eines dramatischen Gedichts „Zoraide" (1307) und der
„Klagelieder und Briefe unberühmter Personen über Gegenstände der Zeit" (1817),
1822 eins sür sein Zauberspiel „Der Rabe" zum Muster nahm, ist Hoffmann
wohl in Warschau bekannt geworden. 1805 bis 1806 komponierte er eine komische
Oper „Der Kanonikus von Mailand". Seiner bedeutendsten Oper „Liebe und
Eifersucht", die er 1807 bis 1808 im Stil des Figaro in Warschau vertonte,
legte er ein Drama Calderons zugrunde. Auch eine Faustoper plante er, zu
der ihm Werner den Text schreiben sollte. Die Kirchenmusik vernachlässigte Hoffmann
in dieser Zeit gleichfalls nicht. Nächst Mozart, den er meisterhaft zu dirigieren
verstand, waren Gluck und Cherubini, in Kirchensachen die alten Italiener sowie
Handn seine Meister. Von Beethoven ließ er damals schon eine Symphonie
aufführen. Jeden Sonntag gab es Quartette und musikalische Zirkel. In
dieser Zeit kam Möser aus Berlin nach Warschau; unter seiner Leitung hörte
man die besten Mozartschen und Handnschen Quartette.

Zu derselben Zeit, als Hoffmann die ersten entscheidenden Einflüsse der
Romantik erfuhr, begegnete ihm sein Landsmann Zacharias Werner, der
„unstäte Kreuz- und Querfahrer zur Liebe", der ebenso wie er in der Romantik
seinen künstlerischen Boden gefunden hatte und dessen poetischer Produktion
Hoffmann schon hier in Warschau kritisch gegenübertrat. Zu einem wirklich
freundschaftlichen Verhältnis zwischen beiden ist es aber wegen der vielen unan¬
genehmen Eigenschaften Werners nicht gekommen. Werner ist die interessanteste
Erscheinung unter den schriftstellernden Beamten Südpreußens. 1792 hatte er
sich in Warschau, dem Zentrum des kurz vor seiner Auflösung stehenden polnischen
Staates, mit einem zweifelhaften Mädchen trauen lassen. Nach diesem verrückten
Streich ging er als Sekretär der Kriegs- und Domänenkammer nach dem süd¬
preußischen Petrikau, lunter den vielen minderwertigen Beamten der neuen
Provinz sicherlich einer der unbrauchbarsten. Hier hat auch der poetisch
begabte Kosmopolit, Kriegs« und Domänenrat Joseph Zerboni ti Sposetti (1760
bis 1331) gewirkt, der, ein Cato Südpreußens, zusammen mit dem Rat Hans
von Held (1764 bis 1842) bedenkliche Transaktionen der Landesverwaltung
rücksichtslos enthüllt hat*). Wegen des Ausbruchs des Aufstandes 1794 mußte
Werner aus dem stillen Städtchen, einem der ältesten Sitze polnischer Kultur,



*) Arnold, Geschichie der deutschen Polenliteratur bis 1800, Halle 1900, Seite 24S.
2!Z0 bis 267.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/35>, abgerufen am 22.07.2024.