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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Die russischen Finanzen

Voranschlages, der geringe Spezialisierung aufweist und den Ressortchefs ein fast
unumschränktes Übertragungsrecht der einzelnen Titel untereinander gibt. So
hatte z. B. der russische Ausgabenetat von 1912 nur etwas mehr als fünf¬
hundert Spezialnummern, einige von ihnen umfassen über 100 Millionen Rubel,
während z. B. der preußische über 2000 Etatstitel, der Reichsctat über 1700
einzelne Nummern aufweist. Schon im Frieden war die Verwendung der An¬
leihen und die Methode der Herauswirtschaftung der sogenannten freien Bar¬
bestände sehr oft nicht klar. So kam es, daß der Stand der russischen Finanzen
vor dem Beginn des gegenwärtigen Krieges zwar ein außerordentlich glänzendes
Bild bot, daß aber das Finanzgebahren der russischen Regierung keineswegs
unbedingtes Vertrauen einflößte. Kenner der russischen Finanzen rechneten aus,
daß von den 305 Millionen Rubeln des freien Barbestandes zu Anfang 1911
mindestens 230 Millionen Rubel aus Anleihen (1909 wurde noch eine Anleihe
aufgenommen), aus Steuererhöhungen oder aus Veränderungen in den Prin¬
zipien der Etatisierung herausgeholt worden sind. Der Opposition sredner in
der Duma goß damals Wasser in den Kokowtzow'schen Wein und führte etwa
folgende Gedanken aus:

"wir haben einfach Geld geliehen, das wir zur Bestreitung der Budget¬
ausgaben nicht nötig gehabt haben, wir haben Steuern erhöht, deren
wir zur Ausführung des Budgets nicht bedurften -- daraus setzt sich
unser freier Barbestand zusammen; und wenn wir die Anleihe des
Jahres 1908 noch mit hinzunehmen, so ist der ganze freie Barbestand
zusammengeborgt -- und Nußland muß für die Genugtuung, einen
solchen Reservefonds anhäufen zu können, hohe Prozente bezahlen, denn
die Anleihen waren seinerzeit nicht zu sehr glänzenden Bedingungen
abgeschlossen".

Immerhin, Nußland hat es durch seine Finanzpolitik erreicht, vor diesem Kriege
einen Reservefonds von 514,2 Millionen Rubel anzuhäufen, trotz des unglück¬
lichen russisch-japanischen Krieges, der die Vermehrung der russischen Staatsschuld
um 2,073 Milliarden Rubel zur Folge hatte, und dessen ganze Kosten ein¬
schließlich der durch die Revolution verursachten Schäden Witte in seiner be¬
kannten Scheiterhaufenrede auf Kokowtzow auf über sechs Milliarden Rubel
taxiert hatte. Dieser Reservefonds hat bei der Mobilmachung des Heeres eine
große Rolle gespielt, deren erste dringliche, aus baren Fonds zu zahlende Aus¬
gaben nach den Angaben des russischen Finanzministers etwa 500 Millionen
Rubel beiragen haben.

Rußland hatte aber nach dem japanischen Kriege nicht nur verstanden,
diesen außerordentlichen großen Barbestand innerhalb weniger Jahre sich anzu¬
legen, es hatte seit 1905 planmäßig Armee und Marine reorganisieren und
die militärische Rüstung auf den bedeutenden Stand bringen können, den sie
zu Beginn des Krieges hatte und der die Mittelmächte auch ihrerseits zu
weiteren Nüstungsanstrengungen zwang. Ein paar Zahlen mögen dies zeigen.


Die russischen Finanzen

Voranschlages, der geringe Spezialisierung aufweist und den Ressortchefs ein fast
unumschränktes Übertragungsrecht der einzelnen Titel untereinander gibt. So
hatte z. B. der russische Ausgabenetat von 1912 nur etwas mehr als fünf¬
hundert Spezialnummern, einige von ihnen umfassen über 100 Millionen Rubel,
während z. B. der preußische über 2000 Etatstitel, der Reichsctat über 1700
einzelne Nummern aufweist. Schon im Frieden war die Verwendung der An¬
leihen und die Methode der Herauswirtschaftung der sogenannten freien Bar¬
bestände sehr oft nicht klar. So kam es, daß der Stand der russischen Finanzen
vor dem Beginn des gegenwärtigen Krieges zwar ein außerordentlich glänzendes
Bild bot, daß aber das Finanzgebahren der russischen Regierung keineswegs
unbedingtes Vertrauen einflößte. Kenner der russischen Finanzen rechneten aus,
daß von den 305 Millionen Rubeln des freien Barbestandes zu Anfang 1911
mindestens 230 Millionen Rubel aus Anleihen (1909 wurde noch eine Anleihe
aufgenommen), aus Steuererhöhungen oder aus Veränderungen in den Prin¬
zipien der Etatisierung herausgeholt worden sind. Der Opposition sredner in
der Duma goß damals Wasser in den Kokowtzow'schen Wein und führte etwa
folgende Gedanken aus:

„wir haben einfach Geld geliehen, das wir zur Bestreitung der Budget¬
ausgaben nicht nötig gehabt haben, wir haben Steuern erhöht, deren
wir zur Ausführung des Budgets nicht bedurften — daraus setzt sich
unser freier Barbestand zusammen; und wenn wir die Anleihe des
Jahres 1908 noch mit hinzunehmen, so ist der ganze freie Barbestand
zusammengeborgt — und Nußland muß für die Genugtuung, einen
solchen Reservefonds anhäufen zu können, hohe Prozente bezahlen, denn
die Anleihen waren seinerzeit nicht zu sehr glänzenden Bedingungen
abgeschlossen".

Immerhin, Nußland hat es durch seine Finanzpolitik erreicht, vor diesem Kriege
einen Reservefonds von 514,2 Millionen Rubel anzuhäufen, trotz des unglück¬
lichen russisch-japanischen Krieges, der die Vermehrung der russischen Staatsschuld
um 2,073 Milliarden Rubel zur Folge hatte, und dessen ganze Kosten ein¬
schließlich der durch die Revolution verursachten Schäden Witte in seiner be¬
kannten Scheiterhaufenrede auf Kokowtzow auf über sechs Milliarden Rubel
taxiert hatte. Dieser Reservefonds hat bei der Mobilmachung des Heeres eine
große Rolle gespielt, deren erste dringliche, aus baren Fonds zu zahlende Aus¬
gaben nach den Angaben des russischen Finanzministers etwa 500 Millionen
Rubel beiragen haben.

Rußland hatte aber nach dem japanischen Kriege nicht nur verstanden,
diesen außerordentlichen großen Barbestand innerhalb weniger Jahre sich anzu¬
legen, es hatte seit 1905 planmäßig Armee und Marine reorganisieren und
die militärische Rüstung auf den bedeutenden Stand bringen können, den sie
zu Beginn des Krieges hatte und der die Mittelmächte auch ihrerseits zu
weiteren Nüstungsanstrengungen zwang. Ein paar Zahlen mögen dies zeigen.


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[0328] Die russischen Finanzen Voranschlages, der geringe Spezialisierung aufweist und den Ressortchefs ein fast unumschränktes Übertragungsrecht der einzelnen Titel untereinander gibt. So hatte z. B. der russische Ausgabenetat von 1912 nur etwas mehr als fünf¬ hundert Spezialnummern, einige von ihnen umfassen über 100 Millionen Rubel, während z. B. der preußische über 2000 Etatstitel, der Reichsctat über 1700 einzelne Nummern aufweist. Schon im Frieden war die Verwendung der An¬ leihen und die Methode der Herauswirtschaftung der sogenannten freien Bar¬ bestände sehr oft nicht klar. So kam es, daß der Stand der russischen Finanzen vor dem Beginn des gegenwärtigen Krieges zwar ein außerordentlich glänzendes Bild bot, daß aber das Finanzgebahren der russischen Regierung keineswegs unbedingtes Vertrauen einflößte. Kenner der russischen Finanzen rechneten aus, daß von den 305 Millionen Rubeln des freien Barbestandes zu Anfang 1911 mindestens 230 Millionen Rubel aus Anleihen (1909 wurde noch eine Anleihe aufgenommen), aus Steuererhöhungen oder aus Veränderungen in den Prin¬ zipien der Etatisierung herausgeholt worden sind. Der Opposition sredner in der Duma goß damals Wasser in den Kokowtzow'schen Wein und führte etwa folgende Gedanken aus: „wir haben einfach Geld geliehen, das wir zur Bestreitung der Budget¬ ausgaben nicht nötig gehabt haben, wir haben Steuern erhöht, deren wir zur Ausführung des Budgets nicht bedurften — daraus setzt sich unser freier Barbestand zusammen; und wenn wir die Anleihe des Jahres 1908 noch mit hinzunehmen, so ist der ganze freie Barbestand zusammengeborgt — und Nußland muß für die Genugtuung, einen solchen Reservefonds anhäufen zu können, hohe Prozente bezahlen, denn die Anleihen waren seinerzeit nicht zu sehr glänzenden Bedingungen abgeschlossen". Immerhin, Nußland hat es durch seine Finanzpolitik erreicht, vor diesem Kriege einen Reservefonds von 514,2 Millionen Rubel anzuhäufen, trotz des unglück¬ lichen russisch-japanischen Krieges, der die Vermehrung der russischen Staatsschuld um 2,073 Milliarden Rubel zur Folge hatte, und dessen ganze Kosten ein¬ schließlich der durch die Revolution verursachten Schäden Witte in seiner be¬ kannten Scheiterhaufenrede auf Kokowtzow auf über sechs Milliarden Rubel taxiert hatte. Dieser Reservefonds hat bei der Mobilmachung des Heeres eine große Rolle gespielt, deren erste dringliche, aus baren Fonds zu zahlende Aus¬ gaben nach den Angaben des russischen Finanzministers etwa 500 Millionen Rubel beiragen haben. Rußland hatte aber nach dem japanischen Kriege nicht nur verstanden, diesen außerordentlichen großen Barbestand innerhalb weniger Jahre sich anzu¬ legen, es hatte seit 1905 planmäßig Armee und Marine reorganisieren und die militärische Rüstung auf den bedeutenden Stand bringen können, den sie zu Beginn des Krieges hatte und der die Mittelmächte auch ihrerseits zu weiteren Nüstungsanstrengungen zwang. Ein paar Zahlen mögen dies zeigen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/328>, abgerufen am 22.07.2024.