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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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zeigen, daß das nicht gerade günstige Bild, das man sich nach den Zeitungen
von dem Menschen Strauß machen müsse, der Wahrheit nicht entspreche. Ob
ihm dieser Nachweis gelungen ist, erscheint mir zweifelhaft.

Bei der Lektüre des "Giuseppe Verdi" von Arthur Reißer (Leipzig 1914)
sühlt man sich auf etwas schwankendem Boden. Schon die zahlreichen Ver¬
stöße gegen einen guten deutschem SM deuten auf eine gewisse Verschwommen¬
heit des Denkens. Auch wird die Lebensgeschichte Verdis nicht überall klar
erzählt, sondern manche Tatsachen werden nur nebenbei und zu spät erwähnt.
Neisser besitzt offenbar eine genaue Kenntnis aller Verdischen Opern und hat
bei Beurteilung derselben mit Recht auch italienische Schriftsteller herangezogen.
Sänüliche Werke eingehend zu besprechen wäre unmöglich gewesen. Aber statt
über manche nur Kleinigkeiten zu bemerken, hätte er M meiner Überzeugung
nach bei ihnen mit den äußeren Daten begnügen können und dafür das Ver¬
hältnis Verdis zu seinen älteren Zeitgenossen, namentlich zu Rossini, Bellini
und Donizetti, aufzeige" sollen. Es ist merkwürdig, wie ein Verdibiograph
diese so wichtige geschichtliche Seite seiner Aufgabe außer Acht lassen konnte,
während er doch die höchst eigenartige Entwickelung, die sich in dem Schaffen
des Meisters selbst vollzog, gut dargestellt hat. Leider ist das herrliche Requiem
bei weitem nicht scharf genug charakterisiert, und wieder fehlen die geschicht-
lichen Anknüpfungen. Auch über die vier "?e?2i 8aeri" weiß der Verfasser
nichts Rechtes zu sagen.

Einen entschiedenen Mißgriff beging der Verlag, als er Otto Keller mit
der Abfassung einer Biographie Tschaikowskns betraute ("Tschaikowsky",
Leipzig 1914). Wenn der Autor im Vorwort sagt, er glaube, mit seinem
Buch der Bedeutung des behandelten Künstlers einigermaßen gerecht geworden
zu sein, so befindet er sich in einer gewaltigen Selbsttäuschung. Von einer
eigentlichen Besprechung der Werke kann gar nicht die Rede sein, und das
Ganze ist in einem unerlaubt plumpen, man möchte sagen, bäurischen Stile
abgefaßt.

In einem gewissen Zusammenhang mit dein gegenwärtigen Krieg steht die
Veröffentlichung einer Biographie des Prinzen Louis Ferdinand (Elisabeth Wintzer,
"Louis Ferdinand, Prinz von Preußen", Leipzig 1915), der bekanntlich 1806
bei Saalfeld fiel. Er war nicht nur ein bedeutender Klavierspieler, dem selbst
Beethoven seine Anerkennung nicht versagte, sondern besaß auch produktive
Begabung. Eine Reihe seiner Kompositionen, fast ausschließlich der Kammer¬
musik mit Klavier angehörig, erschien seit 1806 bei Breitkopf 6 Härtel. Acht
dieser Werke gab 1906 H. Kretzschmar in einem stattlichen Bande neu heraus.
Die Verfasserin der Biographie entwirft unter Benützung zeitgenössischer Quellen,
aber mit zu großer Redseligkeit, ein Lebensbild des Prinzen und flicht eine
Besprechung seiner Werke ein. Hier können trotz teilweiser Anlehnung an das
Vorwort der Neuausgabe ihre reichlich phrasenhaften Ausführungen nicht genügen.
Aber selbst Kretzschmar scheint mir die Kompositionen des Prinzen, die, musik-


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zeigen, daß das nicht gerade günstige Bild, das man sich nach den Zeitungen
von dem Menschen Strauß machen müsse, der Wahrheit nicht entspreche. Ob
ihm dieser Nachweis gelungen ist, erscheint mir zweifelhaft.

Bei der Lektüre des „Giuseppe Verdi" von Arthur Reißer (Leipzig 1914)
sühlt man sich auf etwas schwankendem Boden. Schon die zahlreichen Ver¬
stöße gegen einen guten deutschem SM deuten auf eine gewisse Verschwommen¬
heit des Denkens. Auch wird die Lebensgeschichte Verdis nicht überall klar
erzählt, sondern manche Tatsachen werden nur nebenbei und zu spät erwähnt.
Neisser besitzt offenbar eine genaue Kenntnis aller Verdischen Opern und hat
bei Beurteilung derselben mit Recht auch italienische Schriftsteller herangezogen.
Sänüliche Werke eingehend zu besprechen wäre unmöglich gewesen. Aber statt
über manche nur Kleinigkeiten zu bemerken, hätte er M meiner Überzeugung
nach bei ihnen mit den äußeren Daten begnügen können und dafür das Ver¬
hältnis Verdis zu seinen älteren Zeitgenossen, namentlich zu Rossini, Bellini
und Donizetti, aufzeige» sollen. Es ist merkwürdig, wie ein Verdibiograph
diese so wichtige geschichtliche Seite seiner Aufgabe außer Acht lassen konnte,
während er doch die höchst eigenartige Entwickelung, die sich in dem Schaffen
des Meisters selbst vollzog, gut dargestellt hat. Leider ist das herrliche Requiem
bei weitem nicht scharf genug charakterisiert, und wieder fehlen die geschicht-
lichen Anknüpfungen. Auch über die vier „?e?2i 8aeri" weiß der Verfasser
nichts Rechtes zu sagen.

Einen entschiedenen Mißgriff beging der Verlag, als er Otto Keller mit
der Abfassung einer Biographie Tschaikowskns betraute („Tschaikowsky",
Leipzig 1914). Wenn der Autor im Vorwort sagt, er glaube, mit seinem
Buch der Bedeutung des behandelten Künstlers einigermaßen gerecht geworden
zu sein, so befindet er sich in einer gewaltigen Selbsttäuschung. Von einer
eigentlichen Besprechung der Werke kann gar nicht die Rede sein, und das
Ganze ist in einem unerlaubt plumpen, man möchte sagen, bäurischen Stile
abgefaßt.

In einem gewissen Zusammenhang mit dein gegenwärtigen Krieg steht die
Veröffentlichung einer Biographie des Prinzen Louis Ferdinand (Elisabeth Wintzer,
„Louis Ferdinand, Prinz von Preußen", Leipzig 1915), der bekanntlich 1806
bei Saalfeld fiel. Er war nicht nur ein bedeutender Klavierspieler, dem selbst
Beethoven seine Anerkennung nicht versagte, sondern besaß auch produktive
Begabung. Eine Reihe seiner Kompositionen, fast ausschließlich der Kammer¬
musik mit Klavier angehörig, erschien seit 1806 bei Breitkopf 6 Härtel. Acht
dieser Werke gab 1906 H. Kretzschmar in einem stattlichen Bande neu heraus.
Die Verfasserin der Biographie entwirft unter Benützung zeitgenössischer Quellen,
aber mit zu großer Redseligkeit, ein Lebensbild des Prinzen und flicht eine
Besprechung seiner Werke ein. Hier können trotz teilweiser Anlehnung an das
Vorwort der Neuausgabe ihre reichlich phrasenhaften Ausführungen nicht genügen.
Aber selbst Kretzschmar scheint mir die Kompositionen des Prinzen, die, musik-


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[0297] Ueue Lüchcr über Musik zeigen, daß das nicht gerade günstige Bild, das man sich nach den Zeitungen von dem Menschen Strauß machen müsse, der Wahrheit nicht entspreche. Ob ihm dieser Nachweis gelungen ist, erscheint mir zweifelhaft. Bei der Lektüre des „Giuseppe Verdi" von Arthur Reißer (Leipzig 1914) sühlt man sich auf etwas schwankendem Boden. Schon die zahlreichen Ver¬ stöße gegen einen guten deutschem SM deuten auf eine gewisse Verschwommen¬ heit des Denkens. Auch wird die Lebensgeschichte Verdis nicht überall klar erzählt, sondern manche Tatsachen werden nur nebenbei und zu spät erwähnt. Neisser besitzt offenbar eine genaue Kenntnis aller Verdischen Opern und hat bei Beurteilung derselben mit Recht auch italienische Schriftsteller herangezogen. Sänüliche Werke eingehend zu besprechen wäre unmöglich gewesen. Aber statt über manche nur Kleinigkeiten zu bemerken, hätte er M meiner Überzeugung nach bei ihnen mit den äußeren Daten begnügen können und dafür das Ver¬ hältnis Verdis zu seinen älteren Zeitgenossen, namentlich zu Rossini, Bellini und Donizetti, aufzeige» sollen. Es ist merkwürdig, wie ein Verdibiograph diese so wichtige geschichtliche Seite seiner Aufgabe außer Acht lassen konnte, während er doch die höchst eigenartige Entwickelung, die sich in dem Schaffen des Meisters selbst vollzog, gut dargestellt hat. Leider ist das herrliche Requiem bei weitem nicht scharf genug charakterisiert, und wieder fehlen die geschicht- lichen Anknüpfungen. Auch über die vier „?e?2i 8aeri" weiß der Verfasser nichts Rechtes zu sagen. Einen entschiedenen Mißgriff beging der Verlag, als er Otto Keller mit der Abfassung einer Biographie Tschaikowskns betraute („Tschaikowsky", Leipzig 1914). Wenn der Autor im Vorwort sagt, er glaube, mit seinem Buch der Bedeutung des behandelten Künstlers einigermaßen gerecht geworden zu sein, so befindet er sich in einer gewaltigen Selbsttäuschung. Von einer eigentlichen Besprechung der Werke kann gar nicht die Rede sein, und das Ganze ist in einem unerlaubt plumpen, man möchte sagen, bäurischen Stile abgefaßt. In einem gewissen Zusammenhang mit dein gegenwärtigen Krieg steht die Veröffentlichung einer Biographie des Prinzen Louis Ferdinand (Elisabeth Wintzer, „Louis Ferdinand, Prinz von Preußen", Leipzig 1915), der bekanntlich 1806 bei Saalfeld fiel. Er war nicht nur ein bedeutender Klavierspieler, dem selbst Beethoven seine Anerkennung nicht versagte, sondern besaß auch produktive Begabung. Eine Reihe seiner Kompositionen, fast ausschließlich der Kammer¬ musik mit Klavier angehörig, erschien seit 1806 bei Breitkopf 6 Härtel. Acht dieser Werke gab 1906 H. Kretzschmar in einem stattlichen Bande neu heraus. Die Verfasserin der Biographie entwirft unter Benützung zeitgenössischer Quellen, aber mit zu großer Redseligkeit, ein Lebensbild des Prinzen und flicht eine Besprechung seiner Werke ein. Hier können trotz teilweiser Anlehnung an das Vorwort der Neuausgabe ihre reichlich phrasenhaften Ausführungen nicht genügen. Aber selbst Kretzschmar scheint mir die Kompositionen des Prinzen, die, musik-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/297>, abgerufen am 22.07.2024.