Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.Stärke und Macht des Deutschtums in den baltischen Provinzen Seit 1897 ist die deutsche Bevölkerung gewachsen, absolut und relativ, Wesentlich anders wird aber das Bild, wenn man die Besitz- und Bilduugs- Grundbesitz. Seine eigentümliche Struktur hat der ländlich- Grundbesitz der Ostsee¬ Die Entwickelung in Estland und Kurland ist denselben Weg gegange". Stärke und Macht des Deutschtums in den baltischen Provinzen Seit 1897 ist die deutsche Bevölkerung gewachsen, absolut und relativ, Wesentlich anders wird aber das Bild, wenn man die Besitz- und Bilduugs- Grundbesitz. Seine eigentümliche Struktur hat der ländlich- Grundbesitz der Ostsee¬ Die Entwickelung in Estland und Kurland ist denselben Weg gegange«. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0277" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324690"/> <fw type="header" place="top"> Stärke und Macht des Deutschtums in den baltischen Provinzen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1012"> Seit 1897 ist die deutsche Bevölkerung gewachsen, absolut und relativ,<lb/> durch die Ansiedelung von an die 20000 deutschen Kolonisten aus Südrußland,<lb/> ferner dadurch, daß durch das Aufblühen des Deutschtums seit 1905. durch die<lb/> größere Freiheit, die der Deutsche seit der Revolution in den Ostseeprovinzen<lb/> genoß, viele Personen, die sonst gezwungenermaßen ihr Brot in der Fremde<lb/> hätten suchen müssen, im Lande bleiben konnten. Es gab zu Kriegsbeginn<lb/> etwa 200000 Deutsche in den Ostseeprovinzen, immerhin eine, wie es scheint,<lb/> zur Machtlosigkeit verurteilte Gruppe innerhalb einer Bevölkerung von über<lb/> zwei Millionen Andersstämmiger.</p><lb/> <p xml:id="ID_1013"> Wesentlich anders wird aber das Bild, wenn man die Besitz- und Bilduugs-<lb/> Verhältnisse des Landes in Betracht zieht. Wir prüfen zunächst den Besitz<lb/> auf dem Lande.</p><lb/> <div n="2"> <head> Grundbesitz.</head><lb/> <p xml:id="ID_1014"> Seine eigentümliche Struktur hat der ländlich- Grundbesitz der Ostsee¬<lb/> provinzen durch die Scheidung alles privaten Besitzes in „Hofesland" und<lb/> „Bauernland", zu dem in Livland noch das sogenannte „Quotenland" kommt.<lb/> In den Jahren 1804—1317 hatte der grundbesitzende Adel, die „Ritterschaft",<lb/> die Aufhebung der Leibeigenschaft des „undeutschen" (das heißt chemischen und<lb/> lettischen) Bauern durchgeführt. Die Bauern verloren dadurch zunächst mehr,<lb/> als sie gewannen, nämlich das bisherige erbliche Nutzungsrecht auf die in dem<lb/> Gebiete ihres Gutsherrn gelegenen Bauernhöfe. Gemäß den liberalen Ideen,<lb/> von denen beseelt die Ritterschaft die Leibeigenschaft aufgehoben hatte, sollte<lb/> das Verhältnis von Gutsherr zu Bauer durch den freien Vertrag zwischen<lb/> Arbeitgeber und Arbeitnehmer geregelt werden. Die Erfahrung lehrte sehr bald,<lb/> daß dies die wirtschaftliche Vogelfreiheit des Bauern bedeutete. Der livländische<lb/> Landtag von 1842, dem die Landtage in den Schwesterprovinzen bald folgten,<lb/> beschloß daher, einen bestimmten Teil jedes Gutsgebietes auszusondern, das<lb/> vom Gutsherrn nicht eingezogen werden dürfte, sondern ausschließlich der<lb/> Nutzung (Kauf oder Pacht) der Glieder der Bauerngemeinde überlassen werden<lb/> sollte. Dieser Teil jedes Gutsgebietes erhielt den Namen „Bauerland" im<lb/> Gegensatz zum „Hofesland", über das der Grundbesitzer frei verfügen durfte.<lb/> Ein Teil des Bauerlandes (das damals allein steuerpflichtig war), ungefähr<lb/> ein Sechstel, sollte als sogenanntes „Ouotenland" vom Gutsherren beliebig genutzt,<lb/> eingezogen, verkauft oder verpachtet werden dürfen. Es wurden ferner Kredit¬<lb/> institute geschaffen, die den Übergang der Pachthöfe in bäuerliches Eigentum<lb/> erleichtern und beschleunigen helfen sollten. Bis zum Jahre 1905 waren denn<lb/> auch vom „Bauerland" 88,63 Prozent in bäuerlichen Besitz übergegangen.<lb/> Der Rest 11,37 Prozent befand sich in bäuerlichen Pachtbesitz, von dem in<lb/> den letzten zehn Jahren natürlich auch der größte Teil bäuerliches Eigentum<lb/> geworden ist. worüber mir aber die näheren Daten fehlen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1015" next="#ID_1016"> Die Entwickelung in Estland und Kurland ist denselben Weg gegange«.<lb/> Auch dort wurde im „Bauerlande" gewissermaßen ein Majorat des Bauern-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0277]
Stärke und Macht des Deutschtums in den baltischen Provinzen
Seit 1897 ist die deutsche Bevölkerung gewachsen, absolut und relativ,
durch die Ansiedelung von an die 20000 deutschen Kolonisten aus Südrußland,
ferner dadurch, daß durch das Aufblühen des Deutschtums seit 1905. durch die
größere Freiheit, die der Deutsche seit der Revolution in den Ostseeprovinzen
genoß, viele Personen, die sonst gezwungenermaßen ihr Brot in der Fremde
hätten suchen müssen, im Lande bleiben konnten. Es gab zu Kriegsbeginn
etwa 200000 Deutsche in den Ostseeprovinzen, immerhin eine, wie es scheint,
zur Machtlosigkeit verurteilte Gruppe innerhalb einer Bevölkerung von über
zwei Millionen Andersstämmiger.
Wesentlich anders wird aber das Bild, wenn man die Besitz- und Bilduugs-
Verhältnisse des Landes in Betracht zieht. Wir prüfen zunächst den Besitz
auf dem Lande.
Grundbesitz.
Seine eigentümliche Struktur hat der ländlich- Grundbesitz der Ostsee¬
provinzen durch die Scheidung alles privaten Besitzes in „Hofesland" und
„Bauernland", zu dem in Livland noch das sogenannte „Quotenland" kommt.
In den Jahren 1804—1317 hatte der grundbesitzende Adel, die „Ritterschaft",
die Aufhebung der Leibeigenschaft des „undeutschen" (das heißt chemischen und
lettischen) Bauern durchgeführt. Die Bauern verloren dadurch zunächst mehr,
als sie gewannen, nämlich das bisherige erbliche Nutzungsrecht auf die in dem
Gebiete ihres Gutsherrn gelegenen Bauernhöfe. Gemäß den liberalen Ideen,
von denen beseelt die Ritterschaft die Leibeigenschaft aufgehoben hatte, sollte
das Verhältnis von Gutsherr zu Bauer durch den freien Vertrag zwischen
Arbeitgeber und Arbeitnehmer geregelt werden. Die Erfahrung lehrte sehr bald,
daß dies die wirtschaftliche Vogelfreiheit des Bauern bedeutete. Der livländische
Landtag von 1842, dem die Landtage in den Schwesterprovinzen bald folgten,
beschloß daher, einen bestimmten Teil jedes Gutsgebietes auszusondern, das
vom Gutsherrn nicht eingezogen werden dürfte, sondern ausschließlich der
Nutzung (Kauf oder Pacht) der Glieder der Bauerngemeinde überlassen werden
sollte. Dieser Teil jedes Gutsgebietes erhielt den Namen „Bauerland" im
Gegensatz zum „Hofesland", über das der Grundbesitzer frei verfügen durfte.
Ein Teil des Bauerlandes (das damals allein steuerpflichtig war), ungefähr
ein Sechstel, sollte als sogenanntes „Ouotenland" vom Gutsherren beliebig genutzt,
eingezogen, verkauft oder verpachtet werden dürfen. Es wurden ferner Kredit¬
institute geschaffen, die den Übergang der Pachthöfe in bäuerliches Eigentum
erleichtern und beschleunigen helfen sollten. Bis zum Jahre 1905 waren denn
auch vom „Bauerland" 88,63 Prozent in bäuerlichen Besitz übergegangen.
Der Rest 11,37 Prozent befand sich in bäuerlichen Pachtbesitz, von dem in
den letzten zehn Jahren natürlich auch der größte Teil bäuerliches Eigentum
geworden ist. worüber mir aber die näheren Daten fehlen.
Die Entwickelung in Estland und Kurland ist denselben Weg gegange«.
Auch dort wurde im „Bauerlande" gewissermaßen ein Majorat des Bauern-
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