Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.stärke und Macht des Deutschtums in den baltischen Provinzen Os. R, Stcivcnhcigen von le äußere rechtliche Grundlage deutschen Lebens in den drei stärke und Macht des Deutschtums in den baltischen Provinzen Os. R, Stcivcnhcigen von le äußere rechtliche Grundlage deutschen Lebens in den drei <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0275" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324688"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341901_324408/figures/grenzboten_341901_324408_324688_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> stärke und Macht des Deutschtums<lb/> in den baltischen Provinzen<lb/><note type="byline"> Os. R, Stcivcnhcigen</note> von</head><lb/> <p xml:id="ID_1007" next="#ID_1008"> le äußere rechtliche Grundlage deutschen Lebens in den drei<lb/> Ostseeprovinzen war bis in die siebziger und achtziger Jahre<lb/> des neunzehnten Jahrhunderts das sogenannte Privilegium Sigis-<lb/> mundi Augusti vom 23. November 1561. Durch die Urkunde<lb/> wurden den Stünden Livlands bei ihrer Unterwerfung unter die<lb/> polnische Herrschaft die Freiheit lutherischen Glaubens, deutscher Sprache,<lb/> eigenen Rechts und eigener Verwaltung garantiert. Dasselbe geschah bei der<lb/> Unterwerfung unter das Szepter Peters des Großen (1710). Fortan wurden<lb/> Livland und Estland, zu denen nach der Abdankung Herzog Peters 1795 auch<lb/> Kurland kam, von deutschen Ständen und Beamten nach hergebrachten<lb/> deutschen Recht in deutscher Sprache verwaltet. Als „Landeskirche" galt offiziell<lb/> die lutherische. Auf der Universität Dorpat, dem Polytechnikum zu Riga, in<lb/> allen mittleren und höheren Schulen wurde deuisch unterrichtet. Lettisch und<lb/> estuisch warm die für die Landbevölkerung gegründeten Volksschulen. Wer<lb/> von den Letten oder Ehlen höher hinauf wollte, mußte deutsche Sprache und<lb/> Bildung aufnehmen. Bis auf das Fehlen eines deutschen Bauernstandes<lb/> konnte das Land als rein deutsch gelten. Auf dein Lande herrschte der durch¬<lb/> weg deutsche Großgrundbesitz, in den Städten teilte sich der deutsche Kauf¬<lb/> mann und der deutsche Handwerker in das Regiment, Da würde 1877<lb/> an die Stelle der alten ständischen Stadtverfassung (Rat und Gilden) die<lb/> demokratische russische Städteordnung eingeführt. 1838 wurde eine Polizei-<lb/> deform" durchgeführt. Durch die „Justizreform" vom Jahre 1839 wurden<lb/> die alten Rechtsgrundlagen beiseite geschoben. Das Russische wurde Landes¬<lb/> sprache. Die mit dem örtlichen Leben vertrauten einheimischen Beamten<lb/> wurden beseitigt. Gleichzeitig wurde das Russische als Unterrichtssprache in den<lb/> Schulen und Hochschulen eingeführt. Der lutherischen Kirche war der Charakter<lb/> einer Landeskirche schon früher genommen. Durch das Kirchengesetz von 1332<lb/> wurde sie zu einer bloß geduldeten neben der herrschenden griechisch orthodoxen<lb/> Kirche. Die Hungerjahre 1839 bis 1841 führten der Staatskirche, besonders<lb/> in Livland, mehrere tausend durch Laudversprechungen geköderte „Bekehrte"<lb/> SU. Als die Getäuschten den Betrug bemerkten, war es zu spät. Das russische<lb/> Gesetz verbot bis 1905 den Austritt aus der griechisch-orthodoxen Kirche. Die<lb/> Gewissensnot der Konvertiten machte sich die Negierung zunutze, indem sie die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0275]
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stärke und Macht des Deutschtums
in den baltischen Provinzen
Os. R, Stcivcnhcigen von
le äußere rechtliche Grundlage deutschen Lebens in den drei
Ostseeprovinzen war bis in die siebziger und achtziger Jahre
des neunzehnten Jahrhunderts das sogenannte Privilegium Sigis-
mundi Augusti vom 23. November 1561. Durch die Urkunde
wurden den Stünden Livlands bei ihrer Unterwerfung unter die
polnische Herrschaft die Freiheit lutherischen Glaubens, deutscher Sprache,
eigenen Rechts und eigener Verwaltung garantiert. Dasselbe geschah bei der
Unterwerfung unter das Szepter Peters des Großen (1710). Fortan wurden
Livland und Estland, zu denen nach der Abdankung Herzog Peters 1795 auch
Kurland kam, von deutschen Ständen und Beamten nach hergebrachten
deutschen Recht in deutscher Sprache verwaltet. Als „Landeskirche" galt offiziell
die lutherische. Auf der Universität Dorpat, dem Polytechnikum zu Riga, in
allen mittleren und höheren Schulen wurde deuisch unterrichtet. Lettisch und
estuisch warm die für die Landbevölkerung gegründeten Volksschulen. Wer
von den Letten oder Ehlen höher hinauf wollte, mußte deutsche Sprache und
Bildung aufnehmen. Bis auf das Fehlen eines deutschen Bauernstandes
konnte das Land als rein deutsch gelten. Auf dein Lande herrschte der durch¬
weg deutsche Großgrundbesitz, in den Städten teilte sich der deutsche Kauf¬
mann und der deutsche Handwerker in das Regiment, Da würde 1877
an die Stelle der alten ständischen Stadtverfassung (Rat und Gilden) die
demokratische russische Städteordnung eingeführt. 1838 wurde eine Polizei-
deform" durchgeführt. Durch die „Justizreform" vom Jahre 1839 wurden
die alten Rechtsgrundlagen beiseite geschoben. Das Russische wurde Landes¬
sprache. Die mit dem örtlichen Leben vertrauten einheimischen Beamten
wurden beseitigt. Gleichzeitig wurde das Russische als Unterrichtssprache in den
Schulen und Hochschulen eingeführt. Der lutherischen Kirche war der Charakter
einer Landeskirche schon früher genommen. Durch das Kirchengesetz von 1332
wurde sie zu einer bloß geduldeten neben der herrschenden griechisch orthodoxen
Kirche. Die Hungerjahre 1839 bis 1841 führten der Staatskirche, besonders
in Livland, mehrere tausend durch Laudversprechungen geköderte „Bekehrte"
SU. Als die Getäuschten den Betrug bemerkten, war es zu spät. Das russische
Gesetz verbot bis 1905 den Austritt aus der griechisch-orthodoxen Kirche. Die
Gewissensnot der Konvertiten machte sich die Negierung zunutze, indem sie die
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