Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.Das deutsche Volkserwachen in Oesterreich beschreibliche; Knaben und Jünglinge versteckten sich in den Eisenbahnwaggons, Das deutsche Volkserwachen in Oesterreich beschreibliche; Knaben und Jünglinge versteckten sich in den Eisenbahnwaggons, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0027" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324436"/> <fw type="header" place="top"> Das deutsche Volkserwachen in Oesterreich</fw><lb/> <p xml:id="ID_46" prev="#ID_45" next="#ID_47"> beschreibliche; Knaben und Jünglinge versteckten sich in den Eisenbahnwaggons,<lb/> um zu den deutschen Heeren zu gelangen; in den Zeitungen klagten unglückliche<lb/> Väter, daß ihnen die Söhne trotz ihres Verbots einfach durchgegangen waren.<lb/> Die Hochburg des deutschen Gedankens war aber zweifellos die Wiener Uni-<lb/> aersität mit dem berühmten Literarhistoriker Wilhelm Scherer an der Spitze.<lb/> Am 21. Juli 1870 erließen die Wiener Universitätshörer, zumeist Burschen¬<lb/> schafter, folgenden mir noch vorliegenden denkwürdigen Aufruf, indem es unter<lb/> anderem hieß: „Die deutschen Universitäten — von jeher die eigentlichen Pflanz¬<lb/> stätten des Nationalbewußtsems — sie zeigen sich auch jetzt wieder ihrer alten<lb/> Überlieferung bewußt und würdig, und mit stürmischer Begeisterung eilt die<lb/> akademische Jugend unter die deutsche Fahne. Auch wir, die Hörer der deutsch¬<lb/> österreichischen Hochschulen, dürfen hinter unseren Kommilitonen Deutschlands<lb/> nicht zurückbleiben und sollten uns auch die staatlichen Verhältnisse nicht erlauben,<lb/> unseren Arm der deutschen Sache zu widmen, so wollen wir doch unsere<lb/> deutschen Stammesbrüder wenigstens im Geiste mit unseren Segenswünschen in<lb/> den herrlichen Kampf begleiten und wenn ihnen Wunden geschlagen werden, so<lb/> wollen auch wir unser Scherflein dazu beitragen, lindernden Balsam auf diese<lb/> zu träufeln." In wenigen Tagen folgten auch die Grazer und Prager, ja die<lb/> Begeisterung ging so weit, daß sich Burschenschaftler und Turner sogar in das<lb/> deutsche Heer einreihen lassen wollten; freilich mußte das sowohl die öster¬<lb/> reichische Regierung als auch die preußische Botschaft ablehnen; dennoch gelangten<lb/> einige Dutzend Deutschösterreicher durch „Ausreißen" in das deutsche Heer, unter<lb/> anderen der nachmalige Historiker Viktor von Kraus, fünf Angehörige der<lb/> Burschenschaft „Silesta", von denen einer auf dem Schlachtfelds blieb. Aber die<lb/> Mehrheit mußte sich mit Demonstrationen zufrieden geben. Eine allgemeine<lb/> Studentenversammlung für den 23. Juli wurde zwar verboten, worauf die<lb/> Studenten im Hotel Klomser eine „gemütliche Kneipe" veranstalteten; hier gab<lb/> einer ihrer Führer, ein „Snche", der Hoffnung Ausdruck, daß nun endlich ein<lb/> Reich unter einem Kaiser erstehen werde. Die Hoffnung hat nicht getrogen!<lb/> Schöner als das alte Barbarossareich je gewesen, ging der Traum der so lange<lb/> bespöttelten Idealisten in Erfüllung. Doch wenn schon das offizielle Österreich zur<lb/> Neutralität in diesem Kriege um Deutschlands Einheit gezwungen war, so fühlte<lb/> mit Nichten die deutsche Öffentlichkeit die Notwendigkeit, der Untätigkeit der<lb/> Negierung beizupflichten, im Gegenteil bemühte sie sich, ihre deutschen Sympathien<lb/> möglichst offen an den Tag zu legen. So kam es, daß eine Reihe deutscher<lb/> Vereine behördlichen Beseitigungen ausgesetzt war und die Sammlung von<lb/> Liebesgaben für die deutschen Kriegsverwundeten verboten wurde. Man erklärte<lb/> dies als Neutralitätsbruch. Schließlich ließ man sich doch zur Genehmigung<lb/> der Liebesgabensammlung bewegen. Aber offene Sympathiekundgebungen mußten<lb/> «ach wie vor unterbleiben; so erklärte auch im Namen der deutschen Studenten<lb/> der „Deutsche Volksverein", daß er „mit seinen glühenden Wünschen im deutschen<lb/> Lager stehe, vollständig, rückhaltlos und unbedingt". Zugleich forderte er. „daß</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0027]
Das deutsche Volkserwachen in Oesterreich
beschreibliche; Knaben und Jünglinge versteckten sich in den Eisenbahnwaggons,
um zu den deutschen Heeren zu gelangen; in den Zeitungen klagten unglückliche
Väter, daß ihnen die Söhne trotz ihres Verbots einfach durchgegangen waren.
Die Hochburg des deutschen Gedankens war aber zweifellos die Wiener Uni-
aersität mit dem berühmten Literarhistoriker Wilhelm Scherer an der Spitze.
Am 21. Juli 1870 erließen die Wiener Universitätshörer, zumeist Burschen¬
schafter, folgenden mir noch vorliegenden denkwürdigen Aufruf, indem es unter
anderem hieß: „Die deutschen Universitäten — von jeher die eigentlichen Pflanz¬
stätten des Nationalbewußtsems — sie zeigen sich auch jetzt wieder ihrer alten
Überlieferung bewußt und würdig, und mit stürmischer Begeisterung eilt die
akademische Jugend unter die deutsche Fahne. Auch wir, die Hörer der deutsch¬
österreichischen Hochschulen, dürfen hinter unseren Kommilitonen Deutschlands
nicht zurückbleiben und sollten uns auch die staatlichen Verhältnisse nicht erlauben,
unseren Arm der deutschen Sache zu widmen, so wollen wir doch unsere
deutschen Stammesbrüder wenigstens im Geiste mit unseren Segenswünschen in
den herrlichen Kampf begleiten und wenn ihnen Wunden geschlagen werden, so
wollen auch wir unser Scherflein dazu beitragen, lindernden Balsam auf diese
zu träufeln." In wenigen Tagen folgten auch die Grazer und Prager, ja die
Begeisterung ging so weit, daß sich Burschenschaftler und Turner sogar in das
deutsche Heer einreihen lassen wollten; freilich mußte das sowohl die öster¬
reichische Regierung als auch die preußische Botschaft ablehnen; dennoch gelangten
einige Dutzend Deutschösterreicher durch „Ausreißen" in das deutsche Heer, unter
anderen der nachmalige Historiker Viktor von Kraus, fünf Angehörige der
Burschenschaft „Silesta", von denen einer auf dem Schlachtfelds blieb. Aber die
Mehrheit mußte sich mit Demonstrationen zufrieden geben. Eine allgemeine
Studentenversammlung für den 23. Juli wurde zwar verboten, worauf die
Studenten im Hotel Klomser eine „gemütliche Kneipe" veranstalteten; hier gab
einer ihrer Führer, ein „Snche", der Hoffnung Ausdruck, daß nun endlich ein
Reich unter einem Kaiser erstehen werde. Die Hoffnung hat nicht getrogen!
Schöner als das alte Barbarossareich je gewesen, ging der Traum der so lange
bespöttelten Idealisten in Erfüllung. Doch wenn schon das offizielle Österreich zur
Neutralität in diesem Kriege um Deutschlands Einheit gezwungen war, so fühlte
mit Nichten die deutsche Öffentlichkeit die Notwendigkeit, der Untätigkeit der
Negierung beizupflichten, im Gegenteil bemühte sie sich, ihre deutschen Sympathien
möglichst offen an den Tag zu legen. So kam es, daß eine Reihe deutscher
Vereine behördlichen Beseitigungen ausgesetzt war und die Sammlung von
Liebesgaben für die deutschen Kriegsverwundeten verboten wurde. Man erklärte
dies als Neutralitätsbruch. Schließlich ließ man sich doch zur Genehmigung
der Liebesgabensammlung bewegen. Aber offene Sympathiekundgebungen mußten
«ach wie vor unterbleiben; so erklärte auch im Namen der deutschen Studenten
der „Deutsche Volksverein", daß er „mit seinen glühenden Wünschen im deutschen
Lager stehe, vollständig, rückhaltlos und unbedingt". Zugleich forderte er. „daß
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |