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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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anders zu verlaufen als anderen, neue Be¬
lichtung gibt er, oft neue Gesamtauffnssung.

So schreitet er von Scipio dem Älteren
bis Mark Aurel, durch rund 400 Jahre und
bleibt auf seinem Gange auch vor Creo, den
Gracchen, Sulla, Lukull, Pompejus, Caesar,
Antonius, Augustus, Claudius, Titus, Trajan
und Hadrian stehen.

Imi Ergebnis seiner Betrachtungen weicht
Bird nicht selten von seinen Vorgängern ab,
vor allem im Hinblick auf Pompejus: die
meist geübte Zurücksetzung gegen Caesar, der
doch sehr "durch die Umstände getragen" sei,
vermag Bird nicht mitzumachen, sondern weist
auf die überlegene Ausnutzung der römischen
Staatsgewalten durch Pompejus hin, der er
"die geniale Planlosigkeit Caesars" entgegen¬
setzt. Wie Pompejus versucht der Verfasser
den Kaiser Claudius, den billiger Spott den
gelehrten Verkehrten genannt hat, in einigen
Punkten gerechter zu beurteilen.

Anregend ist auch die Wertung des Markus
Antonius, der als der wahre Fortsetzer der
von Caesar geplanten absoluten Militär¬
monarchie geschildert wird, während Octavian
eher den Prinzipien des Pompejus folge.

Ganz hervorragend ist Octavians Charakter
gedeutet -- ich billige hier Virts Urteil durch¬
aus -- "Er hatte (heißt es Seite 192) die
Natur zugleich des Bankiers und des Gelehrten,
zugleich des Büchermenschen und des Opera¬
teurs. Ein guter Bankier wartet die günstige
Konjunktur ab, still, kalt und nochmals kalt
bis ans Herz hinan .... er war wie ein
Mathematiker, der seine Aufgabe still auf¬
rechnet . . ., wie ein Naturforscher, der ein
Insekt durch die Lupe studiert, wie ein Anatom,
der den Frosch seziert und seine Zuckungen
und Herzschläge mißt, endlich wie ein Chirurg,
der seinen Schnitt kaltblütig ausführt . .
Einen geradezu handgreiflichen Beweis der
Richtigkeit dieses Urteils bildet das Politische
Vermächtnis des Augustus, das Uonumsntum
^ne^rsnum, mit seiner ehernen Ruhe und
seiner harten Sachlichkeit!

Bei der Beurteilung der anderen Kaiser galt
es für Birk (nach seinen eigenen Worten) "vor¬
nehmlich zu zeigen, was die Meltherrscher,
le auf Octavian gefolgt sind, aus dem gro߬
artig en Versnssungs- und Kulturwerk, das er

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geschaffen, gemacht haben", und er legt dabei
besonderen Wert auf die Deutung der Stellung
und Wirkung Senecns: denn dieser Philosoph
habe die Reichsverwaltung des Augustus als
das Ideal, zu dem man zurück müsse, Pro¬
klamiert; seine direkten Fortsetzer . . . seien
Titus und Trajan gewesen, und das Ende
bildeten Hadrian und Mark Aurel.

Das sind Deutungen und Belichtungen,
denen Schärfe und Richtigkeit nicht Wohl ab¬
gestritten werden können, und lassen wir uns
dann von Birk vor das Bild des großen
Friedrichs führen, der seinen Mark Aurel genau
kannte, so sehen wir wieder, wie aus dem
Samen der Antike nach Jahrtausenden langsam
unsere Gegenwart erwachsen ist, und zwar
"vom Trivialstem bis zum Erhabensten: unsere
Ernährung in Küche und Keller, unserStraßen-
wesen, unsere Vergnügungen, unser Recht, unsere
Religion und unsere Moral; so auch unser
Herrscherideal, wie es Soneca vorgezeichnet
und Mark Aurel verwirklicht hat."

Birth Buch ist zugleich ein kräftiges Be¬
kenntnis zu einer individualistischen Geschichts¬
auffassung; die Geschichte Roms wird ihm
seit der Zeit ScipioS zur Personengeschichte:
"Die großen Menschen waren es, und sie sind
es noch heute, die die Geschichte machen", so
ruft er, ohne dabei freilich zu verkennen, daß
auch jene nur die Produkte der Gesellschaft
sind, aus der sie hervorgingen.

Diese individualistische Auffassung vertritt
auch Alfred von Domaszewski in seiner
großen zweibändigen Kaisergeschichte. (Ge¬
schichte der römischen Kaiser, Quelle
u. Meyer, Leipzig 1914) und als die ihn
bei seinem Werke leitende Absicht gibt er an:
"An die Gebildeten dachte ich, als ich in der
natürlichen Rede des Deutschen die Gestalten
der Kaiser wiederzuerwecken suchte. Durch
das Nachdenken langer Jahre erwuchsen diese
Kaiser der Römer in dem Gefängnis des
Bücherzimmers zu lebendigen Erscheinungen."

War bei Bird jener Standpunkt natürlich,
so wünschten wir von Domaszewski, der nicht
nur Lebensbeschreibungen geben durfte, anderes
eine Schilderung der sozialen und wirtschaft¬
lichen Grundlagen jener Zeiten und ihrer geisti¬
gen Strömungen. Wohl legt er in der Ein¬
leitung die Gründe für den Untergang der

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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anders zu verlaufen als anderen, neue Be¬
lichtung gibt er, oft neue Gesamtauffnssung.

So schreitet er von Scipio dem Älteren
bis Mark Aurel, durch rund 400 Jahre und
bleibt auf seinem Gange auch vor Creo, den
Gracchen, Sulla, Lukull, Pompejus, Caesar,
Antonius, Augustus, Claudius, Titus, Trajan
und Hadrian stehen.

Imi Ergebnis seiner Betrachtungen weicht
Bird nicht selten von seinen Vorgängern ab,
vor allem im Hinblick auf Pompejus: die
meist geübte Zurücksetzung gegen Caesar, der
doch sehr „durch die Umstände getragen" sei,
vermag Bird nicht mitzumachen, sondern weist
auf die überlegene Ausnutzung der römischen
Staatsgewalten durch Pompejus hin, der er
„die geniale Planlosigkeit Caesars" entgegen¬
setzt. Wie Pompejus versucht der Verfasser
den Kaiser Claudius, den billiger Spott den
gelehrten Verkehrten genannt hat, in einigen
Punkten gerechter zu beurteilen.

Anregend ist auch die Wertung des Markus
Antonius, der als der wahre Fortsetzer der
von Caesar geplanten absoluten Militär¬
monarchie geschildert wird, während Octavian
eher den Prinzipien des Pompejus folge.

Ganz hervorragend ist Octavians Charakter
gedeutet — ich billige hier Virts Urteil durch¬
aus — „Er hatte (heißt es Seite 192) die
Natur zugleich des Bankiers und des Gelehrten,
zugleich des Büchermenschen und des Opera¬
teurs. Ein guter Bankier wartet die günstige
Konjunktur ab, still, kalt und nochmals kalt
bis ans Herz hinan .... er war wie ein
Mathematiker, der seine Aufgabe still auf¬
rechnet . . ., wie ein Naturforscher, der ein
Insekt durch die Lupe studiert, wie ein Anatom,
der den Frosch seziert und seine Zuckungen
und Herzschläge mißt, endlich wie ein Chirurg,
der seinen Schnitt kaltblütig ausführt . .
Einen geradezu handgreiflichen Beweis der
Richtigkeit dieses Urteils bildet das Politische
Vermächtnis des Augustus, das Uonumsntum
^ne^rsnum, mit seiner ehernen Ruhe und
seiner harten Sachlichkeit!

Bei der Beurteilung der anderen Kaiser galt
es für Birk (nach seinen eigenen Worten) „vor¬
nehmlich zu zeigen, was die Meltherrscher,
le auf Octavian gefolgt sind, aus dem gro߬
artig en Versnssungs- und Kulturwerk, das er

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geschaffen, gemacht haben", und er legt dabei
besonderen Wert auf die Deutung der Stellung
und Wirkung Senecns: denn dieser Philosoph
habe die Reichsverwaltung des Augustus als
das Ideal, zu dem man zurück müsse, Pro¬
klamiert; seine direkten Fortsetzer . . . seien
Titus und Trajan gewesen, und das Ende
bildeten Hadrian und Mark Aurel.

Das sind Deutungen und Belichtungen,
denen Schärfe und Richtigkeit nicht Wohl ab¬
gestritten werden können, und lassen wir uns
dann von Birk vor das Bild des großen
Friedrichs führen, der seinen Mark Aurel genau
kannte, so sehen wir wieder, wie aus dem
Samen der Antike nach Jahrtausenden langsam
unsere Gegenwart erwachsen ist, und zwar
„vom Trivialstem bis zum Erhabensten: unsere
Ernährung in Küche und Keller, unserStraßen-
wesen, unsere Vergnügungen, unser Recht, unsere
Religion und unsere Moral; so auch unser
Herrscherideal, wie es Soneca vorgezeichnet
und Mark Aurel verwirklicht hat."

Birth Buch ist zugleich ein kräftiges Be¬
kenntnis zu einer individualistischen Geschichts¬
auffassung; die Geschichte Roms wird ihm
seit der Zeit ScipioS zur Personengeschichte:
„Die großen Menschen waren es, und sie sind
es noch heute, die die Geschichte machen", so
ruft er, ohne dabei freilich zu verkennen, daß
auch jene nur die Produkte der Gesellschaft
sind, aus der sie hervorgingen.

Diese individualistische Auffassung vertritt
auch Alfred von Domaszewski in seiner
großen zweibändigen Kaisergeschichte. (Ge¬
schichte der römischen Kaiser, Quelle
u. Meyer, Leipzig 1914) und als die ihn
bei seinem Werke leitende Absicht gibt er an:
„An die Gebildeten dachte ich, als ich in der
natürlichen Rede des Deutschen die Gestalten
der Kaiser wiederzuerwecken suchte. Durch
das Nachdenken langer Jahre erwuchsen diese
Kaiser der Römer in dem Gefängnis des
Bücherzimmers zu lebendigen Erscheinungen."

War bei Bird jener Standpunkt natürlich,
so wünschten wir von Domaszewski, der nicht
nur Lebensbeschreibungen geben durfte, anderes
eine Schilderung der sozialen und wirtschaft¬
lichen Grundlagen jener Zeiten und ihrer geisti¬
gen Strömungen. Wohl legt er in der Ein¬
leitung die Gründe für den Untergang der

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[0262] Maßgebliches und Unmaßgebliches anders zu verlaufen als anderen, neue Be¬ lichtung gibt er, oft neue Gesamtauffnssung. So schreitet er von Scipio dem Älteren bis Mark Aurel, durch rund 400 Jahre und bleibt auf seinem Gange auch vor Creo, den Gracchen, Sulla, Lukull, Pompejus, Caesar, Antonius, Augustus, Claudius, Titus, Trajan und Hadrian stehen. Imi Ergebnis seiner Betrachtungen weicht Bird nicht selten von seinen Vorgängern ab, vor allem im Hinblick auf Pompejus: die meist geübte Zurücksetzung gegen Caesar, der doch sehr „durch die Umstände getragen" sei, vermag Bird nicht mitzumachen, sondern weist auf die überlegene Ausnutzung der römischen Staatsgewalten durch Pompejus hin, der er „die geniale Planlosigkeit Caesars" entgegen¬ setzt. Wie Pompejus versucht der Verfasser den Kaiser Claudius, den billiger Spott den gelehrten Verkehrten genannt hat, in einigen Punkten gerechter zu beurteilen. Anregend ist auch die Wertung des Markus Antonius, der als der wahre Fortsetzer der von Caesar geplanten absoluten Militär¬ monarchie geschildert wird, während Octavian eher den Prinzipien des Pompejus folge. Ganz hervorragend ist Octavians Charakter gedeutet — ich billige hier Virts Urteil durch¬ aus — „Er hatte (heißt es Seite 192) die Natur zugleich des Bankiers und des Gelehrten, zugleich des Büchermenschen und des Opera¬ teurs. Ein guter Bankier wartet die günstige Konjunktur ab, still, kalt und nochmals kalt bis ans Herz hinan .... er war wie ein Mathematiker, der seine Aufgabe still auf¬ rechnet . . ., wie ein Naturforscher, der ein Insekt durch die Lupe studiert, wie ein Anatom, der den Frosch seziert und seine Zuckungen und Herzschläge mißt, endlich wie ein Chirurg, der seinen Schnitt kaltblütig ausführt . . Einen geradezu handgreiflichen Beweis der Richtigkeit dieses Urteils bildet das Politische Vermächtnis des Augustus, das Uonumsntum ^ne^rsnum, mit seiner ehernen Ruhe und seiner harten Sachlichkeit! Bei der Beurteilung der anderen Kaiser galt es für Birk (nach seinen eigenen Worten) „vor¬ nehmlich zu zeigen, was die Meltherrscher, le auf Octavian gefolgt sind, aus dem gro߬ artig en Versnssungs- und Kulturwerk, das er geschaffen, gemacht haben", und er legt dabei besonderen Wert auf die Deutung der Stellung und Wirkung Senecns: denn dieser Philosoph habe die Reichsverwaltung des Augustus als das Ideal, zu dem man zurück müsse, Pro¬ klamiert; seine direkten Fortsetzer . . . seien Titus und Trajan gewesen, und das Ende bildeten Hadrian und Mark Aurel. Das sind Deutungen und Belichtungen, denen Schärfe und Richtigkeit nicht Wohl ab¬ gestritten werden können, und lassen wir uns dann von Birk vor das Bild des großen Friedrichs führen, der seinen Mark Aurel genau kannte, so sehen wir wieder, wie aus dem Samen der Antike nach Jahrtausenden langsam unsere Gegenwart erwachsen ist, und zwar „vom Trivialstem bis zum Erhabensten: unsere Ernährung in Küche und Keller, unserStraßen- wesen, unsere Vergnügungen, unser Recht, unsere Religion und unsere Moral; so auch unser Herrscherideal, wie es Soneca vorgezeichnet und Mark Aurel verwirklicht hat." Birth Buch ist zugleich ein kräftiges Be¬ kenntnis zu einer individualistischen Geschichts¬ auffassung; die Geschichte Roms wird ihm seit der Zeit ScipioS zur Personengeschichte: „Die großen Menschen waren es, und sie sind es noch heute, die die Geschichte machen", so ruft er, ohne dabei freilich zu verkennen, daß auch jene nur die Produkte der Gesellschaft sind, aus der sie hervorgingen. Diese individualistische Auffassung vertritt auch Alfred von Domaszewski in seiner großen zweibändigen Kaisergeschichte. (Ge¬ schichte der römischen Kaiser, Quelle u. Meyer, Leipzig 1914) und als die ihn bei seinem Werke leitende Absicht gibt er an: „An die Gebildeten dachte ich, als ich in der natürlichen Rede des Deutschen die Gestalten der Kaiser wiederzuerwecken suchte. Durch das Nachdenken langer Jahre erwuchsen diese Kaiser der Römer in dem Gefängnis des Bücherzimmers zu lebendigen Erscheinungen." War bei Bird jener Standpunkt natürlich, so wünschten wir von Domaszewski, der nicht nur Lebensbeschreibungen geben durfte, anderes eine Schilderung der sozialen und wirtschaft¬ lichen Grundlagen jener Zeiten und ihrer geisti¬ gen Strömungen. Wohl legt er in der Ein¬ leitung die Gründe für den Untergang der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/262>, abgerufen am 22.07.2024.