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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Zeitung und Hochschule

früher oft nicht immer dem Stande zum Nutzen gereichende Selbstherrlichkeit
und Ungebundenheit ein wenig verzichten müssen.

Der Leiter eines großen Blattes erfüllt eine wichtige Kulturmission und
bedarf zu ihrer gedeihlichen Lösung vor allem einer großen Befähigung zur
Synthese. Muß er doch aus allen Kulturgebieten das Wesentliche erfassen und
den Lesern mit Hilfe seiner Mitarbeiter nahe bringen. Es soll damit nicht
etwa gesagt werden, daß jeder Redakteur ein Polyhistor werden müsse; hat
man doch dem Journalisten nicht ganz mit Unrecht vorgeworfen, daß er von
allem etwas, nichts aber recht verstehe. Die Universität soll ihm vielmehr nur
die methodische Schulung auf Grund eingehender Studien vermitteln. Ob man
das Studium durch eine besondere Prüfung abschließen lassen soll, bleibt eine
offene Frage. Unser Vaterland ist einmal das "klassische Land der offiziellen
Abstempelung alles Wissens durch die Examensnote", und die Menschen zer>
fallen geradezu in zwei Klassen, solche die geprüft werden und solche, die sich
prüfen lassen. Es würde damit allerdings der freie Wettbewerb aller Kräfte
etwas eingeschränkt, aber die Achtung vor dem Stande würde ^ zweifellos
wachsen, wenn die Öffentlichkeit wüßte, daß jemand ebensowenig ^ohne ein
Mindestmaß nachgewiesener Kenntnisse eine Zeitung leiten, als einen Menschen"
das Bein amputieren darf. Sie würde sich dann wohl auch wieder daran
erinnern, was sie der Presse verdankt, und auch die Stellung des Redakteurs
zu seinem Verleger, die oft dem geistigen Schaffen eines Mannes unangenehme
Fesseln anlegt, würde gebessert. Urteile, wie sie Stüber häufig nicht ganz mit
Unrecht über den Journalisten gefällt wurden, verlören dann ihre Berechtigung.'

In einer zweiten Hinsicht kann die engere Verbindung von Presse und
Hochschule zum Segen werden: sie schafft dem Schriftleiter einen ihn besser
behandelnden Leserkreis, denn hat die große Menge erst etwas Einblick in das'
schwierige Arbeitsgebiet einer modemen Zeitung gewonnen, so wird sie nicht
nur dem Leiter des Blattes die gebührende Rücksicht zubilligen, sondern auch
von größerer Lichtung vor den Leuten beseelt sein, die in selbstloser Hingabe
oft um kärglichen Lohn und in unfreier Stellung arbeiten müssen. "Kien n'L8t
moins connu eis csux ami Ü3ent Is8 journaux -- ni mens cke ceux ami
los tont -- czucz I'Ki8toll-ez cku journali3me" schrieb der Pariser "Figaro"
vor einigen Jahren, und dasselbe gilt für Deutschland in erhöhtem Maße.

Der Weltkrieg wird uns manches Neue bringen; es steht zu hoffen, daß
auch der Kenntnis des Zeitungswesens mehr Beachtung geschenkt werden wird.
In den höheren Schulen Preußens ist durch die Neuregelung des Geschichtsunter¬
richtes mehr Raum geschaffen zur Behandlung der Neuzeit und ihrer Bedürfnisse,
möge ein bescheidenes Plätzchen auch für den Journalismus abfallen. Das ist
aber nur möglich, wenn die Erzieher der Jugend selbst auf der Hochschule
Gelegenheit haben, sich mit den wichtigsten Fragen des so gewaltig entwickelten
Pressewesens vertraut zu machen. Dazu genügt aber nicht, daß ein National--
ökonom oder Literarhistoriker sich in einem Publikum des bislang als Zwitter-


Zeitung und Hochschule

früher oft nicht immer dem Stande zum Nutzen gereichende Selbstherrlichkeit
und Ungebundenheit ein wenig verzichten müssen.

Der Leiter eines großen Blattes erfüllt eine wichtige Kulturmission und
bedarf zu ihrer gedeihlichen Lösung vor allem einer großen Befähigung zur
Synthese. Muß er doch aus allen Kulturgebieten das Wesentliche erfassen und
den Lesern mit Hilfe seiner Mitarbeiter nahe bringen. Es soll damit nicht
etwa gesagt werden, daß jeder Redakteur ein Polyhistor werden müsse; hat
man doch dem Journalisten nicht ganz mit Unrecht vorgeworfen, daß er von
allem etwas, nichts aber recht verstehe. Die Universität soll ihm vielmehr nur
die methodische Schulung auf Grund eingehender Studien vermitteln. Ob man
das Studium durch eine besondere Prüfung abschließen lassen soll, bleibt eine
offene Frage. Unser Vaterland ist einmal das „klassische Land der offiziellen
Abstempelung alles Wissens durch die Examensnote", und die Menschen zer>
fallen geradezu in zwei Klassen, solche die geprüft werden und solche, die sich
prüfen lassen. Es würde damit allerdings der freie Wettbewerb aller Kräfte
etwas eingeschränkt, aber die Achtung vor dem Stande würde ^ zweifellos
wachsen, wenn die Öffentlichkeit wüßte, daß jemand ebensowenig ^ohne ein
Mindestmaß nachgewiesener Kenntnisse eine Zeitung leiten, als einen Menschen"
das Bein amputieren darf. Sie würde sich dann wohl auch wieder daran
erinnern, was sie der Presse verdankt, und auch die Stellung des Redakteurs
zu seinem Verleger, die oft dem geistigen Schaffen eines Mannes unangenehme
Fesseln anlegt, würde gebessert. Urteile, wie sie Stüber häufig nicht ganz mit
Unrecht über den Journalisten gefällt wurden, verlören dann ihre Berechtigung.'

In einer zweiten Hinsicht kann die engere Verbindung von Presse und
Hochschule zum Segen werden: sie schafft dem Schriftleiter einen ihn besser
behandelnden Leserkreis, denn hat die große Menge erst etwas Einblick in das'
schwierige Arbeitsgebiet einer modemen Zeitung gewonnen, so wird sie nicht
nur dem Leiter des Blattes die gebührende Rücksicht zubilligen, sondern auch
von größerer Lichtung vor den Leuten beseelt sein, die in selbstloser Hingabe
oft um kärglichen Lohn und in unfreier Stellung arbeiten müssen. „Kien n'L8t
moins connu eis csux ami Ü3ent Is8 journaux — ni mens cke ceux ami
los tont — czucz I'Ki8toll-ez cku journali3me" schrieb der Pariser „Figaro"
vor einigen Jahren, und dasselbe gilt für Deutschland in erhöhtem Maße.

Der Weltkrieg wird uns manches Neue bringen; es steht zu hoffen, daß
auch der Kenntnis des Zeitungswesens mehr Beachtung geschenkt werden wird.
In den höheren Schulen Preußens ist durch die Neuregelung des Geschichtsunter¬
richtes mehr Raum geschaffen zur Behandlung der Neuzeit und ihrer Bedürfnisse,
möge ein bescheidenes Plätzchen auch für den Journalismus abfallen. Das ist
aber nur möglich, wenn die Erzieher der Jugend selbst auf der Hochschule
Gelegenheit haben, sich mit den wichtigsten Fragen des so gewaltig entwickelten
Pressewesens vertraut zu machen. Dazu genügt aber nicht, daß ein National--
ökonom oder Literarhistoriker sich in einem Publikum des bislang als Zwitter-


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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/259>, abgerufen am 24.08.2024.