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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Zeitung und Hochschule

gehalten werden. Schlözer trifft hier also mit modernen Bestrebungen zu¬
sammen; schon vor Jahren hat die Leipziger Studentenschaft in einer Eingabe
um Einrichtung einer Vorlesung über Journalismus gebeten, und es ist sehr zu
bedauern, daß unsere Unterrichtsverwaltung, im Gegensatz zur Schweiz und
Frankreich, noch wenig getan hat, um einen Gedanken zur Verwirklichung zu
bringen, den ein weitblickender Gelehrter wie Schlözer für das im Vergleich
mit der heutigen Weltmacht der Presse doch dürftig zu nennende Zeitungs¬
wesen seiner Zeit vor mehr als hundert Jahren in so überzeugender Weise
theoretisch begründet und praktisch mit Erfolg ausgeführt hat. Auf denselben
Pfaden wie Schlözer wandelte zehn Jahre später sein Amtsgenosse an der
Göttinger Universität, der Professor der Geschichte und Statistik Friedrich
Gottlieb Cranzer, der auch ein Kolleg über Zeitungswesen ankündigte.

Als Rest eines Zeitungskollegs kann man wohl auch die Abhandlung des
Professors an der Universität Halle, Johann Peter Ludwig, betrachten, die er
1700 unter dem Titel "Vom Gebrauch und Mißbrauch der Zeitungen. Bey
Eröffnung Eines Collegii geführet. Anno 1700" in seinen gesammelten
Schriften drucken ließ.

Ludwig hatte die Gewohnheit: "unter anderen Kollegien ein Perpetuum
über die Gazellen zu halten." Es wurden daran Diskurse angeknüpft und
zur Einführung seiner Schüler in dem Stoff gab er die genannte Einleitung
heraus, die viele interessante Einzelheiten aus der Preßgeschichte enthält.

Auch in den literarischen Kollegien wurde die Zeitungsgeschichte berück-
sichtigt. So berichtet Götter in seiner "Anderen Continuatiou der Gründlichen
Nachrichten von denen Journalen, Ephemeridibus u. s. w., die von Anno
1720--1724 ans Licht kommen", daß "ein berühmter Professor und Poly¬
histor an einer ebenfalls berühmten Universität in seinem Kolleg über Risoria
literanA auch über die Journalliteratur gehandelt habe."

Selbst den Doktorhut konnte man sich schon fehr früh mit einer wissen¬
schaftlichen Abhandlung über Zeitungswesen erwerben. Es lassen sich zahlreiche
derartige Arbeiten nachweisen. So handelte schon 1690 Tobias Peuzer aus
Görlitz in 29 Leitsätzen über Zeitungen in einer Leipziger Dissertation; fünf
Jahre später folgte ihm der Theologe Hofmann an derselben Hochschule mit
der Abhandlung: "ve novelli8 earumczue cum fructu leZenäarum requi8leis
potioribus." Aber diesen und ähnlichen Arbeiten fehlten meist positive An¬
gaben, sie sind in einem moralisierenden, bombastischer, mit gelehrten Flicken
und Zitaten aus der Heiligen Schrift und den Klassikern gespickter Kanzelton
gehalten. Durch sachlichen Inhalt ragt eine Upsalaer Dissertation des Schweden
Sepelius hervor aus dem Jahre 1752, in der ein beachtenswerter Überblick
über die Presse Schwedens und anderer Länder gegeben wird.

Von den neueren Versuchen, dem Zeitungswesen akademisches Bürgerrecht
Zu verleihen, verdient vor allem das Vorgehen der Schweiz Beachtung und
Nachahmung. In Bern hat man sogar einen vollständigen Studienplan für


Zeitung und Hochschule

gehalten werden. Schlözer trifft hier also mit modernen Bestrebungen zu¬
sammen; schon vor Jahren hat die Leipziger Studentenschaft in einer Eingabe
um Einrichtung einer Vorlesung über Journalismus gebeten, und es ist sehr zu
bedauern, daß unsere Unterrichtsverwaltung, im Gegensatz zur Schweiz und
Frankreich, noch wenig getan hat, um einen Gedanken zur Verwirklichung zu
bringen, den ein weitblickender Gelehrter wie Schlözer für das im Vergleich
mit der heutigen Weltmacht der Presse doch dürftig zu nennende Zeitungs¬
wesen seiner Zeit vor mehr als hundert Jahren in so überzeugender Weise
theoretisch begründet und praktisch mit Erfolg ausgeführt hat. Auf denselben
Pfaden wie Schlözer wandelte zehn Jahre später sein Amtsgenosse an der
Göttinger Universität, der Professor der Geschichte und Statistik Friedrich
Gottlieb Cranzer, der auch ein Kolleg über Zeitungswesen ankündigte.

Als Rest eines Zeitungskollegs kann man wohl auch die Abhandlung des
Professors an der Universität Halle, Johann Peter Ludwig, betrachten, die er
1700 unter dem Titel „Vom Gebrauch und Mißbrauch der Zeitungen. Bey
Eröffnung Eines Collegii geführet. Anno 1700" in seinen gesammelten
Schriften drucken ließ.

Ludwig hatte die Gewohnheit: „unter anderen Kollegien ein Perpetuum
über die Gazellen zu halten." Es wurden daran Diskurse angeknüpft und
zur Einführung seiner Schüler in dem Stoff gab er die genannte Einleitung
heraus, die viele interessante Einzelheiten aus der Preßgeschichte enthält.

Auch in den literarischen Kollegien wurde die Zeitungsgeschichte berück-
sichtigt. So berichtet Götter in seiner „Anderen Continuatiou der Gründlichen
Nachrichten von denen Journalen, Ephemeridibus u. s. w., die von Anno
1720—1724 ans Licht kommen", daß „ein berühmter Professor und Poly¬
histor an einer ebenfalls berühmten Universität in seinem Kolleg über Risoria
literanA auch über die Journalliteratur gehandelt habe."

Selbst den Doktorhut konnte man sich schon fehr früh mit einer wissen¬
schaftlichen Abhandlung über Zeitungswesen erwerben. Es lassen sich zahlreiche
derartige Arbeiten nachweisen. So handelte schon 1690 Tobias Peuzer aus
Görlitz in 29 Leitsätzen über Zeitungen in einer Leipziger Dissertation; fünf
Jahre später folgte ihm der Theologe Hofmann an derselben Hochschule mit
der Abhandlung: „ve novelli8 earumczue cum fructu leZenäarum requi8leis
potioribus." Aber diesen und ähnlichen Arbeiten fehlten meist positive An¬
gaben, sie sind in einem moralisierenden, bombastischer, mit gelehrten Flicken
und Zitaten aus der Heiligen Schrift und den Klassikern gespickter Kanzelton
gehalten. Durch sachlichen Inhalt ragt eine Upsalaer Dissertation des Schweden
Sepelius hervor aus dem Jahre 1752, in der ein beachtenswerter Überblick
über die Presse Schwedens und anderer Länder gegeben wird.

Von den neueren Versuchen, dem Zeitungswesen akademisches Bürgerrecht
Zu verleihen, verdient vor allem das Vorgehen der Schweiz Beachtung und
Nachahmung. In Bern hat man sogar einen vollständigen Studienplan für


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[0257] Zeitung und Hochschule gehalten werden. Schlözer trifft hier also mit modernen Bestrebungen zu¬ sammen; schon vor Jahren hat die Leipziger Studentenschaft in einer Eingabe um Einrichtung einer Vorlesung über Journalismus gebeten, und es ist sehr zu bedauern, daß unsere Unterrichtsverwaltung, im Gegensatz zur Schweiz und Frankreich, noch wenig getan hat, um einen Gedanken zur Verwirklichung zu bringen, den ein weitblickender Gelehrter wie Schlözer für das im Vergleich mit der heutigen Weltmacht der Presse doch dürftig zu nennende Zeitungs¬ wesen seiner Zeit vor mehr als hundert Jahren in so überzeugender Weise theoretisch begründet und praktisch mit Erfolg ausgeführt hat. Auf denselben Pfaden wie Schlözer wandelte zehn Jahre später sein Amtsgenosse an der Göttinger Universität, der Professor der Geschichte und Statistik Friedrich Gottlieb Cranzer, der auch ein Kolleg über Zeitungswesen ankündigte. Als Rest eines Zeitungskollegs kann man wohl auch die Abhandlung des Professors an der Universität Halle, Johann Peter Ludwig, betrachten, die er 1700 unter dem Titel „Vom Gebrauch und Mißbrauch der Zeitungen. Bey Eröffnung Eines Collegii geführet. Anno 1700" in seinen gesammelten Schriften drucken ließ. Ludwig hatte die Gewohnheit: „unter anderen Kollegien ein Perpetuum über die Gazellen zu halten." Es wurden daran Diskurse angeknüpft und zur Einführung seiner Schüler in dem Stoff gab er die genannte Einleitung heraus, die viele interessante Einzelheiten aus der Preßgeschichte enthält. Auch in den literarischen Kollegien wurde die Zeitungsgeschichte berück- sichtigt. So berichtet Götter in seiner „Anderen Continuatiou der Gründlichen Nachrichten von denen Journalen, Ephemeridibus u. s. w., die von Anno 1720—1724 ans Licht kommen", daß „ein berühmter Professor und Poly¬ histor an einer ebenfalls berühmten Universität in seinem Kolleg über Risoria literanA auch über die Journalliteratur gehandelt habe." Selbst den Doktorhut konnte man sich schon fehr früh mit einer wissen¬ schaftlichen Abhandlung über Zeitungswesen erwerben. Es lassen sich zahlreiche derartige Arbeiten nachweisen. So handelte schon 1690 Tobias Peuzer aus Görlitz in 29 Leitsätzen über Zeitungen in einer Leipziger Dissertation; fünf Jahre später folgte ihm der Theologe Hofmann an derselben Hochschule mit der Abhandlung: „ve novelli8 earumczue cum fructu leZenäarum requi8leis potioribus." Aber diesen und ähnlichen Arbeiten fehlten meist positive An¬ gaben, sie sind in einem moralisierenden, bombastischer, mit gelehrten Flicken und Zitaten aus der Heiligen Schrift und den Klassikern gespickter Kanzelton gehalten. Durch sachlichen Inhalt ragt eine Upsalaer Dissertation des Schweden Sepelius hervor aus dem Jahre 1752, in der ein beachtenswerter Überblick über die Presse Schwedens und anderer Länder gegeben wird. Von den neueren Versuchen, dem Zeitungswesen akademisches Bürgerrecht Zu verleihen, verdient vor allem das Vorgehen der Schweiz Beachtung und Nachahmung. In Bern hat man sogar einen vollständigen Studienplan für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/257>, abgerufen am 22.07.2024.