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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Das deutsche volkserivachen in Oesterreich

allein, sondern auch darum, daß die Negierung steht, wie es unmöglich sein
wird, .das rote Straferl', das wir Deutsche in Osterreich in unserem schwarz-gelb
haben, jemals daraus wegzubringen." Aber die Ironie der Geschichte wollte
es, daß die Freischaren nicht in das Feld durften, während das offizielle
Österreich gemeinsam mit Preußen die beiden Herzogtümer 1864 militärisch
besetzte. Zu gleicher Zeit knüpften sich die Beziehungen zwischen den Turnern
und Burschenschafter hüben und drüben, die wesentlich zum Erstarken der national¬
deutschen Bewegung in Österreich beitrugen. Diese anfänglich programmatisch
noch unklar, gewann durch das wiederkehrende freiheitsfeindliche Regime immer
mehr kleindeutschen Inhalt; einerseits der nur konstitutionell verschleierte Absolu¬
tismus, anderseits die fremdnationalen Aspirationen im Norden. Süden und
Osten trieben die Ostmärker zu gesteigertem Nationalempfinden, das bewußt die
Zusammenhänge mit dem übrigen Deutschtum nähren und pflegen wollte. Die
Sistierung der Verfassung (20. September 1865) schuf der jungdeutschen
Bewegung die besten Wurzeln. Als Gegenmittel wurde der Bismarckhaß künstlich
gezüchtet, auch der Preußenhaß wuchs auf demselben Boden. Die einstige
schöne Biedermeierzeit, die goldene Zeit der Bach-Händel-Gemütlichkeit und des
Heurigenplausches, der anregenden Kaffeejausen zu Hause und lockender Walzer"
klänge war also vorüber, endgültig vorüber und nur die ältesten Jahrgänge
naschten und nippten traumverloren, wenn sie sich in die gute alte Zeit wohl
nicht in anziehender Wirklichkeit, so doch beseligender Erinnerung zurückversetzten.
Das neue Geschlecht, das war doch ganz anders! Da politisierten schon die
grünsten Jungen über die heikelsten Fragen, die je Menschenhirne ausgesponnen,
und philosophierten über Raum und Zeit hinweg. Die Alten in politischer
Friedhofsruhe und Totenstille aufgewachsen, wollten von dem Krimskrams
leidiger Doktorfragen nichts wissen und fluchten über die böse Zeit, die sie da
aus der Beschaulichkeit allerfrohester Genußheiterkeit "herausstamperte". Die
Frage der Einigung der Nation, die kümmerte sie eben nicht viel. Aber die Jungen!
die waren nicht von dem schweren Blute, das eben nicht mehr mit konnte.

Da kam 1866. das Jahr des Bruderkrieges, deruus leider nicht erspart bleiben
konnte. Jungösterreich hielt sich passiv, es ehrte den Schmerz der Alten, weil es
wußte, das Alter mache jeden konservativ. Aber Jungösterreich, voran der Banner¬
träger des deutschen Gedankens in Österreich, Robert Hamerling, dachte national,
allerdings nicht im friedlichen Sinne der Alten, sondern ihm zogen schon früh Ungestüm
und Tatendrang den Schleier von der Zukunft Größe. Da droben in Böhmen,
da östlich in Ungarn, da südlich in den welschen Gebieten und nördlich in
Polen, da klang nur ein Klang, da sang nur ein Sang. Das war der nationale.
Warum also sollte der Jugend rascher Sturm und Drang nicht auch in Deutsch-
österreich hören das tausendfache Echo, das die nationale Bewegung in Europa
geweckt und es in einen Kessel brodelnder Explosivstoffe verwandelt hatte? Ohn¬
mächtige Verneinungen richteten nichts gegen den allgewaltigen Drang der Zeit.
schimmernd stieg im Norden der mächtige norddeutsche Bund Bismarckscher


Das deutsche volkserivachen in Oesterreich

allein, sondern auch darum, daß die Negierung steht, wie es unmöglich sein
wird, .das rote Straferl', das wir Deutsche in Osterreich in unserem schwarz-gelb
haben, jemals daraus wegzubringen." Aber die Ironie der Geschichte wollte
es, daß die Freischaren nicht in das Feld durften, während das offizielle
Österreich gemeinsam mit Preußen die beiden Herzogtümer 1864 militärisch
besetzte. Zu gleicher Zeit knüpften sich die Beziehungen zwischen den Turnern
und Burschenschafter hüben und drüben, die wesentlich zum Erstarken der national¬
deutschen Bewegung in Österreich beitrugen. Diese anfänglich programmatisch
noch unklar, gewann durch das wiederkehrende freiheitsfeindliche Regime immer
mehr kleindeutschen Inhalt; einerseits der nur konstitutionell verschleierte Absolu¬
tismus, anderseits die fremdnationalen Aspirationen im Norden. Süden und
Osten trieben die Ostmärker zu gesteigertem Nationalempfinden, das bewußt die
Zusammenhänge mit dem übrigen Deutschtum nähren und pflegen wollte. Die
Sistierung der Verfassung (20. September 1865) schuf der jungdeutschen
Bewegung die besten Wurzeln. Als Gegenmittel wurde der Bismarckhaß künstlich
gezüchtet, auch der Preußenhaß wuchs auf demselben Boden. Die einstige
schöne Biedermeierzeit, die goldene Zeit der Bach-Händel-Gemütlichkeit und des
Heurigenplausches, der anregenden Kaffeejausen zu Hause und lockender Walzer»
klänge war also vorüber, endgültig vorüber und nur die ältesten Jahrgänge
naschten und nippten traumverloren, wenn sie sich in die gute alte Zeit wohl
nicht in anziehender Wirklichkeit, so doch beseligender Erinnerung zurückversetzten.
Das neue Geschlecht, das war doch ganz anders! Da politisierten schon die
grünsten Jungen über die heikelsten Fragen, die je Menschenhirne ausgesponnen,
und philosophierten über Raum und Zeit hinweg. Die Alten in politischer
Friedhofsruhe und Totenstille aufgewachsen, wollten von dem Krimskrams
leidiger Doktorfragen nichts wissen und fluchten über die böse Zeit, die sie da
aus der Beschaulichkeit allerfrohester Genußheiterkeit „herausstamperte". Die
Frage der Einigung der Nation, die kümmerte sie eben nicht viel. Aber die Jungen!
die waren nicht von dem schweren Blute, das eben nicht mehr mit konnte.

Da kam 1866. das Jahr des Bruderkrieges, deruus leider nicht erspart bleiben
konnte. Jungösterreich hielt sich passiv, es ehrte den Schmerz der Alten, weil es
wußte, das Alter mache jeden konservativ. Aber Jungösterreich, voran der Banner¬
träger des deutschen Gedankens in Österreich, Robert Hamerling, dachte national,
allerdings nicht im friedlichen Sinne der Alten, sondern ihm zogen schon früh Ungestüm
und Tatendrang den Schleier von der Zukunft Größe. Da droben in Böhmen,
da östlich in Ungarn, da südlich in den welschen Gebieten und nördlich in
Polen, da klang nur ein Klang, da sang nur ein Sang. Das war der nationale.
Warum also sollte der Jugend rascher Sturm und Drang nicht auch in Deutsch-
österreich hören das tausendfache Echo, das die nationale Bewegung in Europa
geweckt und es in einen Kessel brodelnder Explosivstoffe verwandelt hatte? Ohn¬
mächtige Verneinungen richteten nichts gegen den allgewaltigen Drang der Zeit.
schimmernd stieg im Norden der mächtige norddeutsche Bund Bismarckscher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/25>, abgerufen am 22.07.2024.