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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Die innere Tage in Rußland

Administratoren dnrch Jahrhunderte hindurch mühselig aufgebaut worden sind.
Man schließt wieder das Fenster nach dem Westen, das Peter der Große für
Nußland geöffnet hat, und man ist sich dessen durchaus bewußt, wie Artikel
der russischen Presse beweisen, die die ganze Schuld der gegenwärtigen inneren
russischen Lage auf Peters Politik zurückführen, der die Deutschen in das Land
gerufen habe. --

Also demagogische Politik für das Volk und in den großen politischen
Fragen vollkommene Abkehr von allen liberalen Regungen, das ist die Richtung,
in der Chwostow und Goremykin segeln.

In der Frage der Einberufung der Duma ist man dem Block keinen
schritt weit entgegengekommen. Von einer früheren Einberufung der Duma,
als im Manifest des Zaren vorgesehen, kann gar keine Rede mehr sein. Man
wird wahrscheinlich -- da im Zarenmanifest vom November die Rede war,
den letzten Tag in diesem Monat wählen, der überhaupt möglich ist. Wenn
es geht, wird man die Tagung der Duma zu einer "geschäftsmäßigen" Herab¬
drücken, das heißt versuchen, den Abgeordneten einen Maulkorb vorzulegen, --
wuner mit der heinilichen Drohung einer zweiten Auflösung der Kammer.

Kann man dies ohne Gefahr tun?

Es scheint, daß man es kann, denn die oppositionellen Parteien haben
War einen großen Teil der öffentlichen Meinung hinter sich, aber sie sind,
wie Lukian das neulich in den Birschewpja Wjedomosti gesagt hat, "Sieger
ohne Waffen".

Die Oktobnstenpartei scheint sich vollkommen nutzlosen Klagen und stiller
Verzweiflung hinzugeben. In Moskau hat zur Erinnerung an den Tag des
17, Oktober 1905 ein Festmahl im Klub der Politiker stattgefunden, zu dem
auch Nodsjanko und Gmschkorv eingeladen, aber nicht erschienen waren. Auf
Hin wurden politische Reden gehalten, die für die herrschende Hoffnungslosigkeit
beredtes Zeugnis ablegen. Der Sekretär der Reichsduma Dmitrjulow stellte
fest, daß keine einzige der Versprechungen, die am 17. Oktober gegeben wurden,
gehalten wo-den seien, keine einzige der damaligen Hoffnungen sich erfüllt habe.
Ein anderer Redner bemerkte, daß dieses Festmahl auf ihn nicht den Eindruck
eines Jubiläums, sondern eines Leichenmahls mache. Ans allen Reden merkte
Man die Einsicht der Unmöglichkeit bei den führenden Politikern, mit ihren
Forderungen auch nur einen Schritt weiter zu kommen. Eine neue Losung --
die Losung der Verzweiflung taucht auf: "wir wollen unsere Forderungen ver¬
tagen, bis wir im gegenwärtigen großen Kriege nach außen den Sieg errungen
haben."

In der Kadetten Partei machen sich zwei Strömungen geltend. Die links¬
stehenden Politiker sehen ein. daß sie mit der bisherigen Taktik nicht weiter
kommen. Kokoschkin hatte bei der Versammlung der Parteiführer gesagt:
"Unsere Aufgabe ist sehr schwer. Vor uns steht ein doppelter Kampf, der
Kampf mit dem Feind und der Kampf um die Reorganisation der Re°


Die innere Tage in Rußland

Administratoren dnrch Jahrhunderte hindurch mühselig aufgebaut worden sind.
Man schließt wieder das Fenster nach dem Westen, das Peter der Große für
Nußland geöffnet hat, und man ist sich dessen durchaus bewußt, wie Artikel
der russischen Presse beweisen, die die ganze Schuld der gegenwärtigen inneren
russischen Lage auf Peters Politik zurückführen, der die Deutschen in das Land
gerufen habe. —

Also demagogische Politik für das Volk und in den großen politischen
Fragen vollkommene Abkehr von allen liberalen Regungen, das ist die Richtung,
in der Chwostow und Goremykin segeln.

In der Frage der Einberufung der Duma ist man dem Block keinen
schritt weit entgegengekommen. Von einer früheren Einberufung der Duma,
als im Manifest des Zaren vorgesehen, kann gar keine Rede mehr sein. Man
wird wahrscheinlich — da im Zarenmanifest vom November die Rede war,
den letzten Tag in diesem Monat wählen, der überhaupt möglich ist. Wenn
es geht, wird man die Tagung der Duma zu einer „geschäftsmäßigen" Herab¬
drücken, das heißt versuchen, den Abgeordneten einen Maulkorb vorzulegen, —
wuner mit der heinilichen Drohung einer zweiten Auflösung der Kammer.

Kann man dies ohne Gefahr tun?

Es scheint, daß man es kann, denn die oppositionellen Parteien haben
War einen großen Teil der öffentlichen Meinung hinter sich, aber sie sind,
wie Lukian das neulich in den Birschewpja Wjedomosti gesagt hat, „Sieger
ohne Waffen".

Die Oktobnstenpartei scheint sich vollkommen nutzlosen Klagen und stiller
Verzweiflung hinzugeben. In Moskau hat zur Erinnerung an den Tag des
17, Oktober 1905 ein Festmahl im Klub der Politiker stattgefunden, zu dem
auch Nodsjanko und Gmschkorv eingeladen, aber nicht erschienen waren. Auf
Hin wurden politische Reden gehalten, die für die herrschende Hoffnungslosigkeit
beredtes Zeugnis ablegen. Der Sekretär der Reichsduma Dmitrjulow stellte
fest, daß keine einzige der Versprechungen, die am 17. Oktober gegeben wurden,
gehalten wo-den seien, keine einzige der damaligen Hoffnungen sich erfüllt habe.
Ein anderer Redner bemerkte, daß dieses Festmahl auf ihn nicht den Eindruck
eines Jubiläums, sondern eines Leichenmahls mache. Ans allen Reden merkte
Man die Einsicht der Unmöglichkeit bei den führenden Politikern, mit ihren
Forderungen auch nur einen Schritt weiter zu kommen. Eine neue Losung —
die Losung der Verzweiflung taucht auf: „wir wollen unsere Forderungen ver¬
tagen, bis wir im gegenwärtigen großen Kriege nach außen den Sieg errungen
haben."

In der Kadetten Partei machen sich zwei Strömungen geltend. Die links¬
stehenden Politiker sehen ein. daß sie mit der bisherigen Taktik nicht weiter
kommen. Kokoschkin hatte bei der Versammlung der Parteiführer gesagt:
„Unsere Aufgabe ist sehr schwer. Vor uns steht ein doppelter Kampf, der
Kampf mit dem Feind und der Kampf um die Reorganisation der Re°


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[0241] Die innere Tage in Rußland Administratoren dnrch Jahrhunderte hindurch mühselig aufgebaut worden sind. Man schließt wieder das Fenster nach dem Westen, das Peter der Große für Nußland geöffnet hat, und man ist sich dessen durchaus bewußt, wie Artikel der russischen Presse beweisen, die die ganze Schuld der gegenwärtigen inneren russischen Lage auf Peters Politik zurückführen, der die Deutschen in das Land gerufen habe. — Also demagogische Politik für das Volk und in den großen politischen Fragen vollkommene Abkehr von allen liberalen Regungen, das ist die Richtung, in der Chwostow und Goremykin segeln. In der Frage der Einberufung der Duma ist man dem Block keinen schritt weit entgegengekommen. Von einer früheren Einberufung der Duma, als im Manifest des Zaren vorgesehen, kann gar keine Rede mehr sein. Man wird wahrscheinlich — da im Zarenmanifest vom November die Rede war, den letzten Tag in diesem Monat wählen, der überhaupt möglich ist. Wenn es geht, wird man die Tagung der Duma zu einer „geschäftsmäßigen" Herab¬ drücken, das heißt versuchen, den Abgeordneten einen Maulkorb vorzulegen, — wuner mit der heinilichen Drohung einer zweiten Auflösung der Kammer. Kann man dies ohne Gefahr tun? Es scheint, daß man es kann, denn die oppositionellen Parteien haben War einen großen Teil der öffentlichen Meinung hinter sich, aber sie sind, wie Lukian das neulich in den Birschewpja Wjedomosti gesagt hat, „Sieger ohne Waffen". Die Oktobnstenpartei scheint sich vollkommen nutzlosen Klagen und stiller Verzweiflung hinzugeben. In Moskau hat zur Erinnerung an den Tag des 17, Oktober 1905 ein Festmahl im Klub der Politiker stattgefunden, zu dem auch Nodsjanko und Gmschkorv eingeladen, aber nicht erschienen waren. Auf Hin wurden politische Reden gehalten, die für die herrschende Hoffnungslosigkeit beredtes Zeugnis ablegen. Der Sekretär der Reichsduma Dmitrjulow stellte fest, daß keine einzige der Versprechungen, die am 17. Oktober gegeben wurden, gehalten wo-den seien, keine einzige der damaligen Hoffnungen sich erfüllt habe. Ein anderer Redner bemerkte, daß dieses Festmahl auf ihn nicht den Eindruck eines Jubiläums, sondern eines Leichenmahls mache. Ans allen Reden merkte Man die Einsicht der Unmöglichkeit bei den führenden Politikern, mit ihren Forderungen auch nur einen Schritt weiter zu kommen. Eine neue Losung — die Losung der Verzweiflung taucht auf: „wir wollen unsere Forderungen ver¬ tagen, bis wir im gegenwärtigen großen Kriege nach außen den Sieg errungen haben." In der Kadetten Partei machen sich zwei Strömungen geltend. Die links¬ stehenden Politiker sehen ein. daß sie mit der bisherigen Taktik nicht weiter kommen. Kokoschkin hatte bei der Versammlung der Parteiführer gesagt: „Unsere Aufgabe ist sehr schwer. Vor uns steht ein doppelter Kampf, der Kampf mit dem Feind und der Kampf um die Reorganisation der Re°

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/241>, abgerufen am 24.08.2024.