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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Englisches Blut im Hause wachsen-Aoburg-Gotha?
Dr. Lrnst Devrient von

n einem Zeitungsaufsatz, in dem ein bekannter Berichterstatter
von dem Aufenthalt sächsischer Fürsten an der Ostfront erzählt,
wird von dem Herzog von Koburg-Gotha gesagt, er sei ziemlich
wortkarg, habe ja auch viel englisches Blut. Abgesehen davon,
daß Schweigsamkeit als Kennzeichen englischer Eigenart sich etwas
sonderbar ausnimmt, wenn man die deutschen und englischen Heerführer mit¬
einander vergleicht, enthält der Nachsatz einen sehr bedenklichen genealogischen
Schnitzer, der allerdings seit Jahren in den Zeitungen wiederkehrt. Freilich ist
der Herzog, ebenso wie unser Kaiser, ein Enkel der Königin Victoria von
England; es sollte aber doch allgemein bekannt sein, daß deren beide Eltern
Deutsche waren. Die Mutter der Königin war eine Schwester des Herzogs
Ernst des Ersten von Sachsen-Koburg-Saalfeld, welcher als Gemahl einer
Gothaer Prinzessin 1826 Koburg mit Gotha vereinigt hatte. Der Prinzgemahl
Albrecht war also der rechte Vetter seiner königlichen Frau. Deren Vater
Prinz Eduard war ein Sohn des Königs Georg des Dritten und einer mecklen¬
burgischen Prinzessin, seine beiden Großmütter waren ebenfalls sächsische Herzogs¬
töchter, der Großvater war Prinz Friedrich Ludwig von Hannover aus deutschem
Welfenstamm. Die Mutter des Herzogs Karl Eduard ist eine Prinzessin von
Waldeck, ebenfalls rein deutschen Blutes. So ergibt sich eine rein deutsche
Ahnentafel zu 32 Ahnen.

Es sei gestattet, hier mit kurzen Worten den Begriff der Ahnentafel zu
erläutern, welcher immer noch vielen Gebildeten nicht ganz klar ist. Im
Gegensatze zur Stammtafel, welche die Nachkommen einer Person im Mannes¬
stamme darstellt, enthält die Ahnentafel die Vorfahren einer bestimmten Person,
und sie hat, wieder im Gegensatze zu jener, eine ein für allemal feststehende
Gestalt, sintemal niemand mehr als zwei Eltern, vier Großeltern, acht Urgroß-
eltern usw. haben kann (wohl aber zuweilen weniger, wie sich noch zeigen
wird). Eine Ahnentafel zu 32 verzeichnet also die Eltern (zwei), Großeltern
(vier), Urgroßeltern (acht), deren Eltern (16) und Großeltern (32). Ermittelt
man die Vorfahren noch weiter zurück, so erhält man die Reihe der 64 Ahnen,
dann 128, 256, 512, 1024 usw. Es ist ohne weiteres klar, daß man nur
auf diese Weise die biologischen Erdteile -- die "Belastung" -- einer Person,
wie auch ihre nationale Zugehörigkeit, erkennen kann. Man wird aber auch




Englisches Blut im Hause wachsen-Aoburg-Gotha?
Dr. Lrnst Devrient von

n einem Zeitungsaufsatz, in dem ein bekannter Berichterstatter
von dem Aufenthalt sächsischer Fürsten an der Ostfront erzählt,
wird von dem Herzog von Koburg-Gotha gesagt, er sei ziemlich
wortkarg, habe ja auch viel englisches Blut. Abgesehen davon,
daß Schweigsamkeit als Kennzeichen englischer Eigenart sich etwas
sonderbar ausnimmt, wenn man die deutschen und englischen Heerführer mit¬
einander vergleicht, enthält der Nachsatz einen sehr bedenklichen genealogischen
Schnitzer, der allerdings seit Jahren in den Zeitungen wiederkehrt. Freilich ist
der Herzog, ebenso wie unser Kaiser, ein Enkel der Königin Victoria von
England; es sollte aber doch allgemein bekannt sein, daß deren beide Eltern
Deutsche waren. Die Mutter der Königin war eine Schwester des Herzogs
Ernst des Ersten von Sachsen-Koburg-Saalfeld, welcher als Gemahl einer
Gothaer Prinzessin 1826 Koburg mit Gotha vereinigt hatte. Der Prinzgemahl
Albrecht war also der rechte Vetter seiner königlichen Frau. Deren Vater
Prinz Eduard war ein Sohn des Königs Georg des Dritten und einer mecklen¬
burgischen Prinzessin, seine beiden Großmütter waren ebenfalls sächsische Herzogs¬
töchter, der Großvater war Prinz Friedrich Ludwig von Hannover aus deutschem
Welfenstamm. Die Mutter des Herzogs Karl Eduard ist eine Prinzessin von
Waldeck, ebenfalls rein deutschen Blutes. So ergibt sich eine rein deutsche
Ahnentafel zu 32 Ahnen.

Es sei gestattet, hier mit kurzen Worten den Begriff der Ahnentafel zu
erläutern, welcher immer noch vielen Gebildeten nicht ganz klar ist. Im
Gegensatze zur Stammtafel, welche die Nachkommen einer Person im Mannes¬
stamme darstellt, enthält die Ahnentafel die Vorfahren einer bestimmten Person,
und sie hat, wieder im Gegensatze zu jener, eine ein für allemal feststehende
Gestalt, sintemal niemand mehr als zwei Eltern, vier Großeltern, acht Urgroß-
eltern usw. haben kann (wohl aber zuweilen weniger, wie sich noch zeigen
wird). Eine Ahnentafel zu 32 verzeichnet also die Eltern (zwei), Großeltern
(vier), Urgroßeltern (acht), deren Eltern (16) und Großeltern (32). Ermittelt
man die Vorfahren noch weiter zurück, so erhält man die Reihe der 64 Ahnen,
dann 128, 256, 512, 1024 usw. Es ist ohne weiteres klar, daß man nur
auf diese Weise die biologischen Erdteile — die „Belastung" — einer Person,
wie auch ihre nationale Zugehörigkeit, erkennen kann. Man wird aber auch


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[0232] [Abbildung] Englisches Blut im Hause wachsen-Aoburg-Gotha? Dr. Lrnst Devrient von n einem Zeitungsaufsatz, in dem ein bekannter Berichterstatter von dem Aufenthalt sächsischer Fürsten an der Ostfront erzählt, wird von dem Herzog von Koburg-Gotha gesagt, er sei ziemlich wortkarg, habe ja auch viel englisches Blut. Abgesehen davon, daß Schweigsamkeit als Kennzeichen englischer Eigenart sich etwas sonderbar ausnimmt, wenn man die deutschen und englischen Heerführer mit¬ einander vergleicht, enthält der Nachsatz einen sehr bedenklichen genealogischen Schnitzer, der allerdings seit Jahren in den Zeitungen wiederkehrt. Freilich ist der Herzog, ebenso wie unser Kaiser, ein Enkel der Königin Victoria von England; es sollte aber doch allgemein bekannt sein, daß deren beide Eltern Deutsche waren. Die Mutter der Königin war eine Schwester des Herzogs Ernst des Ersten von Sachsen-Koburg-Saalfeld, welcher als Gemahl einer Gothaer Prinzessin 1826 Koburg mit Gotha vereinigt hatte. Der Prinzgemahl Albrecht war also der rechte Vetter seiner königlichen Frau. Deren Vater Prinz Eduard war ein Sohn des Königs Georg des Dritten und einer mecklen¬ burgischen Prinzessin, seine beiden Großmütter waren ebenfalls sächsische Herzogs¬ töchter, der Großvater war Prinz Friedrich Ludwig von Hannover aus deutschem Welfenstamm. Die Mutter des Herzogs Karl Eduard ist eine Prinzessin von Waldeck, ebenfalls rein deutschen Blutes. So ergibt sich eine rein deutsche Ahnentafel zu 32 Ahnen. Es sei gestattet, hier mit kurzen Worten den Begriff der Ahnentafel zu erläutern, welcher immer noch vielen Gebildeten nicht ganz klar ist. Im Gegensatze zur Stammtafel, welche die Nachkommen einer Person im Mannes¬ stamme darstellt, enthält die Ahnentafel die Vorfahren einer bestimmten Person, und sie hat, wieder im Gegensatze zu jener, eine ein für allemal feststehende Gestalt, sintemal niemand mehr als zwei Eltern, vier Großeltern, acht Urgroß- eltern usw. haben kann (wohl aber zuweilen weniger, wie sich noch zeigen wird). Eine Ahnentafel zu 32 verzeichnet also die Eltern (zwei), Großeltern (vier), Urgroßeltern (acht), deren Eltern (16) und Großeltern (32). Ermittelt man die Vorfahren noch weiter zurück, so erhält man die Reihe der 64 Ahnen, dann 128, 256, 512, 1024 usw. Es ist ohne weiteres klar, daß man nur auf diese Weise die biologischen Erdteile — die „Belastung" — einer Person, wie auch ihre nationale Zugehörigkeit, erkennen kann. Man wird aber auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/232>, abgerufen am 22.07.2024.