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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Das deutsche Volkserwachen in Oesterreich

Graf Colloredo und Alois Fischer (später Statthalter von Salzburg und 1848 er
Minister) ein und wies Ernst Förster über die Grenze. Dem burschenschaftlichen
Kreise standen unter anderen nahe: Schubert, Moriz von Schwind und Bauernfeld,
durchaus Persönlichkeiten, die zeitlebens den deutschen Gedanken hochhielten. Der
Schriftsteller von Bruchmann bezeugt in seinen "Memoiren eines alten Studenten"
(Wien 1365), daß damals bereits (Winter 1819/20) der deutschnationale
Gedanke die Wiener Studentenschaft erfaßt hatte: "wir prägten die großen
nationalen Gedanken deutscher Einheit und zwar der absoluten Einheit des
deutschen Vaterlandes unter einem einzigen Oberhaupt mit Ausscheidung der
ungleichartigen Teile, wie sie damals Follenius und seine Jünger angeregt,
desto tiefer unserem Gemüte ein und nährten und pflegten sie gleich einer ver¬
botenen Leidenschaft".

Die Unterdrückung erstreckte sich nicht nur auf die Studenten, sondern auch aus
die Professoren; die Wiener Hochschullehrer Weindritt und Nemboldt wurden einfach
abgesetzt. Es waren die ersten Märtyrer des deutschen Gedankens in Osterreich. Aber
die Ideen lebten fort; An. Grün, Lenau, der Heidelberger Burschenschafter wurde,
predigten das Freiheitsideal und speziell die Studentenschaft war es, die den deutsch¬
völkischen Gedanken durch die Jahrzehnte der Unterdrückung hinüberrettete, so daß er
1848 mächtig auflohte. 1848 hat ihn volkstümlich gemacht, aber noch einmal
gelang es der Reaktion, ihn niederzudrücken. Doch nur für kurze Zeit! 1859 sollte
er sich dauernd durchringen; der Krieg hatte ein für allemal die Unhaltbarreit
des absolutistischen Systems dargetan. Die öffentliche Meinung, so zerklüftet sie
sonst sein mochte, hier war sie einer Stimme: nur die Verwirklichung der Einheits¬
und Freiheitswünsche konnte Rettung, Abhilfe von drückenden Mißständen
bringen und nicht nur am Papier blieben diese Gedanken haften, nein, sie
drangen hinaus bis in die kleinsten Dörfer, sie drangen in das Volk und wieder
vertausendfacht aus dem Volk. Der italienische Krieg hatte in die Asche der
alten Einheitsträume hineingeblasen; nun stoben Funken voll Nationalsehnens,
ungestillten Bangens und Hoffens, Trauerns und Leidens hinein in die faule
Alltagswelt mit ihren immer gleichen Alltagswünschen. Nun erhob sich alles,
was Anspruch auf wahre Bildung machte, lärmte und sang, schoß und turnte
seine Wünsche den tauben Fürsten in die Ohren, daß sie sich geschreckt vom
Schlaf der "Gerechten" erhoben. Die Feier von Schillers hundertjährigem
Geburtstag in den Novembertagen 1859 war die Erweckeritt des deutschen
Volksgedankens; sie ist der Ausgangspunkt der allgemeinen nationalen Bewegung
der Deutschen in Österreich. Das Zeichen zur großen nationaldeutschen Kund¬
gebung war das Absingen der Lieder: "Deutschland, Deutschland über alles!"
sowie "Was ist des Deutschen Vaterland?" die solchen Jubel erweckten, daß sie
vier- bis fünfmal wiederholt werden mußten. Der Festredner der "Concordia"--
Veranstaltung zu Ehren Schillers, Dr. Schuselka. aber gab seiner Rede einen
hellen nationalen Ton, dem Wunsche Ausdruck gebend, dieses allgemeine
Volksfest, dieser Tag, den kein Mißklang trübe, und auf den die Nation mit


Das deutsche Volkserwachen in Oesterreich

Graf Colloredo und Alois Fischer (später Statthalter von Salzburg und 1848 er
Minister) ein und wies Ernst Förster über die Grenze. Dem burschenschaftlichen
Kreise standen unter anderen nahe: Schubert, Moriz von Schwind und Bauernfeld,
durchaus Persönlichkeiten, die zeitlebens den deutschen Gedanken hochhielten. Der
Schriftsteller von Bruchmann bezeugt in seinen „Memoiren eines alten Studenten"
(Wien 1365), daß damals bereits (Winter 1819/20) der deutschnationale
Gedanke die Wiener Studentenschaft erfaßt hatte: „wir prägten die großen
nationalen Gedanken deutscher Einheit und zwar der absoluten Einheit des
deutschen Vaterlandes unter einem einzigen Oberhaupt mit Ausscheidung der
ungleichartigen Teile, wie sie damals Follenius und seine Jünger angeregt,
desto tiefer unserem Gemüte ein und nährten und pflegten sie gleich einer ver¬
botenen Leidenschaft".

Die Unterdrückung erstreckte sich nicht nur auf die Studenten, sondern auch aus
die Professoren; die Wiener Hochschullehrer Weindritt und Nemboldt wurden einfach
abgesetzt. Es waren die ersten Märtyrer des deutschen Gedankens in Osterreich. Aber
die Ideen lebten fort; An. Grün, Lenau, der Heidelberger Burschenschafter wurde,
predigten das Freiheitsideal und speziell die Studentenschaft war es, die den deutsch¬
völkischen Gedanken durch die Jahrzehnte der Unterdrückung hinüberrettete, so daß er
1848 mächtig auflohte. 1848 hat ihn volkstümlich gemacht, aber noch einmal
gelang es der Reaktion, ihn niederzudrücken. Doch nur für kurze Zeit! 1859 sollte
er sich dauernd durchringen; der Krieg hatte ein für allemal die Unhaltbarreit
des absolutistischen Systems dargetan. Die öffentliche Meinung, so zerklüftet sie
sonst sein mochte, hier war sie einer Stimme: nur die Verwirklichung der Einheits¬
und Freiheitswünsche konnte Rettung, Abhilfe von drückenden Mißständen
bringen und nicht nur am Papier blieben diese Gedanken haften, nein, sie
drangen hinaus bis in die kleinsten Dörfer, sie drangen in das Volk und wieder
vertausendfacht aus dem Volk. Der italienische Krieg hatte in die Asche der
alten Einheitsträume hineingeblasen; nun stoben Funken voll Nationalsehnens,
ungestillten Bangens und Hoffens, Trauerns und Leidens hinein in die faule
Alltagswelt mit ihren immer gleichen Alltagswünschen. Nun erhob sich alles,
was Anspruch auf wahre Bildung machte, lärmte und sang, schoß und turnte
seine Wünsche den tauben Fürsten in die Ohren, daß sie sich geschreckt vom
Schlaf der „Gerechten" erhoben. Die Feier von Schillers hundertjährigem
Geburtstag in den Novembertagen 1859 war die Erweckeritt des deutschen
Volksgedankens; sie ist der Ausgangspunkt der allgemeinen nationalen Bewegung
der Deutschen in Österreich. Das Zeichen zur großen nationaldeutschen Kund¬
gebung war das Absingen der Lieder: „Deutschland, Deutschland über alles!"
sowie „Was ist des Deutschen Vaterland?" die solchen Jubel erweckten, daß sie
vier- bis fünfmal wiederholt werden mußten. Der Festredner der „Concordia"--
Veranstaltung zu Ehren Schillers, Dr. Schuselka. aber gab seiner Rede einen
hellen nationalen Ton, dem Wunsche Ausdruck gebend, dieses allgemeine
Volksfest, dieser Tag, den kein Mißklang trübe, und auf den die Nation mit


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[0022] Das deutsche Volkserwachen in Oesterreich Graf Colloredo und Alois Fischer (später Statthalter von Salzburg und 1848 er Minister) ein und wies Ernst Förster über die Grenze. Dem burschenschaftlichen Kreise standen unter anderen nahe: Schubert, Moriz von Schwind und Bauernfeld, durchaus Persönlichkeiten, die zeitlebens den deutschen Gedanken hochhielten. Der Schriftsteller von Bruchmann bezeugt in seinen „Memoiren eines alten Studenten" (Wien 1365), daß damals bereits (Winter 1819/20) der deutschnationale Gedanke die Wiener Studentenschaft erfaßt hatte: „wir prägten die großen nationalen Gedanken deutscher Einheit und zwar der absoluten Einheit des deutschen Vaterlandes unter einem einzigen Oberhaupt mit Ausscheidung der ungleichartigen Teile, wie sie damals Follenius und seine Jünger angeregt, desto tiefer unserem Gemüte ein und nährten und pflegten sie gleich einer ver¬ botenen Leidenschaft". Die Unterdrückung erstreckte sich nicht nur auf die Studenten, sondern auch aus die Professoren; die Wiener Hochschullehrer Weindritt und Nemboldt wurden einfach abgesetzt. Es waren die ersten Märtyrer des deutschen Gedankens in Osterreich. Aber die Ideen lebten fort; An. Grün, Lenau, der Heidelberger Burschenschafter wurde, predigten das Freiheitsideal und speziell die Studentenschaft war es, die den deutsch¬ völkischen Gedanken durch die Jahrzehnte der Unterdrückung hinüberrettete, so daß er 1848 mächtig auflohte. 1848 hat ihn volkstümlich gemacht, aber noch einmal gelang es der Reaktion, ihn niederzudrücken. Doch nur für kurze Zeit! 1859 sollte er sich dauernd durchringen; der Krieg hatte ein für allemal die Unhaltbarreit des absolutistischen Systems dargetan. Die öffentliche Meinung, so zerklüftet sie sonst sein mochte, hier war sie einer Stimme: nur die Verwirklichung der Einheits¬ und Freiheitswünsche konnte Rettung, Abhilfe von drückenden Mißständen bringen und nicht nur am Papier blieben diese Gedanken haften, nein, sie drangen hinaus bis in die kleinsten Dörfer, sie drangen in das Volk und wieder vertausendfacht aus dem Volk. Der italienische Krieg hatte in die Asche der alten Einheitsträume hineingeblasen; nun stoben Funken voll Nationalsehnens, ungestillten Bangens und Hoffens, Trauerns und Leidens hinein in die faule Alltagswelt mit ihren immer gleichen Alltagswünschen. Nun erhob sich alles, was Anspruch auf wahre Bildung machte, lärmte und sang, schoß und turnte seine Wünsche den tauben Fürsten in die Ohren, daß sie sich geschreckt vom Schlaf der „Gerechten" erhoben. Die Feier von Schillers hundertjährigem Geburtstag in den Novembertagen 1859 war die Erweckeritt des deutschen Volksgedankens; sie ist der Ausgangspunkt der allgemeinen nationalen Bewegung der Deutschen in Österreich. Das Zeichen zur großen nationaldeutschen Kund¬ gebung war das Absingen der Lieder: „Deutschland, Deutschland über alles!" sowie „Was ist des Deutschen Vaterland?" die solchen Jubel erweckten, daß sie vier- bis fünfmal wiederholt werden mußten. Der Festredner der „Concordia"-- Veranstaltung zu Ehren Schillers, Dr. Schuselka. aber gab seiner Rede einen hellen nationalen Ton, dem Wunsche Ausdruck gebend, dieses allgemeine Volksfest, dieser Tag, den kein Mißklang trübe, und auf den die Nation mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/22>, abgerufen am 24.08.2024.