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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Ivie das Deutsche Reich die Niederlande verlor

So ward das Lehnsband, das siebenhundert Jahre lang die Gebiete westlich
von der Schelde mit Frankreich verknüpft hatte, endlich zerschnitten.

Mit drei Mächten hatten es die Niederlande stets zu tun gehabt. Eng¬
land war von ihnen zunächst ausgeschieden. Mit Frankreich hatte die Ab¬
rechnung stattgefunden. Wie gestaltete sich das Verhältnis zu Deutschland?
Was für Zukunftspläne hatte Karl für dies sonderbare Staatsgebilde? diesen
"halben Volksstaat", der -- um mit Gmnvella zu reden, -- "weder.'eine
Monarchie, noch eine Aristokratie, geschweige denn eine Republik" war. Wollte
Karl, dessen Großvater doch ein Deutscher war, die Niederlande wieder fester
an das Deutsche Reich schmieden? Wem sollten sie nach seinem Tode zu¬
fallen? Vielleicht dem Sohne seines Bruders und Gemahl seiner Tochter
Maria, dem zukünftigen deutschen Könige Maximilian dem Zweiten? Die staats¬
rechtlichen Zustände bedurften dringend der Regelung. Der größte Teil der
Niederlande gehörte -- wenigstens auf dem Papier -- seit dem Jahre 1512
zum burgundischen Kreise des Deutschen Reiches, die von Karl hinzugewonnenen
Teile aber zum westfälischen Kreis. Flandern und Artois, die früheren
französischen Lehen, standen zum Reich in gar keinem Verhältnis. In den
Überlegungen des Kaisers und seiner Vertrauten tauchte zuweilen auch die
Gründung eines neuburgundischen Königreichs wieder auf. Doch Karl führte sie
nicht über die Schwelle der Wirklichkeit. Er hatte ein anderes Ziel im Auge.
Die Deutschen gewahrten es, als nach der Schlacht von Mühlberg die Fürsten-
macht zu Boden geworfen war.

Auf dem Reichstage von Augsburg im Jahre 1648 machte Kaiser Karl
seine "Vorschläge", und idementsprechend wurde beschlossen, daß sämtliche
niederländische Gebiete den burgundischen Kreis bilden und dieser dem Reiche be¬
stimmte mäßige Steuern zahlen solle. Das klang zunächst sehr gut. Was
nutzte aber diese Bestimmung, was nutzte es dem Reiche, daß Flandern und
Artois zu Deutschland kamen, wenn das Reich nicht in der Lage war,
nötigenfalls sich die Zahlung der Steuern zu erzwingen. Wurde doch gleich¬
zeitig festgesetzt, daß die Gerichtsbarkeit der. kaiserlichen Kammergerichte an
den Grenzen der Niederlande aufhörte. Das Reich sollte also ohne Leistung
einer entsprechenden Entschädigung eine Schutzverpflichtung für ein Gebiet über¬
nehmen, dessen staatliche Verbindung gleichzeitig gelöst wurde.

Kaiser Karl ging den Augsburger Vertrag in der Absicht ein, jegliche
Hoheitsansprüche der Reichsstände auf die Niederlande aus der Welt zu
schaffen. Treffend bemerkte später einmal der Kardinal Granvella, daß es schon
mit Rücksicht auf die Religionsfrage für Karl den Fünften ein Unding war, die
Niederlande der Reichsgesetzgebung zu unterwerfen. Sollte der Kaiser wo¬
möglich auch in seinen Niederlanden die Ketzer dulden müssen, die er dort
unnachstchtlich verfolgen könnte? Der Vertrag erhielt seine volle Deutung, als
Karl bald danach die Erbfolge bekannt machte: die Niederlande fielen an
seinen Sohn Philipp, sie wurden der Vorposten Spaniens.


Ivie das Deutsche Reich die Niederlande verlor

So ward das Lehnsband, das siebenhundert Jahre lang die Gebiete westlich
von der Schelde mit Frankreich verknüpft hatte, endlich zerschnitten.

Mit drei Mächten hatten es die Niederlande stets zu tun gehabt. Eng¬
land war von ihnen zunächst ausgeschieden. Mit Frankreich hatte die Ab¬
rechnung stattgefunden. Wie gestaltete sich das Verhältnis zu Deutschland?
Was für Zukunftspläne hatte Karl für dies sonderbare Staatsgebilde? diesen
„halben Volksstaat", der — um mit Gmnvella zu reden, — „weder.'eine
Monarchie, noch eine Aristokratie, geschweige denn eine Republik" war. Wollte
Karl, dessen Großvater doch ein Deutscher war, die Niederlande wieder fester
an das Deutsche Reich schmieden? Wem sollten sie nach seinem Tode zu¬
fallen? Vielleicht dem Sohne seines Bruders und Gemahl seiner Tochter
Maria, dem zukünftigen deutschen Könige Maximilian dem Zweiten? Die staats¬
rechtlichen Zustände bedurften dringend der Regelung. Der größte Teil der
Niederlande gehörte — wenigstens auf dem Papier — seit dem Jahre 1512
zum burgundischen Kreise des Deutschen Reiches, die von Karl hinzugewonnenen
Teile aber zum westfälischen Kreis. Flandern und Artois, die früheren
französischen Lehen, standen zum Reich in gar keinem Verhältnis. In den
Überlegungen des Kaisers und seiner Vertrauten tauchte zuweilen auch die
Gründung eines neuburgundischen Königreichs wieder auf. Doch Karl führte sie
nicht über die Schwelle der Wirklichkeit. Er hatte ein anderes Ziel im Auge.
Die Deutschen gewahrten es, als nach der Schlacht von Mühlberg die Fürsten-
macht zu Boden geworfen war.

Auf dem Reichstage von Augsburg im Jahre 1648 machte Kaiser Karl
seine „Vorschläge", und idementsprechend wurde beschlossen, daß sämtliche
niederländische Gebiete den burgundischen Kreis bilden und dieser dem Reiche be¬
stimmte mäßige Steuern zahlen solle. Das klang zunächst sehr gut. Was
nutzte aber diese Bestimmung, was nutzte es dem Reiche, daß Flandern und
Artois zu Deutschland kamen, wenn das Reich nicht in der Lage war,
nötigenfalls sich die Zahlung der Steuern zu erzwingen. Wurde doch gleich¬
zeitig festgesetzt, daß die Gerichtsbarkeit der. kaiserlichen Kammergerichte an
den Grenzen der Niederlande aufhörte. Das Reich sollte also ohne Leistung
einer entsprechenden Entschädigung eine Schutzverpflichtung für ein Gebiet über¬
nehmen, dessen staatliche Verbindung gleichzeitig gelöst wurde.

Kaiser Karl ging den Augsburger Vertrag in der Absicht ein, jegliche
Hoheitsansprüche der Reichsstände auf die Niederlande aus der Welt zu
schaffen. Treffend bemerkte später einmal der Kardinal Granvella, daß es schon
mit Rücksicht auf die Religionsfrage für Karl den Fünften ein Unding war, die
Niederlande der Reichsgesetzgebung zu unterwerfen. Sollte der Kaiser wo¬
möglich auch in seinen Niederlanden die Ketzer dulden müssen, die er dort
unnachstchtlich verfolgen könnte? Der Vertrag erhielt seine volle Deutung, als
Karl bald danach die Erbfolge bekannt machte: die Niederlande fielen an
seinen Sohn Philipp, sie wurden der Vorposten Spaniens.


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[0216] Ivie das Deutsche Reich die Niederlande verlor So ward das Lehnsband, das siebenhundert Jahre lang die Gebiete westlich von der Schelde mit Frankreich verknüpft hatte, endlich zerschnitten. Mit drei Mächten hatten es die Niederlande stets zu tun gehabt. Eng¬ land war von ihnen zunächst ausgeschieden. Mit Frankreich hatte die Ab¬ rechnung stattgefunden. Wie gestaltete sich das Verhältnis zu Deutschland? Was für Zukunftspläne hatte Karl für dies sonderbare Staatsgebilde? diesen „halben Volksstaat", der — um mit Gmnvella zu reden, — „weder.'eine Monarchie, noch eine Aristokratie, geschweige denn eine Republik" war. Wollte Karl, dessen Großvater doch ein Deutscher war, die Niederlande wieder fester an das Deutsche Reich schmieden? Wem sollten sie nach seinem Tode zu¬ fallen? Vielleicht dem Sohne seines Bruders und Gemahl seiner Tochter Maria, dem zukünftigen deutschen Könige Maximilian dem Zweiten? Die staats¬ rechtlichen Zustände bedurften dringend der Regelung. Der größte Teil der Niederlande gehörte — wenigstens auf dem Papier — seit dem Jahre 1512 zum burgundischen Kreise des Deutschen Reiches, die von Karl hinzugewonnenen Teile aber zum westfälischen Kreis. Flandern und Artois, die früheren französischen Lehen, standen zum Reich in gar keinem Verhältnis. In den Überlegungen des Kaisers und seiner Vertrauten tauchte zuweilen auch die Gründung eines neuburgundischen Königreichs wieder auf. Doch Karl führte sie nicht über die Schwelle der Wirklichkeit. Er hatte ein anderes Ziel im Auge. Die Deutschen gewahrten es, als nach der Schlacht von Mühlberg die Fürsten- macht zu Boden geworfen war. Auf dem Reichstage von Augsburg im Jahre 1648 machte Kaiser Karl seine „Vorschläge", und idementsprechend wurde beschlossen, daß sämtliche niederländische Gebiete den burgundischen Kreis bilden und dieser dem Reiche be¬ stimmte mäßige Steuern zahlen solle. Das klang zunächst sehr gut. Was nutzte aber diese Bestimmung, was nutzte es dem Reiche, daß Flandern und Artois zu Deutschland kamen, wenn das Reich nicht in der Lage war, nötigenfalls sich die Zahlung der Steuern zu erzwingen. Wurde doch gleich¬ zeitig festgesetzt, daß die Gerichtsbarkeit der. kaiserlichen Kammergerichte an den Grenzen der Niederlande aufhörte. Das Reich sollte also ohne Leistung einer entsprechenden Entschädigung eine Schutzverpflichtung für ein Gebiet über¬ nehmen, dessen staatliche Verbindung gleichzeitig gelöst wurde. Kaiser Karl ging den Augsburger Vertrag in der Absicht ein, jegliche Hoheitsansprüche der Reichsstände auf die Niederlande aus der Welt zu schaffen. Treffend bemerkte später einmal der Kardinal Granvella, daß es schon mit Rücksicht auf die Religionsfrage für Karl den Fünften ein Unding war, die Niederlande der Reichsgesetzgebung zu unterwerfen. Sollte der Kaiser wo¬ möglich auch in seinen Niederlanden die Ketzer dulden müssen, die er dort unnachstchtlich verfolgen könnte? Der Vertrag erhielt seine volle Deutung, als Karl bald danach die Erbfolge bekannt machte: die Niederlande fielen an seinen Sohn Philipp, sie wurden der Vorposten Spaniens.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/216>, abgerufen am 24.08.2024.