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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Wie das Deutsche Reich die Niederlande verlor

Der Knabe führte den Titel eines Herzogs von Luxemburg, er lernte wohl
flämisch und französisch, nicht aber deutsch und spanisch. Eine national-nieder¬
ländische Politik erblühte von neuem einige wenige Jahre, um bald ganz zu
vergehen. Als Ferdinand der Katholische vom Tode hingerafft wurde im
Jahre 1516, zog auch Karl, wie einst der Vater, nach Spanien, um in Aragon
die Herrschaft anzutreten. Auf dem Wege dorthin erklärte er dem Großvater,
die Nachfolge im Reich erstreben zu wollen.

Wie konnte Kaiser Karl der Fünfte burgundische, national-niederländische
Politik treiben! Wurden sich damals die Niederländer über die Tragweite des
Ereignisses klar? Mit Jubel ward in Brüssel die Nachricht von der Kaiserwahl
begrüßt. Freudenfeuer loderten. Hätten es die begeisterten Brabante geahnt,
daß damals alle ihre Träume und Wünsche erloschen, als unabhängiger Staat
zu leben, mit eigenem, von fremdem Besitz abgelösten Fürstenhaus! Hätten
es die Niederländer gewußt, daß ihr Land für Diplomaten ihres Gebieters nur
ein Tauschobjekt bildete, daß verschiedentlich erörtert wurde, ob es nicht wie ein
Krondiamant, der seinen Glanz verloren, gegen einen anderen eingetauscht
werden solle!

Die Nachfahren Philipps des Kühnen hatten mehr und mehr vergessen,
daß sie französische Prinzen von Geblüt waren. In der Folge vergaß es Karl
häufig und mußte es vergessen, daß er der Herr der Niederlande war. Das
burgundische Gewand verschwand unter dem Kaisermantel. Selten konnten die
Niederländer den Herrscher in ihrer Mitte sehen. In den Jahren 1522--1555
erschien Karl nur fünfmal in den "diesseitigen Landen" und verweilte während
seiner so langen Regierung im ganzen wohl nur zehn Jahre dort.

Karl konnte unmöglich stets die Wünsche der Niederländer erfüllen. Sie
verlangten seit Jahrzehnten Frieden mit Frankreich; um ihn zu erreichen, hatten
sie das Herzogtum Burgund geopfert. Unter Karl mußten sie es sich gefallen
lassen, daß ihr Land der Schauplatz des Ringens der Habsburger und der
Valois wurde, daß in ihrem Lande, wie vordem in Italien, um die Vor¬
herrschaft in Europa gekämpft wurde.

Mit niederländischen Geld führte Karl seine Weltkriege, bevor das außer¬
europäische einging. Auf zwanzig Millionen in Gold schätzte ein kundiger Italiener
die Summen, welche die Niederlande im Laufe von zwanzig Jahren für den
Kaiser aufbrachten. Die Rückwirkung blieb nicht aus. Der Kredit von Ant¬
werpen, der sicherste von Europa, geriet ins Wanken.

Das waren schwere, harte Lasten, die Karl seinen Untertanen aufer¬
legte. Auch noch auf anderem Felde stellte er ihren Gehorsam auf die Probe.
Wie Philipp der Gute, wie Karl der Kühne wollte auch er die einzelnen Ge¬
biete noch enger aneinander fügen, indem er die Zentralisation weiter durch¬
führte und das Recht vereinheitlichte. Das "Ewige Edikt" und die drei
,,Conseils eollaterimx", ein Staatsrat, ein Geheimer Rat und ein Finanzrat,
krönten das Verfafsungswerk. Ohne Reibereien, ohne Kämpfe ging es auch


Wie das Deutsche Reich die Niederlande verlor

Der Knabe führte den Titel eines Herzogs von Luxemburg, er lernte wohl
flämisch und französisch, nicht aber deutsch und spanisch. Eine national-nieder¬
ländische Politik erblühte von neuem einige wenige Jahre, um bald ganz zu
vergehen. Als Ferdinand der Katholische vom Tode hingerafft wurde im
Jahre 1516, zog auch Karl, wie einst der Vater, nach Spanien, um in Aragon
die Herrschaft anzutreten. Auf dem Wege dorthin erklärte er dem Großvater,
die Nachfolge im Reich erstreben zu wollen.

Wie konnte Kaiser Karl der Fünfte burgundische, national-niederländische
Politik treiben! Wurden sich damals die Niederländer über die Tragweite des
Ereignisses klar? Mit Jubel ward in Brüssel die Nachricht von der Kaiserwahl
begrüßt. Freudenfeuer loderten. Hätten es die begeisterten Brabante geahnt,
daß damals alle ihre Träume und Wünsche erloschen, als unabhängiger Staat
zu leben, mit eigenem, von fremdem Besitz abgelösten Fürstenhaus! Hätten
es die Niederländer gewußt, daß ihr Land für Diplomaten ihres Gebieters nur
ein Tauschobjekt bildete, daß verschiedentlich erörtert wurde, ob es nicht wie ein
Krondiamant, der seinen Glanz verloren, gegen einen anderen eingetauscht
werden solle!

Die Nachfahren Philipps des Kühnen hatten mehr und mehr vergessen,
daß sie französische Prinzen von Geblüt waren. In der Folge vergaß es Karl
häufig und mußte es vergessen, daß er der Herr der Niederlande war. Das
burgundische Gewand verschwand unter dem Kaisermantel. Selten konnten die
Niederländer den Herrscher in ihrer Mitte sehen. In den Jahren 1522—1555
erschien Karl nur fünfmal in den „diesseitigen Landen" und verweilte während
seiner so langen Regierung im ganzen wohl nur zehn Jahre dort.

Karl konnte unmöglich stets die Wünsche der Niederländer erfüllen. Sie
verlangten seit Jahrzehnten Frieden mit Frankreich; um ihn zu erreichen, hatten
sie das Herzogtum Burgund geopfert. Unter Karl mußten sie es sich gefallen
lassen, daß ihr Land der Schauplatz des Ringens der Habsburger und der
Valois wurde, daß in ihrem Lande, wie vordem in Italien, um die Vor¬
herrschaft in Europa gekämpft wurde.

Mit niederländischen Geld führte Karl seine Weltkriege, bevor das außer¬
europäische einging. Auf zwanzig Millionen in Gold schätzte ein kundiger Italiener
die Summen, welche die Niederlande im Laufe von zwanzig Jahren für den
Kaiser aufbrachten. Die Rückwirkung blieb nicht aus. Der Kredit von Ant¬
werpen, der sicherste von Europa, geriet ins Wanken.

Das waren schwere, harte Lasten, die Karl seinen Untertanen aufer¬
legte. Auch noch auf anderem Felde stellte er ihren Gehorsam auf die Probe.
Wie Philipp der Gute, wie Karl der Kühne wollte auch er die einzelnen Ge¬
biete noch enger aneinander fügen, indem er die Zentralisation weiter durch¬
führte und das Recht vereinheitlichte. Das „Ewige Edikt" und die drei
,,Conseils eollaterimx", ein Staatsrat, ein Geheimer Rat und ein Finanzrat,
krönten das Verfafsungswerk. Ohne Reibereien, ohne Kämpfe ging es auch


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[0214] Wie das Deutsche Reich die Niederlande verlor Der Knabe führte den Titel eines Herzogs von Luxemburg, er lernte wohl flämisch und französisch, nicht aber deutsch und spanisch. Eine national-nieder¬ ländische Politik erblühte von neuem einige wenige Jahre, um bald ganz zu vergehen. Als Ferdinand der Katholische vom Tode hingerafft wurde im Jahre 1516, zog auch Karl, wie einst der Vater, nach Spanien, um in Aragon die Herrschaft anzutreten. Auf dem Wege dorthin erklärte er dem Großvater, die Nachfolge im Reich erstreben zu wollen. Wie konnte Kaiser Karl der Fünfte burgundische, national-niederländische Politik treiben! Wurden sich damals die Niederländer über die Tragweite des Ereignisses klar? Mit Jubel ward in Brüssel die Nachricht von der Kaiserwahl begrüßt. Freudenfeuer loderten. Hätten es die begeisterten Brabante geahnt, daß damals alle ihre Träume und Wünsche erloschen, als unabhängiger Staat zu leben, mit eigenem, von fremdem Besitz abgelösten Fürstenhaus! Hätten es die Niederländer gewußt, daß ihr Land für Diplomaten ihres Gebieters nur ein Tauschobjekt bildete, daß verschiedentlich erörtert wurde, ob es nicht wie ein Krondiamant, der seinen Glanz verloren, gegen einen anderen eingetauscht werden solle! Die Nachfahren Philipps des Kühnen hatten mehr und mehr vergessen, daß sie französische Prinzen von Geblüt waren. In der Folge vergaß es Karl häufig und mußte es vergessen, daß er der Herr der Niederlande war. Das burgundische Gewand verschwand unter dem Kaisermantel. Selten konnten die Niederländer den Herrscher in ihrer Mitte sehen. In den Jahren 1522—1555 erschien Karl nur fünfmal in den „diesseitigen Landen" und verweilte während seiner so langen Regierung im ganzen wohl nur zehn Jahre dort. Karl konnte unmöglich stets die Wünsche der Niederländer erfüllen. Sie verlangten seit Jahrzehnten Frieden mit Frankreich; um ihn zu erreichen, hatten sie das Herzogtum Burgund geopfert. Unter Karl mußten sie es sich gefallen lassen, daß ihr Land der Schauplatz des Ringens der Habsburger und der Valois wurde, daß in ihrem Lande, wie vordem in Italien, um die Vor¬ herrschaft in Europa gekämpft wurde. Mit niederländischen Geld führte Karl seine Weltkriege, bevor das außer¬ europäische einging. Auf zwanzig Millionen in Gold schätzte ein kundiger Italiener die Summen, welche die Niederlande im Laufe von zwanzig Jahren für den Kaiser aufbrachten. Die Rückwirkung blieb nicht aus. Der Kredit von Ant¬ werpen, der sicherste von Europa, geriet ins Wanken. Das waren schwere, harte Lasten, die Karl seinen Untertanen aufer¬ legte. Auch noch auf anderem Felde stellte er ihren Gehorsam auf die Probe. Wie Philipp der Gute, wie Karl der Kühne wollte auch er die einzelnen Ge¬ biete noch enger aneinander fügen, indem er die Zentralisation weiter durch¬ führte und das Recht vereinheitlichte. Das „Ewige Edikt" und die drei ,,Conseils eollaterimx", ein Staatsrat, ein Geheimer Rat und ein Finanzrat, krönten das Verfafsungswerk. Ohne Reibereien, ohne Kämpfe ging es auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/214>, abgerufen am 24.08.2024.