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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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wie das Deutsche Reich die Niederlande verlor

So schien die niederländische Frage nach den sturmgepeitschten Jahren des
Übergangs in ein neues Stadium zu kommen, ein national-burgundischer Staat
schien sich auszubilden, frei von dynastischem Zwang, frei von Bevormundung
eines der Nachbarstaaten. Da warf ein Ereignis alles um, die dynastische
Politik Maximilians trug schließlich doch den Sieg davon!

Im Jahre 1495 verlobte Maximilian den Sohn mit der Tochter Ferdinands
von Aragon und Jsabellens von Kastilien. Es war in erster Linie eine anti¬
französische Verbindung: der Herr der Niederlande sollte in den Interessenkreis
Habsburgs und Spaniens, der Widersacher Frankreichs, gezogen werden. Wer
konnte es bei dem Abschluß des Heiratsvertrages ahnen, daß nur fünf Jahre
später, nach drei unerwarteten Todesfällen im spanischen Königshause, Philipp
der Schöne als Gemahl der Prinzessin Johanna der Herr von Kastilien und
Aragon, der Herr des unermeßlichen außereuropäischen Besitzes wurde.
Cristoforo Colombo entdeckte neue Welten für den Herrn der Niederlande, dem
einst die Herrschaft über die pyrenäische Halbinsel zufallen sollte I --

Den Habsburgischen Hausbesitz könnte Philipp mißachten, nicht aber das
spanische Erbe seiner Gattin. Als Jsabella von Kastilien im Jahre 1S04 starb,
opferte Philipp sofort die niederländischen Interessen, um jenseits der Pyrenäen
seine Rechte zur Geltung zu bringen. In Kastilien ereilte den Achtundzwanzig-
jährigen der Tod.

Der Herr des burgundischen Staates war ein europäischer Herrscher ge¬
worden. Wie winzig erschienen angesichts dieser weitumfassenden Berechnung
der Habsburger die Zwischenreich Pläne, die einst Karl dem Kühnen die ver¬
ständige Überlegung geraubt hatten!

Die niederländische Frage erreicht mit Philipps Nachfolger ihre letzte Phase.
Die Niederlande, ob sie es wollen oder nicht wollen, werden von den Habs-
burgern in Schlepptau genommen und verlieren mehr und mehr ihr Selbst¬
bestimmungsrecht. Ein Gebiet unter kaum übersehbaren Gebieten in dem Welt¬
reich, das die Sonne nicht untergehen sah, ein Besitztum neben vielen anderen und
größeren, neben Böhmen und Ungarn, neben Kastilien und Aragon, neben den
österreichischen Erbländer, treten die Niederlande vollends aus der deutschen
Interessensphäre heraus und werden fest in die Kette der Habsburgischen Gro߬
machtspläne geschlossen: dynastische Gründe entscheiden allein über die Zukunft
der Niederlande.

Zum zweiten Mal siel einem unmündigen Kinde die Negierung in den
Niederlanden zu. Karl, der älteste Sohn Philipps, war sechs Jahre alt. Mochte
auch Frankreich noch so viel Ränke schmieden, der Großvater Max wurde Vor¬
mund, die Tante Margarethe Regentin, eine Frau vom alten burgundischen
Schlage, an der Tradition des burgundischen Hauses wie an einem Heiligtum
festhaltend, späterhin häufig "burgundischer" denn der Neffe selbst.

Die Anfänge Karls (1506 -- 1555) erinnern an diejenigen des Vaters.


wie das Deutsche Reich die Niederlande verlor

So schien die niederländische Frage nach den sturmgepeitschten Jahren des
Übergangs in ein neues Stadium zu kommen, ein national-burgundischer Staat
schien sich auszubilden, frei von dynastischem Zwang, frei von Bevormundung
eines der Nachbarstaaten. Da warf ein Ereignis alles um, die dynastische
Politik Maximilians trug schließlich doch den Sieg davon!

Im Jahre 1495 verlobte Maximilian den Sohn mit der Tochter Ferdinands
von Aragon und Jsabellens von Kastilien. Es war in erster Linie eine anti¬
französische Verbindung: der Herr der Niederlande sollte in den Interessenkreis
Habsburgs und Spaniens, der Widersacher Frankreichs, gezogen werden. Wer
konnte es bei dem Abschluß des Heiratsvertrages ahnen, daß nur fünf Jahre
später, nach drei unerwarteten Todesfällen im spanischen Königshause, Philipp
der Schöne als Gemahl der Prinzessin Johanna der Herr von Kastilien und
Aragon, der Herr des unermeßlichen außereuropäischen Besitzes wurde.
Cristoforo Colombo entdeckte neue Welten für den Herrn der Niederlande, dem
einst die Herrschaft über die pyrenäische Halbinsel zufallen sollte I —

Den Habsburgischen Hausbesitz könnte Philipp mißachten, nicht aber das
spanische Erbe seiner Gattin. Als Jsabella von Kastilien im Jahre 1S04 starb,
opferte Philipp sofort die niederländischen Interessen, um jenseits der Pyrenäen
seine Rechte zur Geltung zu bringen. In Kastilien ereilte den Achtundzwanzig-
jährigen der Tod.

Der Herr des burgundischen Staates war ein europäischer Herrscher ge¬
worden. Wie winzig erschienen angesichts dieser weitumfassenden Berechnung
der Habsburger die Zwischenreich Pläne, die einst Karl dem Kühnen die ver¬
ständige Überlegung geraubt hatten!

Die niederländische Frage erreicht mit Philipps Nachfolger ihre letzte Phase.
Die Niederlande, ob sie es wollen oder nicht wollen, werden von den Habs-
burgern in Schlepptau genommen und verlieren mehr und mehr ihr Selbst¬
bestimmungsrecht. Ein Gebiet unter kaum übersehbaren Gebieten in dem Welt¬
reich, das die Sonne nicht untergehen sah, ein Besitztum neben vielen anderen und
größeren, neben Böhmen und Ungarn, neben Kastilien und Aragon, neben den
österreichischen Erbländer, treten die Niederlande vollends aus der deutschen
Interessensphäre heraus und werden fest in die Kette der Habsburgischen Gro߬
machtspläne geschlossen: dynastische Gründe entscheiden allein über die Zukunft
der Niederlande.

Zum zweiten Mal siel einem unmündigen Kinde die Negierung in den
Niederlanden zu. Karl, der älteste Sohn Philipps, war sechs Jahre alt. Mochte
auch Frankreich noch so viel Ränke schmieden, der Großvater Max wurde Vor¬
mund, die Tante Margarethe Regentin, eine Frau vom alten burgundischen
Schlage, an der Tradition des burgundischen Hauses wie an einem Heiligtum
festhaltend, späterhin häufig „burgundischer" denn der Neffe selbst.

Die Anfänge Karls (1506 — 1555) erinnern an diejenigen des Vaters.


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[0213] wie das Deutsche Reich die Niederlande verlor So schien die niederländische Frage nach den sturmgepeitschten Jahren des Übergangs in ein neues Stadium zu kommen, ein national-burgundischer Staat schien sich auszubilden, frei von dynastischem Zwang, frei von Bevormundung eines der Nachbarstaaten. Da warf ein Ereignis alles um, die dynastische Politik Maximilians trug schließlich doch den Sieg davon! Im Jahre 1495 verlobte Maximilian den Sohn mit der Tochter Ferdinands von Aragon und Jsabellens von Kastilien. Es war in erster Linie eine anti¬ französische Verbindung: der Herr der Niederlande sollte in den Interessenkreis Habsburgs und Spaniens, der Widersacher Frankreichs, gezogen werden. Wer konnte es bei dem Abschluß des Heiratsvertrages ahnen, daß nur fünf Jahre später, nach drei unerwarteten Todesfällen im spanischen Königshause, Philipp der Schöne als Gemahl der Prinzessin Johanna der Herr von Kastilien und Aragon, der Herr des unermeßlichen außereuropäischen Besitzes wurde. Cristoforo Colombo entdeckte neue Welten für den Herrn der Niederlande, dem einst die Herrschaft über die pyrenäische Halbinsel zufallen sollte I — Den Habsburgischen Hausbesitz könnte Philipp mißachten, nicht aber das spanische Erbe seiner Gattin. Als Jsabella von Kastilien im Jahre 1S04 starb, opferte Philipp sofort die niederländischen Interessen, um jenseits der Pyrenäen seine Rechte zur Geltung zu bringen. In Kastilien ereilte den Achtundzwanzig- jährigen der Tod. Der Herr des burgundischen Staates war ein europäischer Herrscher ge¬ worden. Wie winzig erschienen angesichts dieser weitumfassenden Berechnung der Habsburger die Zwischenreich Pläne, die einst Karl dem Kühnen die ver¬ ständige Überlegung geraubt hatten! Die niederländische Frage erreicht mit Philipps Nachfolger ihre letzte Phase. Die Niederlande, ob sie es wollen oder nicht wollen, werden von den Habs- burgern in Schlepptau genommen und verlieren mehr und mehr ihr Selbst¬ bestimmungsrecht. Ein Gebiet unter kaum übersehbaren Gebieten in dem Welt¬ reich, das die Sonne nicht untergehen sah, ein Besitztum neben vielen anderen und größeren, neben Böhmen und Ungarn, neben Kastilien und Aragon, neben den österreichischen Erbländer, treten die Niederlande vollends aus der deutschen Interessensphäre heraus und werden fest in die Kette der Habsburgischen Gro߬ machtspläne geschlossen: dynastische Gründe entscheiden allein über die Zukunft der Niederlande. Zum zweiten Mal siel einem unmündigen Kinde die Negierung in den Niederlanden zu. Karl, der älteste Sohn Philipps, war sechs Jahre alt. Mochte auch Frankreich noch so viel Ränke schmieden, der Großvater Max wurde Vor¬ mund, die Tante Margarethe Regentin, eine Frau vom alten burgundischen Schlage, an der Tradition des burgundischen Hauses wie an einem Heiligtum festhaltend, späterhin häufig „burgundischer" denn der Neffe selbst. Die Anfänge Karls (1506 — 1555) erinnern an diejenigen des Vaters.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/213>, abgerufen am 24.08.2024.