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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Das deutsche Volkserwachen in Oesterreich

des der Ostmark an das Herz gewachsenen Schiller; schon in den Gymnasien ahmten
ihm die Jünglinge nach und an den Hochschulen war der glühende Schillerkultus
noch ein eifrigerer. Der größte Dichter Deutschösterreichs hat sich an ihm empor¬
gerankt: Franz Grillparzer. Sein Lebensbild zeigt ihn in der Jugend nach
Schillers Vorbild dichten. Theodor Körner, der 1812/13 in Wien weilte.
Friedrich Rückert. Max Schenkendorf und Ernst Moritz Arndt standen an der
Wiege des deutschen Gedankens in Österreich; ihre Werke wirkten nicht minder
national begeisternd als in Norddeutschland. Freiherr vom Stein und Grüner
haben es bezeugt, daß eben damals Deutschösterreich eine Zuflucht der deutschen
Patrioten war.

Von 1809 bis 1815 dauerte der Hochschwung deutschen Geistes in
Österreich: Bürger und Edelmann, Arbeiter und Gewerbsmann fühlten sich
als stolze Deutsche. Dieser Nationalgeist, gipfelnd in der politischen Hoffnung
auf ein großes Deutsches Reich mit freiheitlichen Verfassungsformen, sollte aber
durch die Einflüsterungen Rußlands bald zum Schweigen gebracht werden; man
schuf den "Deutschen Bund", in dem auch Deutschösterreich vertreten war und
dieser lose staatsrechtliche Zusammenhang mit den übrigen Deutschen mußte den
Österreichern genügen und genügte in der Tat der Mehrheit. Nur eine geringe
deutsche freiheitliche Opposition wollte weitergehende Zugeständnisse. Während
im übrigen Deutschland Burschen-, Sänger- und Turnerschaft, sowie Persön¬
lichkeiten wie Arndt, Jahr, Luden und Fries eine große nationaldeutsche Be¬
wegung entfesseln konnten, mutzte Deutschösterreich schweigen. Zwar gab es auch
hier genug Leute, die mit den nationalen Bestrebungen sympathisierten, aber die
große Menge blieb stumm. Der Kampf der Minderheit war ein verzweifelter,
fast ein aussichtsloser; Metternich selbst unterdrückte hier mit eiserner Hand,
was er "draußen" unterdrückt haben wollte. Bezeichnend dafür, daß es in
Deutschösterreich auch ähnliche Freiheits- und Einheitsbestrebungen wie in Deutsch¬
land gab. ist der bisher unbekannte Versuch, auch hier die Burschenschaft zu
begründen. Schon 1319 war in Prag ein solcher gemacht worden; hier gingen
die burschenschaftlichen Neigungen so weit, daß man sogar Sands Attentat durch
einen Kommers feiern wollte. Die Veranstalter waren Graf Franz Colloredo
und Pakas, die alsbald relegiert wurden. Noch im Frühjahr 1820 besuchten
Prager offiziell die Leipziger und Jenaische Burschenschaft; aber bald waren
Solcherlei Bestrebungen unterdrückt. Nicht besser erging es den Wienern; hierher
waren von Jena der Burschenschafter Ernst Förster und von Prag der aus¬
gewiesene Colloredo gekommen, um im Verein mit dem Dichter Joh. Senn eine
Burschenschaft aufzurichten, die 1821 die Leipziger sogar offiziell besuchte; aber
die Behörde unterdrückte die "Studentenverschwörung", sperrte Senn*) dreizehn
Monate, desgleichen Freiherr v. Doblhoff-Dier (den nachmaligen 1848 er Minister),



") Senn gründete übrigens nach seiner Freilassung in Innsbruck einen Bund namens
"Ribera Oermsnia". So spricht auch der Name dieses Bundes deutlich das deutschnationals
Programm aus. -
Das deutsche Volkserwachen in Oesterreich

des der Ostmark an das Herz gewachsenen Schiller; schon in den Gymnasien ahmten
ihm die Jünglinge nach und an den Hochschulen war der glühende Schillerkultus
noch ein eifrigerer. Der größte Dichter Deutschösterreichs hat sich an ihm empor¬
gerankt: Franz Grillparzer. Sein Lebensbild zeigt ihn in der Jugend nach
Schillers Vorbild dichten. Theodor Körner, der 1812/13 in Wien weilte.
Friedrich Rückert. Max Schenkendorf und Ernst Moritz Arndt standen an der
Wiege des deutschen Gedankens in Österreich; ihre Werke wirkten nicht minder
national begeisternd als in Norddeutschland. Freiherr vom Stein und Grüner
haben es bezeugt, daß eben damals Deutschösterreich eine Zuflucht der deutschen
Patrioten war.

Von 1809 bis 1815 dauerte der Hochschwung deutschen Geistes in
Österreich: Bürger und Edelmann, Arbeiter und Gewerbsmann fühlten sich
als stolze Deutsche. Dieser Nationalgeist, gipfelnd in der politischen Hoffnung
auf ein großes Deutsches Reich mit freiheitlichen Verfassungsformen, sollte aber
durch die Einflüsterungen Rußlands bald zum Schweigen gebracht werden; man
schuf den „Deutschen Bund", in dem auch Deutschösterreich vertreten war und
dieser lose staatsrechtliche Zusammenhang mit den übrigen Deutschen mußte den
Österreichern genügen und genügte in der Tat der Mehrheit. Nur eine geringe
deutsche freiheitliche Opposition wollte weitergehende Zugeständnisse. Während
im übrigen Deutschland Burschen-, Sänger- und Turnerschaft, sowie Persön¬
lichkeiten wie Arndt, Jahr, Luden und Fries eine große nationaldeutsche Be¬
wegung entfesseln konnten, mutzte Deutschösterreich schweigen. Zwar gab es auch
hier genug Leute, die mit den nationalen Bestrebungen sympathisierten, aber die
große Menge blieb stumm. Der Kampf der Minderheit war ein verzweifelter,
fast ein aussichtsloser; Metternich selbst unterdrückte hier mit eiserner Hand,
was er „draußen" unterdrückt haben wollte. Bezeichnend dafür, daß es in
Deutschösterreich auch ähnliche Freiheits- und Einheitsbestrebungen wie in Deutsch¬
land gab. ist der bisher unbekannte Versuch, auch hier die Burschenschaft zu
begründen. Schon 1319 war in Prag ein solcher gemacht worden; hier gingen
die burschenschaftlichen Neigungen so weit, daß man sogar Sands Attentat durch
einen Kommers feiern wollte. Die Veranstalter waren Graf Franz Colloredo
und Pakas, die alsbald relegiert wurden. Noch im Frühjahr 1820 besuchten
Prager offiziell die Leipziger und Jenaische Burschenschaft; aber bald waren
Solcherlei Bestrebungen unterdrückt. Nicht besser erging es den Wienern; hierher
waren von Jena der Burschenschafter Ernst Förster und von Prag der aus¬
gewiesene Colloredo gekommen, um im Verein mit dem Dichter Joh. Senn eine
Burschenschaft aufzurichten, die 1821 die Leipziger sogar offiziell besuchte; aber
die Behörde unterdrückte die „Studentenverschwörung", sperrte Senn*) dreizehn
Monate, desgleichen Freiherr v. Doblhoff-Dier (den nachmaligen 1848 er Minister),



") Senn gründete übrigens nach seiner Freilassung in Innsbruck einen Bund namens
„Ribera Oermsnia«. So spricht auch der Name dieses Bundes deutlich das deutschnationals
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/21>, abgerufen am 22.07.2024.