Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.sich auf die genauen Angaben der Gewerkschaften stützenden Lohnstatisttik des Auch in Belgien machte sich die wirtschaftliche Not bemerkbar. Die Industrie Aber nicht allein die Lohnarbeiterschaft der kriegführenden, sondern auch die¬ sich auf die genauen Angaben der Gewerkschaften stützenden Lohnstatisttik des Auch in Belgien machte sich die wirtschaftliche Not bemerkbar. Die Industrie Aber nicht allein die Lohnarbeiterschaft der kriegführenden, sondern auch die¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0196" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324609"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_668" prev="#ID_667"> sich auf die genauen Angaben der Gewerkschaften stützenden Lohnstatisttik des<lb/> „Annuarici Statistico Italiano" betrugen die Taglöhne (bei meist zehnstündiger<lb/> Arbeitszeit) für eigentliche Bergarbeiter unter Tage im Turiner Distrikt 3,60 bis<lb/> 8,75 Lire, im Mailänder Distrikt durchschnittlich 2,87 Lire, im römischen Distrikt<lb/> 3,00 bis 4,00 Lire. Baumwollspinner verdienten in Turin 1,75 bis 2,10 Lire,<lb/> im Distrikt von Como 1,95 bis 2,15 Lire, im Distrikt von Pavia 1,60 bis 1,75<lb/> Lire für den Tag. Und auch die Löhne der Weber sind nur wenig höher. Im Distrikt<lb/> von Como, wo die besten Weberlöhne gezahlt werden, kamen sie doch nur selten<lb/> über 2,50 Lire hinaus. Der Durchschnittslvhn für Tabakarbeiter (das heißt die<lb/> mittlere Lohnsnmme der verschiedenen Arbeitskategvrien) betrug in Turin 2,80<lb/> Lire, in Mailand 2,67 Lire, in Venezien 2,71 Lire, in Genua 2,52 Lire bis 2,75<lb/> Lire für den Tag. Die schlechte Lage der italienischen Lohnarbeiterschaft beweist auch<lb/> die Tatsache, daß alljährlich 600000 bis 800000 Menschen aus Italien nach<lb/> fremden Ländern ziehen, um dort das Brot zu finden, das ihnen das eigene<lb/> Land versagt. Auch von einem sogenannten Burgfrieden, wie er beispielsweise<lb/> in Deutschland und Frankreich zu beobachten ist, bemerkt man in Italien keine<lb/> Spur. So wurde verschiedentlich von größeren Streikbewegungen der Land¬<lb/> arbeiter, der Hafenarbeiter, der Kohlenträger, der Seeleute, der Textilarbeiter und<lb/> verschiedene andere mehr berichtet.</p><lb/> <p xml:id="ID_669"> Auch in Belgien machte sich die wirtschaftliche Not bemerkbar. Die Industrie<lb/> lag darnieder, nicht so sehr, weil sie durch das Fehlen des Marktes getroffen war,<lb/> sondern hauptsächlich, weil die Transportmittel für Rohmaterial und Waren nicht<lb/> vorhanden waren. Dank der anerkennenswerten Arbeit der deutschen Verwaltung<lb/> machte sich aber bald eine Besserung in den bestehenden Verhältnissen bemerkbar.<lb/> So erhielten beispielsweise die Waffen- und Munitionsarbeiter in Brüssel und Lüttich<lb/> nennenswerte Lohnzuschläge. Die belgische Lohnarbeiterschaft hat bekanntlich von<lb/> jeher in betreff der Lohnfrage nicht in der ersten Reihe der europäischen Staaten<lb/> gestanden. Man nehme nur allein die Hungerlöhne, die in der weltbekannten<lb/> Brüsseler Spitzenindustrie gezahlt werden. Die Bemühungen von deutscher Seite<lb/> sind aber vielfach daran gescheitert, daß die Belgier ans Patriotismus sich ent¬<lb/> schieden weigerten, an der Neuorgcmisisrung mitzuhelfen. Als Beispiel hierfür<lb/> dient das Verhalten der unteren Postbeamten, die die Wiederaufnahme des Post-<lb/> Verkehrs mit einem Streik beantworteten, obgleich sie hierdurch in erster Linie<lb/> den eigenen Landsleuten den größten Schaden zufügten.</p><lb/> <p xml:id="ID_670" next="#ID_671"> Aber nicht allein die Lohnarbeiterschaft der kriegführenden, sondern auch die¬<lb/> jenigen der neutralen Staaten ist durch den Krieg nicht unbeträchtlich in Mit¬<lb/> leidenschaft gezogen worden. Nach Berichten aus Schweden vom September 1914<lb/> waren von 257000 schwedischen Industriearbeitern etwa 50 Prozent von der bei<lb/> Ausbruch des Krieges entstandenen Krise mehr oder weniger betroffen<lb/> worden, am meisten aber die Textil-, Holz- und Transportarbeiter. Besonders<lb/> groß war die Arbeitslosigkeit im Seemannsberuf, da die Schiffahrt völlig stillag.<lb/> Ähnlich lagen die diesbezüglichen Verhältnisse in Dänemark. Neben den ein¬<lb/> heimischen Arbeitslosen befanden sich hier noch etwa 10000 polnische Landarbeiter,<lb/> die wegen des Krieges nicht nach ihrer Heimat zurückkehren konnten. Nach Be°</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0196]
sich auf die genauen Angaben der Gewerkschaften stützenden Lohnstatisttik des
„Annuarici Statistico Italiano" betrugen die Taglöhne (bei meist zehnstündiger
Arbeitszeit) für eigentliche Bergarbeiter unter Tage im Turiner Distrikt 3,60 bis
8,75 Lire, im Mailänder Distrikt durchschnittlich 2,87 Lire, im römischen Distrikt
3,00 bis 4,00 Lire. Baumwollspinner verdienten in Turin 1,75 bis 2,10 Lire,
im Distrikt von Como 1,95 bis 2,15 Lire, im Distrikt von Pavia 1,60 bis 1,75
Lire für den Tag. Und auch die Löhne der Weber sind nur wenig höher. Im Distrikt
von Como, wo die besten Weberlöhne gezahlt werden, kamen sie doch nur selten
über 2,50 Lire hinaus. Der Durchschnittslvhn für Tabakarbeiter (das heißt die
mittlere Lohnsnmme der verschiedenen Arbeitskategvrien) betrug in Turin 2,80
Lire, in Mailand 2,67 Lire, in Venezien 2,71 Lire, in Genua 2,52 Lire bis 2,75
Lire für den Tag. Die schlechte Lage der italienischen Lohnarbeiterschaft beweist auch
die Tatsache, daß alljährlich 600000 bis 800000 Menschen aus Italien nach
fremden Ländern ziehen, um dort das Brot zu finden, das ihnen das eigene
Land versagt. Auch von einem sogenannten Burgfrieden, wie er beispielsweise
in Deutschland und Frankreich zu beobachten ist, bemerkt man in Italien keine
Spur. So wurde verschiedentlich von größeren Streikbewegungen der Land¬
arbeiter, der Hafenarbeiter, der Kohlenträger, der Seeleute, der Textilarbeiter und
verschiedene andere mehr berichtet.
Auch in Belgien machte sich die wirtschaftliche Not bemerkbar. Die Industrie
lag darnieder, nicht so sehr, weil sie durch das Fehlen des Marktes getroffen war,
sondern hauptsächlich, weil die Transportmittel für Rohmaterial und Waren nicht
vorhanden waren. Dank der anerkennenswerten Arbeit der deutschen Verwaltung
machte sich aber bald eine Besserung in den bestehenden Verhältnissen bemerkbar.
So erhielten beispielsweise die Waffen- und Munitionsarbeiter in Brüssel und Lüttich
nennenswerte Lohnzuschläge. Die belgische Lohnarbeiterschaft hat bekanntlich von
jeher in betreff der Lohnfrage nicht in der ersten Reihe der europäischen Staaten
gestanden. Man nehme nur allein die Hungerlöhne, die in der weltbekannten
Brüsseler Spitzenindustrie gezahlt werden. Die Bemühungen von deutscher Seite
sind aber vielfach daran gescheitert, daß die Belgier ans Patriotismus sich ent¬
schieden weigerten, an der Neuorgcmisisrung mitzuhelfen. Als Beispiel hierfür
dient das Verhalten der unteren Postbeamten, die die Wiederaufnahme des Post-
Verkehrs mit einem Streik beantworteten, obgleich sie hierdurch in erster Linie
den eigenen Landsleuten den größten Schaden zufügten.
Aber nicht allein die Lohnarbeiterschaft der kriegführenden, sondern auch die¬
jenigen der neutralen Staaten ist durch den Krieg nicht unbeträchtlich in Mit¬
leidenschaft gezogen worden. Nach Berichten aus Schweden vom September 1914
waren von 257000 schwedischen Industriearbeitern etwa 50 Prozent von der bei
Ausbruch des Krieges entstandenen Krise mehr oder weniger betroffen
worden, am meisten aber die Textil-, Holz- und Transportarbeiter. Besonders
groß war die Arbeitslosigkeit im Seemannsberuf, da die Schiffahrt völlig stillag.
Ähnlich lagen die diesbezüglichen Verhältnisse in Dänemark. Neben den ein¬
heimischen Arbeitslosen befanden sich hier noch etwa 10000 polnische Landarbeiter,
die wegen des Krieges nicht nach ihrer Heimat zurückkehren konnten. Nach Be°
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