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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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U)le das Deutsche Reich die Niederlande verlor

wütend. Zornig ruft er den Gesandten zu, von andersher habe Brabant zum
Reich und zu Deutschland gehört; er wolle es auch wieder dazu bringen, solle
es ihm den Hals kosten. "Ihr wollt also Franzosen sein?" Mit diesen
Worten eilt er fort und läßt die Brabanter verdutzt stehen.

Die Burgunder waren zu Zugeständnissen bereit und ließen es auch nicht
an klingenden Versprechungen fehlen. Sigmund stellte aber recht hohe Forderungen
und verquickte zudem die Ansprüche des deutschen Königs mit dynastischen.
Das war ein großer Fehler. Auf den Kaiser nahm Burgund gewisse Rück¬
sichten, nicht auf den Luxemburger. Bet dem steten Wechselspiel der europäischen
Politik konnte ein gutes Einvernehmen mit Deutschland vorteilhaft sein, konnte
es sich lohnen, dafür Geld auszugeben. Um die Luxemburger brauchte man
sich aber nicht zu kümmern. Noch während Sigmunds Regierung fiel sein
eigenes Stammland, das Herzogtum Luxemburg (Lützelburg; mit der Graf¬
schaft Chiny) den burgundischen Annexionsgelüsten zum Opfer.

Alle Worte Sigmunds, alle Drohungen und Warnungen fruchteten nichts.
Was halfen Jcckobäa in dem Kriege gegen den Vetter die kaiserlichen Briefe,
wenn sie nicht von einem Heer überbracht wurden? Was für einen Zweck
hatte die Kriegserklärung Sigmunds an den "Rebellen und Ungehorsamen",
da kein Feldzug unternommen werden konnte, welcher der Würde des Reichs
entsprach? Die deutschen Fürsten hatten gerade an den Hussitenkriegen genug.
Sie verspürte!! nicht die geringste Luft, sich noch an der Weh> grenze in Aben¬
teuer zu stürzen, von denen sie sich keine Vorteile versprachen.

So behielt Philipp der Gute unangefochten die Niederlande.
Trotzig hat er weder vor König Sigmund noch vor Albrecht dem Zweiten,
noch vor Friedrich dem Dritten huldigend das Knie gebeugt. Und doch hätte
es auch in. seinem Interesse gelegen, wenn eine Einigung erzielt worden wäre.

Ein gewaltiger Besitz gehörte dem burgundischen Hause, getrost konnte er
sich mit manchen! Königreiche messen. Aber es war kein einheitlicher Staat,
sondern ein loses Staatsgefüge. Die Landschaften, die nach und nach unter
die Herrschaft der Herzöge-Grafen gekommen waren, zeigten die größte Mannig¬
faltigkeit auf, sowohl was die Nationalität, als auch die politischen, wirt¬
schaftlichen und sozialen Zustände betraf. Wie verschieden waren die Vlamen
und die Wallonen in den Niederlanden, und die Wallonen doch wieder ganz
anders als die Welschen in Burgund. Allerwärts ein anderes Recht, eine
andere Verwaltung. Sobald der Graf von Flandern die Grenze von Brabant
oder von Holland überschritt, veränderte sich seine Amtsgewalt. Gleichgiltig,
ja feindlich standen sich die Bewohner der einzelnen Gebiete gegenüber. So¬
bald die Interessen nicht den gleichen Weg liefen, hörte die Freundschaft auf.
Was kümmerten sich die Winzer der Loth ni'Or um die Fischer und Schiffer
in Holland und Seeland. Durchaus fremd blieb den Wandrern das Stamm¬
land ihrer Grafen. Dijon und mit Dijon ganz Burgund fühlte sich zurück¬
gesetzt gegenüber Brügge und Brüssel, welche der Herrscher zu seinen Lieblings-


U)le das Deutsche Reich die Niederlande verlor

wütend. Zornig ruft er den Gesandten zu, von andersher habe Brabant zum
Reich und zu Deutschland gehört; er wolle es auch wieder dazu bringen, solle
es ihm den Hals kosten. „Ihr wollt also Franzosen sein?" Mit diesen
Worten eilt er fort und läßt die Brabanter verdutzt stehen.

Die Burgunder waren zu Zugeständnissen bereit und ließen es auch nicht
an klingenden Versprechungen fehlen. Sigmund stellte aber recht hohe Forderungen
und verquickte zudem die Ansprüche des deutschen Königs mit dynastischen.
Das war ein großer Fehler. Auf den Kaiser nahm Burgund gewisse Rück¬
sichten, nicht auf den Luxemburger. Bet dem steten Wechselspiel der europäischen
Politik konnte ein gutes Einvernehmen mit Deutschland vorteilhaft sein, konnte
es sich lohnen, dafür Geld auszugeben. Um die Luxemburger brauchte man
sich aber nicht zu kümmern. Noch während Sigmunds Regierung fiel sein
eigenes Stammland, das Herzogtum Luxemburg (Lützelburg; mit der Graf¬
schaft Chiny) den burgundischen Annexionsgelüsten zum Opfer.

Alle Worte Sigmunds, alle Drohungen und Warnungen fruchteten nichts.
Was halfen Jcckobäa in dem Kriege gegen den Vetter die kaiserlichen Briefe,
wenn sie nicht von einem Heer überbracht wurden? Was für einen Zweck
hatte die Kriegserklärung Sigmunds an den „Rebellen und Ungehorsamen",
da kein Feldzug unternommen werden konnte, welcher der Würde des Reichs
entsprach? Die deutschen Fürsten hatten gerade an den Hussitenkriegen genug.
Sie verspürte!! nicht die geringste Luft, sich noch an der Weh> grenze in Aben¬
teuer zu stürzen, von denen sie sich keine Vorteile versprachen.

So behielt Philipp der Gute unangefochten die Niederlande.
Trotzig hat er weder vor König Sigmund noch vor Albrecht dem Zweiten,
noch vor Friedrich dem Dritten huldigend das Knie gebeugt. Und doch hätte
es auch in. seinem Interesse gelegen, wenn eine Einigung erzielt worden wäre.

Ein gewaltiger Besitz gehörte dem burgundischen Hause, getrost konnte er
sich mit manchen! Königreiche messen. Aber es war kein einheitlicher Staat,
sondern ein loses Staatsgefüge. Die Landschaften, die nach und nach unter
die Herrschaft der Herzöge-Grafen gekommen waren, zeigten die größte Mannig¬
faltigkeit auf, sowohl was die Nationalität, als auch die politischen, wirt¬
schaftlichen und sozialen Zustände betraf. Wie verschieden waren die Vlamen
und die Wallonen in den Niederlanden, und die Wallonen doch wieder ganz
anders als die Welschen in Burgund. Allerwärts ein anderes Recht, eine
andere Verwaltung. Sobald der Graf von Flandern die Grenze von Brabant
oder von Holland überschritt, veränderte sich seine Amtsgewalt. Gleichgiltig,
ja feindlich standen sich die Bewohner der einzelnen Gebiete gegenüber. So¬
bald die Interessen nicht den gleichen Weg liefen, hörte die Freundschaft auf.
Was kümmerten sich die Winzer der Loth ni'Or um die Fischer und Schiffer
in Holland und Seeland. Durchaus fremd blieb den Wandrern das Stamm¬
land ihrer Grafen. Dijon und mit Dijon ganz Burgund fühlte sich zurück¬
gesetzt gegenüber Brügge und Brüssel, welche der Herrscher zu seinen Lieblings-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/183>, abgerufen am 24.08.2024.