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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Rriegsliteratur

Der Verfasser tritt zunächst der von Johannes Lepsius vertretenen Auf¬
fassung entgegen, daß der "Dschihad" "grundsätzlich ein ununterbrochener
perennierender Krieg" ist; er weist dagegen nach, daß der "Heilige Krieg" nur
ein Verteidigungskrieg ist. Mohammed selbst hat das Wort "Krieg" vermieden
und nur von "Anstrengung auf dem Wege Gottes" gesprochen, nämlich "nur
gegen Nichtmoslims", was zwar vom Propheten nicht ausgesprochen ist -- da es
zu jener Zeit außer den zweihundert Anhängern überhaupt nur Ungläubige gab --,
aber zu allen Zeiten unbedingt anerkannt wurde. Alsdann hebt Galli die
deutsche Arbeit auf militärischem und wirtschaftlichem Gebiete in der Türkei
hervor und die Hindernisse, die den Deutschen bei dieser Arbeit von den
Mächten in den Weg gelegt wurden, denen aus eigennützigen Motiven eine
schwache Türkei lieber sein mußte als ein starkes osmanisches Reich. Am Schluß
seiner Schrift weist der Verfasser mit Recht darauf hin, daß der "Dschihad"
seine volle Ausdehnung heute noch nicht erreicht hat, daß aller Voraussicht nach
bald auch noch andere mohammedanische Länder dem Rufe des Khalifen folgen
werden, wenn auch zum Beispiel wie in Indien die Hemmungen für einen Aufstand
sehr bedeutend sind, wie Becker in seiner noch zu besprechenden Schrift mit
Recht hervorhebt.

Rud. Tschudi behandelt in einem bei L. Friedrichsen u. Co. (Hamburg)
im Druck erschienenen Vortrage "Der Islam und der Krieg" die Frage des
Panislamismus, der nach Ansicht des Verfassers heutzutage letzten Endes nur
"die vollkommene Gleichstellung der Muslime aller Nationen und ihre Ver¬
einigung in einem einzigen Staate mit theokratischer Regierungsform" sei" will
Der Verfasser gibt ein anschauliches Bild, in welcher Weise der ganze Islam
zusammenhängt, und wie er sich zum Khalifen in Konstantinopel stellt. Tschudi
weist schließlich darauf hin -- worauf besonders auch Professor C. H. Becker in
seiner Schrift "Deutschland und der Islam", (Heft 3 der Sammlung "Der
deutsche Krieg") aufmerksam gemacht hat --, daß der Panislamismus keine
neue Organisation ist, sondern "ein Gefühl, die Neubelebung der alt-islamischen
Ideale als Reaktion auf das Vordringen Europas".

Becker schildert in der oben genannten Broschüre unter anderem auch die
deutsche Jslampolitik, die trotz aller Versetzungen der Auslandspresse stets auf
Erhaltung und Stärkung der mohammedanischen Staaten gerichtet war,
während andere Staaten, insbesondere England, Frankreich und Rußland
unaufhörlich an der Untergrabung und Aufteilung dieser Staatswesen gearbeitet
haben. Am Schluß seiner Arbeit bespricht der Verfasser dann noch, welche
Perspektiven und Folgerungen sich aus der deutschen Jslampolitik für den gegen¬
wärtigen Krieg ergeben. Während der Verfasser unserer Ansicht nach mit Recht
die Wichtigkeit eines Angriffs auf Ägypten betont, um dort einen allgemeinen
Aufstand hervorzurufen, können wir -- wie ja auch die bisherige Entwicklung der
Dinge bewiesen hat -- ihm nicht ganz zustimmen, wenn er allzuviel Vertrauen
setzt auf eine Empörung der mohammedanischen Kaukasier gegen die Russenherrschaft.


Rriegsliteratur

Der Verfasser tritt zunächst der von Johannes Lepsius vertretenen Auf¬
fassung entgegen, daß der „Dschihad" „grundsätzlich ein ununterbrochener
perennierender Krieg" ist; er weist dagegen nach, daß der „Heilige Krieg" nur
ein Verteidigungskrieg ist. Mohammed selbst hat das Wort „Krieg" vermieden
und nur von „Anstrengung auf dem Wege Gottes" gesprochen, nämlich „nur
gegen Nichtmoslims", was zwar vom Propheten nicht ausgesprochen ist — da es
zu jener Zeit außer den zweihundert Anhängern überhaupt nur Ungläubige gab —,
aber zu allen Zeiten unbedingt anerkannt wurde. Alsdann hebt Galli die
deutsche Arbeit auf militärischem und wirtschaftlichem Gebiete in der Türkei
hervor und die Hindernisse, die den Deutschen bei dieser Arbeit von den
Mächten in den Weg gelegt wurden, denen aus eigennützigen Motiven eine
schwache Türkei lieber sein mußte als ein starkes osmanisches Reich. Am Schluß
seiner Schrift weist der Verfasser mit Recht darauf hin, daß der „Dschihad"
seine volle Ausdehnung heute noch nicht erreicht hat, daß aller Voraussicht nach
bald auch noch andere mohammedanische Länder dem Rufe des Khalifen folgen
werden, wenn auch zum Beispiel wie in Indien die Hemmungen für einen Aufstand
sehr bedeutend sind, wie Becker in seiner noch zu besprechenden Schrift mit
Recht hervorhebt.

Rud. Tschudi behandelt in einem bei L. Friedrichsen u. Co. (Hamburg)
im Druck erschienenen Vortrage „Der Islam und der Krieg" die Frage des
Panislamismus, der nach Ansicht des Verfassers heutzutage letzten Endes nur
„die vollkommene Gleichstellung der Muslime aller Nationen und ihre Ver¬
einigung in einem einzigen Staate mit theokratischer Regierungsform" sei« will
Der Verfasser gibt ein anschauliches Bild, in welcher Weise der ganze Islam
zusammenhängt, und wie er sich zum Khalifen in Konstantinopel stellt. Tschudi
weist schließlich darauf hin — worauf besonders auch Professor C. H. Becker in
seiner Schrift „Deutschland und der Islam", (Heft 3 der Sammlung „Der
deutsche Krieg") aufmerksam gemacht hat —, daß der Panislamismus keine
neue Organisation ist, sondern „ein Gefühl, die Neubelebung der alt-islamischen
Ideale als Reaktion auf das Vordringen Europas".

Becker schildert in der oben genannten Broschüre unter anderem auch die
deutsche Jslampolitik, die trotz aller Versetzungen der Auslandspresse stets auf
Erhaltung und Stärkung der mohammedanischen Staaten gerichtet war,
während andere Staaten, insbesondere England, Frankreich und Rußland
unaufhörlich an der Untergrabung und Aufteilung dieser Staatswesen gearbeitet
haben. Am Schluß seiner Arbeit bespricht der Verfasser dann noch, welche
Perspektiven und Folgerungen sich aus der deutschen Jslampolitik für den gegen¬
wärtigen Krieg ergeben. Während der Verfasser unserer Ansicht nach mit Recht
die Wichtigkeit eines Angriffs auf Ägypten betont, um dort einen allgemeinen
Aufstand hervorzurufen, können wir — wie ja auch die bisherige Entwicklung der
Dinge bewiesen hat — ihm nicht ganz zustimmen, wenn er allzuviel Vertrauen
setzt auf eine Empörung der mohammedanischen Kaukasier gegen die Russenherrschaft.


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[0164] Rriegsliteratur Der Verfasser tritt zunächst der von Johannes Lepsius vertretenen Auf¬ fassung entgegen, daß der „Dschihad" „grundsätzlich ein ununterbrochener perennierender Krieg" ist; er weist dagegen nach, daß der „Heilige Krieg" nur ein Verteidigungskrieg ist. Mohammed selbst hat das Wort „Krieg" vermieden und nur von „Anstrengung auf dem Wege Gottes" gesprochen, nämlich „nur gegen Nichtmoslims", was zwar vom Propheten nicht ausgesprochen ist — da es zu jener Zeit außer den zweihundert Anhängern überhaupt nur Ungläubige gab —, aber zu allen Zeiten unbedingt anerkannt wurde. Alsdann hebt Galli die deutsche Arbeit auf militärischem und wirtschaftlichem Gebiete in der Türkei hervor und die Hindernisse, die den Deutschen bei dieser Arbeit von den Mächten in den Weg gelegt wurden, denen aus eigennützigen Motiven eine schwache Türkei lieber sein mußte als ein starkes osmanisches Reich. Am Schluß seiner Schrift weist der Verfasser mit Recht darauf hin, daß der „Dschihad" seine volle Ausdehnung heute noch nicht erreicht hat, daß aller Voraussicht nach bald auch noch andere mohammedanische Länder dem Rufe des Khalifen folgen werden, wenn auch zum Beispiel wie in Indien die Hemmungen für einen Aufstand sehr bedeutend sind, wie Becker in seiner noch zu besprechenden Schrift mit Recht hervorhebt. Rud. Tschudi behandelt in einem bei L. Friedrichsen u. Co. (Hamburg) im Druck erschienenen Vortrage „Der Islam und der Krieg" die Frage des Panislamismus, der nach Ansicht des Verfassers heutzutage letzten Endes nur „die vollkommene Gleichstellung der Muslime aller Nationen und ihre Ver¬ einigung in einem einzigen Staate mit theokratischer Regierungsform" sei« will Der Verfasser gibt ein anschauliches Bild, in welcher Weise der ganze Islam zusammenhängt, und wie er sich zum Khalifen in Konstantinopel stellt. Tschudi weist schließlich darauf hin — worauf besonders auch Professor C. H. Becker in seiner Schrift „Deutschland und der Islam", (Heft 3 der Sammlung „Der deutsche Krieg") aufmerksam gemacht hat —, daß der Panislamismus keine neue Organisation ist, sondern „ein Gefühl, die Neubelebung der alt-islamischen Ideale als Reaktion auf das Vordringen Europas". Becker schildert in der oben genannten Broschüre unter anderem auch die deutsche Jslampolitik, die trotz aller Versetzungen der Auslandspresse stets auf Erhaltung und Stärkung der mohammedanischen Staaten gerichtet war, während andere Staaten, insbesondere England, Frankreich und Rußland unaufhörlich an der Untergrabung und Aufteilung dieser Staatswesen gearbeitet haben. Am Schluß seiner Arbeit bespricht der Verfasser dann noch, welche Perspektiven und Folgerungen sich aus der deutschen Jslampolitik für den gegen¬ wärtigen Krieg ergeben. Während der Verfasser unserer Ansicht nach mit Recht die Wichtigkeit eines Angriffs auf Ägypten betont, um dort einen allgemeinen Aufstand hervorzurufen, können wir — wie ja auch die bisherige Entwicklung der Dinge bewiesen hat — ihm nicht ganz zustimmen, wenn er allzuviel Vertrauen setzt auf eine Empörung der mohammedanischen Kaukasier gegen die Russenherrschaft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/164>, abgerufen am 24.08.2024.