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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Das Bildungswescn der Bulgaren

hatten die englische Wolle unbedingt nötig, sonst lag ihre Tuchfabrikation da-
nieder. Sie hatten die französischen Lebensmittel -- ebenso wie die deutschen
-- nötig, sonst litten sie Hunger; denn das Land konnte sich nicht selbst er¬
nähren. Daher war bei einem französisch-englischen Krieg das Ziel ihrer Politik:
völlige Neutralität.

Neutralität. Selbständigkeit nach allen Seiten hin war die Grundbedingung
für eine glückliche Weiterentwicklung des Landes. Das französische Geschlecht,
das in Flandern eingezogen war, mußte Stellung nehmen. Würde es Flandern
Zwingen, der französischen Politik zu folgen? Würde die Dynastie die Politik
i>er flandrischen Kommunen zu der ihren machen?

(Fortsetzung folgt,)




Das Bildungswesen
der Bulgaren im nationalpolitischen Existenzkampf
Dr. Alfred Mann von

aß in diesem Weltkriege Kulturen aufeinanderprallen, daß in
ihm vor allem auch die Bildung der beteiligten Völker aus¬
schlaggebend in die Wagschale fällt, kann kein Einsichtiger
leugnen. Wendet sich schon deswegen dem Bildungswesen Bul¬
gariens eine erhöhte Aufmerksamkeit in dem Augenblick zu, in
dem dieser Staat in das Völkerringen tatkräftig eingreift, so verdient
es noch aus einem anderen Grunde unsere Beachtung. Kaum nämlich dürfte
es ein zweites Volk geben, dessen Bildungswesen seit alters mit der national-
politischen Entwicklung so verquickt ist, wie das der Bulgaren, die schon immer
gerade auf dem Wege der Bildung, und insbesondere einer Schulbildung, zu
politischer und kultureller Emanzipation vorzudringen suchten.

Kulturwillen und Kulturkraft müssen die Bulgaren schon mitgebracht
haben, als sie im siebenten Jahrhundert nach Besiegung der südlich von der
Donau sitzenden schwächlichen Slavenstämme ein neues Slavenreich errichteten.
Denn bald machten sie sich die Kultur ihrer byzantinischen Feinde zu eigen,
ebenso wie die des (864 angenommenen) Christentums, doch so, daß sie die
Elemente der anderen Kulturen nicht lange als fremde Bestandteile in ihrer
Bildung duldeten, sondern bald mit bewunderungswürdiger Zähigkeit daran
gingen, sie mit der eigenen Kultur organisch zu verschmelzen.


Das Bildungswescn der Bulgaren

hatten die englische Wolle unbedingt nötig, sonst lag ihre Tuchfabrikation da-
nieder. Sie hatten die französischen Lebensmittel — ebenso wie die deutschen
— nötig, sonst litten sie Hunger; denn das Land konnte sich nicht selbst er¬
nähren. Daher war bei einem französisch-englischen Krieg das Ziel ihrer Politik:
völlige Neutralität.

Neutralität. Selbständigkeit nach allen Seiten hin war die Grundbedingung
für eine glückliche Weiterentwicklung des Landes. Das französische Geschlecht,
das in Flandern eingezogen war, mußte Stellung nehmen. Würde es Flandern
Zwingen, der französischen Politik zu folgen? Würde die Dynastie die Politik
i>er flandrischen Kommunen zu der ihren machen?

(Fortsetzung folgt,)




Das Bildungswesen
der Bulgaren im nationalpolitischen Existenzkampf
Dr. Alfred Mann von

aß in diesem Weltkriege Kulturen aufeinanderprallen, daß in
ihm vor allem auch die Bildung der beteiligten Völker aus¬
schlaggebend in die Wagschale fällt, kann kein Einsichtiger
leugnen. Wendet sich schon deswegen dem Bildungswesen Bul¬
gariens eine erhöhte Aufmerksamkeit in dem Augenblick zu, in
dem dieser Staat in das Völkerringen tatkräftig eingreift, so verdient
es noch aus einem anderen Grunde unsere Beachtung. Kaum nämlich dürfte
es ein zweites Volk geben, dessen Bildungswesen seit alters mit der national-
politischen Entwicklung so verquickt ist, wie das der Bulgaren, die schon immer
gerade auf dem Wege der Bildung, und insbesondere einer Schulbildung, zu
politischer und kultureller Emanzipation vorzudringen suchten.

Kulturwillen und Kulturkraft müssen die Bulgaren schon mitgebracht
haben, als sie im siebenten Jahrhundert nach Besiegung der südlich von der
Donau sitzenden schwächlichen Slavenstämme ein neues Slavenreich errichteten.
Denn bald machten sie sich die Kultur ihrer byzantinischen Feinde zu eigen,
ebenso wie die des (864 angenommenen) Christentums, doch so, daß sie die
Elemente der anderen Kulturen nicht lange als fremde Bestandteile in ihrer
Bildung duldeten, sondern bald mit bewunderungswürdiger Zähigkeit daran
gingen, sie mit der eigenen Kultur organisch zu verschmelzen.


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[0155] Das Bildungswescn der Bulgaren hatten die englische Wolle unbedingt nötig, sonst lag ihre Tuchfabrikation da- nieder. Sie hatten die französischen Lebensmittel — ebenso wie die deutschen — nötig, sonst litten sie Hunger; denn das Land konnte sich nicht selbst er¬ nähren. Daher war bei einem französisch-englischen Krieg das Ziel ihrer Politik: völlige Neutralität. Neutralität. Selbständigkeit nach allen Seiten hin war die Grundbedingung für eine glückliche Weiterentwicklung des Landes. Das französische Geschlecht, das in Flandern eingezogen war, mußte Stellung nehmen. Würde es Flandern Zwingen, der französischen Politik zu folgen? Würde die Dynastie die Politik i>er flandrischen Kommunen zu der ihren machen? (Fortsetzung folgt,) Das Bildungswesen der Bulgaren im nationalpolitischen Existenzkampf Dr. Alfred Mann von aß in diesem Weltkriege Kulturen aufeinanderprallen, daß in ihm vor allem auch die Bildung der beteiligten Völker aus¬ schlaggebend in die Wagschale fällt, kann kein Einsichtiger leugnen. Wendet sich schon deswegen dem Bildungswesen Bul¬ gariens eine erhöhte Aufmerksamkeit in dem Augenblick zu, in dem dieser Staat in das Völkerringen tatkräftig eingreift, so verdient es noch aus einem anderen Grunde unsere Beachtung. Kaum nämlich dürfte es ein zweites Volk geben, dessen Bildungswesen seit alters mit der national- politischen Entwicklung so verquickt ist, wie das der Bulgaren, die schon immer gerade auf dem Wege der Bildung, und insbesondere einer Schulbildung, zu politischer und kultureller Emanzipation vorzudringen suchten. Kulturwillen und Kulturkraft müssen die Bulgaren schon mitgebracht haben, als sie im siebenten Jahrhundert nach Besiegung der südlich von der Donau sitzenden schwächlichen Slavenstämme ein neues Slavenreich errichteten. Denn bald machten sie sich die Kultur ihrer byzantinischen Feinde zu eigen, ebenso wie die des (864 angenommenen) Christentums, doch so, daß sie die Elemente der anderen Kulturen nicht lange als fremde Bestandteile in ihrer Bildung duldeten, sondern bald mit bewunderungswürdiger Zähigkeit daran gingen, sie mit der eigenen Kultur organisch zu verschmelzen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/155>, abgerufen am 22.07.2024.