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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Der Mimstcnvechsel in Rußland

jetzt hin und wieder in den linksstehenden Zeitungen bedauernd konstatiert wird.
Die Leute werden -- so sagt sich die Negierung -- Resolutionen fassen, und
alles wird im übrigen so bleiben, wie es ist.

Die Arbeiter haben zum großen Teile Abgeordnete für die kriegswirtschaftlichen
Komitees gewählt, nur in einigen wenigen Fabriken haben sie die Notwendig¬
keit der Einberufung eines Arbeiterkonkresses betont und sich der Abstimmung
enthalten. Mit ihnen hofft man fertig zu werden, nachdem man sie ihrer
Führer beraubt hat. Die revolutionären Studenten arbeiten in den Munitions¬
fabriken, nicht bloß weil sie hungern, sondern weil sie dem Lande den Sieg
wünschen. Die Stimmung der Gesellschaft ist also vielleicht so, daß man sie
beruhigen kann, wenn nur die Opiumdose geschickt und richtig beigebracht wird.
Der Arzt, der dies tun soll und will, ist eben Chwostow. Er ist der Operateur,
der zum Narkotikum greift, ehe er die schmerzhafte Operation beginnt.

Für Deutschland ist die Ernennung Chwostows insofern von Bedeutung,
als er unser erbitterter Gegner ist. Er war Vorsitzender jener Kommission,
deren Thema die "Deutsche Vergewaltigung" bildete. Nach seiner Ernennung
hat Chwostow einem Berichterstatter gesagt, daß

"in der russischen Gesellschaft gänzlich unbegründete alberne Gerüchte über die
Deutschfreundlichkeit gewisser Kreise umgehen. Wenn man mich gerufen hat,
so heißt das deutlich, daß für diese Gerüchte kein Boden vorhanden ist".

Das war ja die Furcht der Kadetten, die nur beim Fortgang des Krieges
ihre politischen Geschäfte machen können, daß die Rechten einem Sonderfrieden
mit Deutschland geneigt sein könnten. Es war ihre Angst, daß jene politischen
Salons, "in denen der Graf Dohna-Schlobitten ein lieber Gast war", mit
ihren Denkschriften Einfluß gewinnen könnten, die gern Polen für Galizien
geben würden und statt der Duma die Einberufung der alten Landschaftsstände
(Senfte Sabor) empfahlen. Diese Befürchtungen der Liberalen, die geschickt zum
politischen Kampfe und zur Verdächtigung der Rechten ausgenutzt wurden, scheinen,
im Augenblick durch die Erklärungen Chwostows beseitigt.

Bemerkenswert in diesem Zusammenhangs ist, daß die reaktionären Zeitungen,
gereizt durch die Verleumdungen der Linken über ihre vermeintlichen Friedensab¬
sichten, Miljukow zu einer Erkärung darüber aufgefordert haben, wo sie jemals
solche Absichten ausgesprochen hätten. Die Erklärung, die Herr Miljukow ab¬
gegeben hat, ist ziemlich lahm. Sie zeigt, daß die Idee einer Aussöhnung
mit Deutschland in der Tat wohl nur in Salons, nicht aber in maßgebenden
politischen Kreisen ernsthaft erörtert worden ist.

Das ganze Auftreten Chwostows, der solche Fragen, wie die Verständigung
mit Deutschland hervorholt, der die ganze Aufmerksamkeit der russischen Gesell¬
schaft von den großen innerpolitischen Fragen ab und auf die ökonomischen
Schwierigkeiten des wirtschaftlich vollständig desorganisierten Landes hinzu¬
lenken sucht, legt Zeugnis ab für die große Geschicklichkeit dieses erfahrenen
Politikers. Er hatte auch für die Arbeiter gleich den, wie er glaubte, wirkungs-


Der Mimstcnvechsel in Rußland

jetzt hin und wieder in den linksstehenden Zeitungen bedauernd konstatiert wird.
Die Leute werden — so sagt sich die Negierung — Resolutionen fassen, und
alles wird im übrigen so bleiben, wie es ist.

Die Arbeiter haben zum großen Teile Abgeordnete für die kriegswirtschaftlichen
Komitees gewählt, nur in einigen wenigen Fabriken haben sie die Notwendig¬
keit der Einberufung eines Arbeiterkonkresses betont und sich der Abstimmung
enthalten. Mit ihnen hofft man fertig zu werden, nachdem man sie ihrer
Führer beraubt hat. Die revolutionären Studenten arbeiten in den Munitions¬
fabriken, nicht bloß weil sie hungern, sondern weil sie dem Lande den Sieg
wünschen. Die Stimmung der Gesellschaft ist also vielleicht so, daß man sie
beruhigen kann, wenn nur die Opiumdose geschickt und richtig beigebracht wird.
Der Arzt, der dies tun soll und will, ist eben Chwostow. Er ist der Operateur,
der zum Narkotikum greift, ehe er die schmerzhafte Operation beginnt.

Für Deutschland ist die Ernennung Chwostows insofern von Bedeutung,
als er unser erbitterter Gegner ist. Er war Vorsitzender jener Kommission,
deren Thema die „Deutsche Vergewaltigung" bildete. Nach seiner Ernennung
hat Chwostow einem Berichterstatter gesagt, daß

„in der russischen Gesellschaft gänzlich unbegründete alberne Gerüchte über die
Deutschfreundlichkeit gewisser Kreise umgehen. Wenn man mich gerufen hat,
so heißt das deutlich, daß für diese Gerüchte kein Boden vorhanden ist".

Das war ja die Furcht der Kadetten, die nur beim Fortgang des Krieges
ihre politischen Geschäfte machen können, daß die Rechten einem Sonderfrieden
mit Deutschland geneigt sein könnten. Es war ihre Angst, daß jene politischen
Salons, „in denen der Graf Dohna-Schlobitten ein lieber Gast war", mit
ihren Denkschriften Einfluß gewinnen könnten, die gern Polen für Galizien
geben würden und statt der Duma die Einberufung der alten Landschaftsstände
(Senfte Sabor) empfahlen. Diese Befürchtungen der Liberalen, die geschickt zum
politischen Kampfe und zur Verdächtigung der Rechten ausgenutzt wurden, scheinen,
im Augenblick durch die Erklärungen Chwostows beseitigt.

Bemerkenswert in diesem Zusammenhangs ist, daß die reaktionären Zeitungen,
gereizt durch die Verleumdungen der Linken über ihre vermeintlichen Friedensab¬
sichten, Miljukow zu einer Erkärung darüber aufgefordert haben, wo sie jemals
solche Absichten ausgesprochen hätten. Die Erklärung, die Herr Miljukow ab¬
gegeben hat, ist ziemlich lahm. Sie zeigt, daß die Idee einer Aussöhnung
mit Deutschland in der Tat wohl nur in Salons, nicht aber in maßgebenden
politischen Kreisen ernsthaft erörtert worden ist.

Das ganze Auftreten Chwostows, der solche Fragen, wie die Verständigung
mit Deutschland hervorholt, der die ganze Aufmerksamkeit der russischen Gesell¬
schaft von den großen innerpolitischen Fragen ab und auf die ökonomischen
Schwierigkeiten des wirtschaftlich vollständig desorganisierten Landes hinzu¬
lenken sucht, legt Zeugnis ab für die große Geschicklichkeit dieses erfahrenen
Politikers. Er hatte auch für die Arbeiter gleich den, wie er glaubte, wirkungs-


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[0144] Der Mimstcnvechsel in Rußland jetzt hin und wieder in den linksstehenden Zeitungen bedauernd konstatiert wird. Die Leute werden — so sagt sich die Negierung — Resolutionen fassen, und alles wird im übrigen so bleiben, wie es ist. Die Arbeiter haben zum großen Teile Abgeordnete für die kriegswirtschaftlichen Komitees gewählt, nur in einigen wenigen Fabriken haben sie die Notwendig¬ keit der Einberufung eines Arbeiterkonkresses betont und sich der Abstimmung enthalten. Mit ihnen hofft man fertig zu werden, nachdem man sie ihrer Führer beraubt hat. Die revolutionären Studenten arbeiten in den Munitions¬ fabriken, nicht bloß weil sie hungern, sondern weil sie dem Lande den Sieg wünschen. Die Stimmung der Gesellschaft ist also vielleicht so, daß man sie beruhigen kann, wenn nur die Opiumdose geschickt und richtig beigebracht wird. Der Arzt, der dies tun soll und will, ist eben Chwostow. Er ist der Operateur, der zum Narkotikum greift, ehe er die schmerzhafte Operation beginnt. Für Deutschland ist die Ernennung Chwostows insofern von Bedeutung, als er unser erbitterter Gegner ist. Er war Vorsitzender jener Kommission, deren Thema die „Deutsche Vergewaltigung" bildete. Nach seiner Ernennung hat Chwostow einem Berichterstatter gesagt, daß „in der russischen Gesellschaft gänzlich unbegründete alberne Gerüchte über die Deutschfreundlichkeit gewisser Kreise umgehen. Wenn man mich gerufen hat, so heißt das deutlich, daß für diese Gerüchte kein Boden vorhanden ist". Das war ja die Furcht der Kadetten, die nur beim Fortgang des Krieges ihre politischen Geschäfte machen können, daß die Rechten einem Sonderfrieden mit Deutschland geneigt sein könnten. Es war ihre Angst, daß jene politischen Salons, „in denen der Graf Dohna-Schlobitten ein lieber Gast war", mit ihren Denkschriften Einfluß gewinnen könnten, die gern Polen für Galizien geben würden und statt der Duma die Einberufung der alten Landschaftsstände (Senfte Sabor) empfahlen. Diese Befürchtungen der Liberalen, die geschickt zum politischen Kampfe und zur Verdächtigung der Rechten ausgenutzt wurden, scheinen, im Augenblick durch die Erklärungen Chwostows beseitigt. Bemerkenswert in diesem Zusammenhangs ist, daß die reaktionären Zeitungen, gereizt durch die Verleumdungen der Linken über ihre vermeintlichen Friedensab¬ sichten, Miljukow zu einer Erkärung darüber aufgefordert haben, wo sie jemals solche Absichten ausgesprochen hätten. Die Erklärung, die Herr Miljukow ab¬ gegeben hat, ist ziemlich lahm. Sie zeigt, daß die Idee einer Aussöhnung mit Deutschland in der Tat wohl nur in Salons, nicht aber in maßgebenden politischen Kreisen ernsthaft erörtert worden ist. Das ganze Auftreten Chwostows, der solche Fragen, wie die Verständigung mit Deutschland hervorholt, der die ganze Aufmerksamkeit der russischen Gesell¬ schaft von den großen innerpolitischen Fragen ab und auf die ökonomischen Schwierigkeiten des wirtschaftlich vollständig desorganisierten Landes hinzu¬ lenken sucht, legt Zeugnis ab für die große Geschicklichkeit dieses erfahrenen Politikers. Er hatte auch für die Arbeiter gleich den, wie er glaubte, wirkungs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/144>, abgerufen am 22.07.2024.