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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Die kommende Wohnungsnot

Die Großgemeinden beginnen zwar bereits die Frage des Kleinwohnungs¬
baues in den Bereich ihrer Kriegsfürsorge aufzunehmen. So hat zum Bei¬
spiel der Groß-Berliner Verein für Kleinwohnungswesen, dessen zweiter Jahres¬
bericht im Juni dieses Jahres herausgegeben wurde, sich mit der allgemeinen Ten¬
denz zur Einschränkung der Wohnungsansprüche in dankenswerter Weise beschäftigt.
Die Bemühungen des Vereins führten zu der Schaffung eines Kriegswohnungsnach¬
weises sür Bedürftige und einer Rundfrage an die Baugenossenschaften zwecks
Feststellung ihrer Leistungsfähigkeit. Außerdem hat der Schutzverband für deutschen
Grundbesitz eine Eingabe an das Herrenhaus und das preußische Abgeordnetenhaus
gerichtet, die Staatshilfe geg>n die durch die Bodenspekulation entstandene
Kleinwohnungsnot fordert. Die Stadt Leipzig hat während des Krieges
das Projekt des bekannten Fachmannes auf dem Gebiet des Kleinbauwesens,
Geheimrat Muthesius, betreffend die Schaffnung von insgesamt 727 Häusern
mit 1418 Klein- und Mittelwohmmgen im November 1914 angenommen.
Unter der Garantie des Staates hat die Landesversicherungsanstalt Bremen
ein Darlehen von 300 000 Mark zum Zweck des Kleinwohnungsbaues
ausgeworfen. Die Unternehmungen, denen ein Darlehen gewährt wird, sind
verpflichtet, in erster Linie Familien mit mehr als 4 Kindern zu berücksichtigen.
Nürnberg gewährte ein Darlehn von 200 000 Mark. Lichtenberg befaßt sich
entgegenkommend mit dem Plan der Einfamilienhaus-Siedlung. Der Ban
von 37 Häusern zu einem Mietpreis von 600, 676, 775 bis 375 Mark
ist hier vorgesehen und bereits so gut wie bewilligt. München hat in seiner
für die Zeit des Krieges geschaffenen Kommission für Grundbesitz und Wohnungs¬
wesen eine dankenswerte Arbeit auf dem Gebiete der Kleinwohnungssrage
geleistet, ob allerdings der Antrag des Gemeindekollegiums auf vollem Aus¬
bau des Dachgeschosses als Kleinwohnungshilfe vom Standpunkte der Volks¬
hygiene zu billigen sein wird, mag dahingestellt bleiben. In Hannover hat
sich das Kriegsfürsorgeamt sür Wohnungswesen der Kleinwohnungsfrage an¬
genommen. Frankfurt a. M, Duisburg, Magdeburg usw. haben teils beratend,
teils handelnd Stellung zu den kommenden Schwierigkeiten genommen. Immer"
hin kann es sich in allen diesen Fällen nur um Beihilfen handeln, die viel
zu gering sind, um eine allgemeine Wandlung zu schaffen, oder auch
nur anzubahnen. Hier können nur gemeinsame und durchgreifende Ma߬
nahmen helfen! Optimisten blicken nun voller Vertrauen auf das kommende
preußische Wohnungsgesetz. Bekanntlich ist seine Erledigung bis nach dem Kriege
verschoben worden. Die Verhandlungen befanden sich bei dem Kriegsausbruche
noch im Stadium der Kommissionsberatung, die wichtige Frage des Bau¬
verbotes an nicht völlig regulierten Straßen bildete noch immer neben anderen
Meinungsverschiedenheiten ein starkes Hemmnis für eine Einigung der beraten¬
den Parteien. Die Parteien waren nun zwar bereit, eine Einigung herbeizu¬
führen, die Regierung nahm aber von der Weiternerfolgung des Gesetzent¬
wurfes aus sachlichen Gründen Abstand. Die durch den Kriegszustand hervor-


Die kommende Wohnungsnot

Die Großgemeinden beginnen zwar bereits die Frage des Kleinwohnungs¬
baues in den Bereich ihrer Kriegsfürsorge aufzunehmen. So hat zum Bei¬
spiel der Groß-Berliner Verein für Kleinwohnungswesen, dessen zweiter Jahres¬
bericht im Juni dieses Jahres herausgegeben wurde, sich mit der allgemeinen Ten¬
denz zur Einschränkung der Wohnungsansprüche in dankenswerter Weise beschäftigt.
Die Bemühungen des Vereins führten zu der Schaffung eines Kriegswohnungsnach¬
weises sür Bedürftige und einer Rundfrage an die Baugenossenschaften zwecks
Feststellung ihrer Leistungsfähigkeit. Außerdem hat der Schutzverband für deutschen
Grundbesitz eine Eingabe an das Herrenhaus und das preußische Abgeordnetenhaus
gerichtet, die Staatshilfe geg>n die durch die Bodenspekulation entstandene
Kleinwohnungsnot fordert. Die Stadt Leipzig hat während des Krieges
das Projekt des bekannten Fachmannes auf dem Gebiet des Kleinbauwesens,
Geheimrat Muthesius, betreffend die Schaffnung von insgesamt 727 Häusern
mit 1418 Klein- und Mittelwohmmgen im November 1914 angenommen.
Unter der Garantie des Staates hat die Landesversicherungsanstalt Bremen
ein Darlehen von 300 000 Mark zum Zweck des Kleinwohnungsbaues
ausgeworfen. Die Unternehmungen, denen ein Darlehen gewährt wird, sind
verpflichtet, in erster Linie Familien mit mehr als 4 Kindern zu berücksichtigen.
Nürnberg gewährte ein Darlehn von 200 000 Mark. Lichtenberg befaßt sich
entgegenkommend mit dem Plan der Einfamilienhaus-Siedlung. Der Ban
von 37 Häusern zu einem Mietpreis von 600, 676, 775 bis 375 Mark
ist hier vorgesehen und bereits so gut wie bewilligt. München hat in seiner
für die Zeit des Krieges geschaffenen Kommission für Grundbesitz und Wohnungs¬
wesen eine dankenswerte Arbeit auf dem Gebiete der Kleinwohnungssrage
geleistet, ob allerdings der Antrag des Gemeindekollegiums auf vollem Aus¬
bau des Dachgeschosses als Kleinwohnungshilfe vom Standpunkte der Volks¬
hygiene zu billigen sein wird, mag dahingestellt bleiben. In Hannover hat
sich das Kriegsfürsorgeamt sür Wohnungswesen der Kleinwohnungsfrage an¬
genommen. Frankfurt a. M, Duisburg, Magdeburg usw. haben teils beratend,
teils handelnd Stellung zu den kommenden Schwierigkeiten genommen. Immer«
hin kann es sich in allen diesen Fällen nur um Beihilfen handeln, die viel
zu gering sind, um eine allgemeine Wandlung zu schaffen, oder auch
nur anzubahnen. Hier können nur gemeinsame und durchgreifende Ma߬
nahmen helfen! Optimisten blicken nun voller Vertrauen auf das kommende
preußische Wohnungsgesetz. Bekanntlich ist seine Erledigung bis nach dem Kriege
verschoben worden. Die Verhandlungen befanden sich bei dem Kriegsausbruche
noch im Stadium der Kommissionsberatung, die wichtige Frage des Bau¬
verbotes an nicht völlig regulierten Straßen bildete noch immer neben anderen
Meinungsverschiedenheiten ein starkes Hemmnis für eine Einigung der beraten¬
den Parteien. Die Parteien waren nun zwar bereit, eine Einigung herbeizu¬
führen, die Regierung nahm aber von der Weiternerfolgung des Gesetzent¬
wurfes aus sachlichen Gründen Abstand. Die durch den Kriegszustand hervor-


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[0126] Die kommende Wohnungsnot Die Großgemeinden beginnen zwar bereits die Frage des Kleinwohnungs¬ baues in den Bereich ihrer Kriegsfürsorge aufzunehmen. So hat zum Bei¬ spiel der Groß-Berliner Verein für Kleinwohnungswesen, dessen zweiter Jahres¬ bericht im Juni dieses Jahres herausgegeben wurde, sich mit der allgemeinen Ten¬ denz zur Einschränkung der Wohnungsansprüche in dankenswerter Weise beschäftigt. Die Bemühungen des Vereins führten zu der Schaffung eines Kriegswohnungsnach¬ weises sür Bedürftige und einer Rundfrage an die Baugenossenschaften zwecks Feststellung ihrer Leistungsfähigkeit. Außerdem hat der Schutzverband für deutschen Grundbesitz eine Eingabe an das Herrenhaus und das preußische Abgeordnetenhaus gerichtet, die Staatshilfe geg>n die durch die Bodenspekulation entstandene Kleinwohnungsnot fordert. Die Stadt Leipzig hat während des Krieges das Projekt des bekannten Fachmannes auf dem Gebiet des Kleinbauwesens, Geheimrat Muthesius, betreffend die Schaffnung von insgesamt 727 Häusern mit 1418 Klein- und Mittelwohmmgen im November 1914 angenommen. Unter der Garantie des Staates hat die Landesversicherungsanstalt Bremen ein Darlehen von 300 000 Mark zum Zweck des Kleinwohnungsbaues ausgeworfen. Die Unternehmungen, denen ein Darlehen gewährt wird, sind verpflichtet, in erster Linie Familien mit mehr als 4 Kindern zu berücksichtigen. Nürnberg gewährte ein Darlehn von 200 000 Mark. Lichtenberg befaßt sich entgegenkommend mit dem Plan der Einfamilienhaus-Siedlung. Der Ban von 37 Häusern zu einem Mietpreis von 600, 676, 775 bis 375 Mark ist hier vorgesehen und bereits so gut wie bewilligt. München hat in seiner für die Zeit des Krieges geschaffenen Kommission für Grundbesitz und Wohnungs¬ wesen eine dankenswerte Arbeit auf dem Gebiete der Kleinwohnungssrage geleistet, ob allerdings der Antrag des Gemeindekollegiums auf vollem Aus¬ bau des Dachgeschosses als Kleinwohnungshilfe vom Standpunkte der Volks¬ hygiene zu billigen sein wird, mag dahingestellt bleiben. In Hannover hat sich das Kriegsfürsorgeamt sür Wohnungswesen der Kleinwohnungsfrage an¬ genommen. Frankfurt a. M, Duisburg, Magdeburg usw. haben teils beratend, teils handelnd Stellung zu den kommenden Schwierigkeiten genommen. Immer« hin kann es sich in allen diesen Fällen nur um Beihilfen handeln, die viel zu gering sind, um eine allgemeine Wandlung zu schaffen, oder auch nur anzubahnen. Hier können nur gemeinsame und durchgreifende Ma߬ nahmen helfen! Optimisten blicken nun voller Vertrauen auf das kommende preußische Wohnungsgesetz. Bekanntlich ist seine Erledigung bis nach dem Kriege verschoben worden. Die Verhandlungen befanden sich bei dem Kriegsausbruche noch im Stadium der Kommissionsberatung, die wichtige Frage des Bau¬ verbotes an nicht völlig regulierten Straßen bildete noch immer neben anderen Meinungsverschiedenheiten ein starkes Hemmnis für eine Einigung der beraten¬ den Parteien. Die Parteien waren nun zwar bereit, eine Einigung herbeizu¬ führen, die Regierung nahm aber von der Weiternerfolgung des Gesetzent¬ wurfes aus sachlichen Gründen Abstand. Die durch den Kriegszustand hervor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/126>, abgerufen am 22.07.2024.