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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Das jungtürkische Programm

für Bedarfsartikel der Internate, Seminarien, Waisenhäuser und Schulen zahl¬
reicher religiös-charitativer Vereinigungen, etwa der Jesuiten, Lazaristen, ?"röre8
<lo8 öcoles Lliretiennes. Kapuziner, Dominikaner, Karmeliter, Franziskaner usw.
Die Lehrer aller Schulen genießen Militärdienstfreiheit. Weiterhin könnte die
Regierung in der kostenfreien Überlassung von Staatsgrundstückeu, Steuer-
exemption des Lehrpersonals für einige Jahre usw. Entgegenkommen zeigen.

Damit ist aber seitens Deutschlands noch nicht genug getan. Die türkische
Regierung wird nämlich die Umformung ihrer bestehenden und die Errichtung
neuer Schulen energisch in die Hand nehmen müssen, und dabei kaun ihr
Deutschland hilfsbereit zur Seite stehen, indem es für die Beschaffung einiger
Lehrkräfte -- etwa für die deutsche Sprache und die Naturwissenschaften --
sorgt. Da die Inangriffnahme eines sofortigen umfangreichen Schulausbaues
durch fehlende Mittel erschwert wird, so liegt der Gedanke nahe, daß Deutsch¬
land zur Behebung dieser Schwierigkeit die Aufnahme einer Volksbildungs¬
auleihe fördert, die neben den Bagdadbahnanleihen als die einzige produktive
anzusehen wäre. Insbesondere die "ersten Kosten" wären mit ihrem Erlös
zu bestreiten, so für Schulgebäude, Schulutensilien, Unterrichtsmaterialien,
Laboratorien usw.

Zwecks Anbahnung eines lebhaften Handels mit der Türkei wird der Ge¬
danke einer Zentralauskunftsstelle und der einer Ausstellungszentrale für deutsche
Waren in Konstantinopel, sowie wandernde und schwimmende deutsche Aus¬
stellungen in der Türkei viel propagiert. Indem wir auf diese Institutionen
hinweisen, möchten wir zugleich die Begründung einer Zentralstelle für türkische
kommerzielle Angelegenheiten in Deutschland in Form einer türkischen Handels¬
kammer vorschlagen. Dieselbe hätte sich als Auskunsts- und Propagandastelle,
sowie durch Interessenvertretung zu betätigen und alle am Handel mit der
Türkei interessierten Kreise zu umschließen. Ihre Verbindung mit einer deutschen
Handelskammer in Konstantinopel kann so ausgestaltet werden, daß letztere als
die Schwesteranstalt der ersteren erscheint. Der Sitz einer türkischen Handels¬
kammer in Berlin wäre deshalb zweckmäßig, weil sie zwecks mündlicher Be¬
sprechungen, wie sie so oft im geschäftlichen Leben notwendig erscheinen, leicht,
schnell und bequem zugänglich sein würde. Ihre Auskunfterteilung soll sich außer
auf das regulär kaufmännische, auch auf die Jnvestitionsmöglichkeiten für weite
Kreise des Kapitalistenpublikums ausdehnen. Dies erscheint jetzt besonders an¬
gebracht, weil nach dem Kriege aller Wahrscheinlichkeit nach eine Gründer¬
tätigkeit einsetzen wird, die zu überwachen eine unumgängliche Notwendigkeit
ist. Eine rechtzeitige Aufklärung des Publikums und die Eindämmung der
ungesunden Gründertätigkeit wird die türkische Volkswirtschaft vor schweren Ge¬
fährdungen schützen. Gleichzeitig wird eine türkische Handelskammer die Möglich¬
keit haben, aussichtsreiche Unternehmungen zu fördern.

Die Frage nach der Hebung des Handels zwischen beiden Ländern deckt
sich schließlich mit derjenigen des Aufbaus der Kapitalinvestitionen. Beide be-


Das jungtürkische Programm

für Bedarfsartikel der Internate, Seminarien, Waisenhäuser und Schulen zahl¬
reicher religiös-charitativer Vereinigungen, etwa der Jesuiten, Lazaristen, ?"röre8
<lo8 öcoles Lliretiennes. Kapuziner, Dominikaner, Karmeliter, Franziskaner usw.
Die Lehrer aller Schulen genießen Militärdienstfreiheit. Weiterhin könnte die
Regierung in der kostenfreien Überlassung von Staatsgrundstückeu, Steuer-
exemption des Lehrpersonals für einige Jahre usw. Entgegenkommen zeigen.

Damit ist aber seitens Deutschlands noch nicht genug getan. Die türkische
Regierung wird nämlich die Umformung ihrer bestehenden und die Errichtung
neuer Schulen energisch in die Hand nehmen müssen, und dabei kaun ihr
Deutschland hilfsbereit zur Seite stehen, indem es für die Beschaffung einiger
Lehrkräfte — etwa für die deutsche Sprache und die Naturwissenschaften —
sorgt. Da die Inangriffnahme eines sofortigen umfangreichen Schulausbaues
durch fehlende Mittel erschwert wird, so liegt der Gedanke nahe, daß Deutsch¬
land zur Behebung dieser Schwierigkeit die Aufnahme einer Volksbildungs¬
auleihe fördert, die neben den Bagdadbahnanleihen als die einzige produktive
anzusehen wäre. Insbesondere die „ersten Kosten" wären mit ihrem Erlös
zu bestreiten, so für Schulgebäude, Schulutensilien, Unterrichtsmaterialien,
Laboratorien usw.

Zwecks Anbahnung eines lebhaften Handels mit der Türkei wird der Ge¬
danke einer Zentralauskunftsstelle und der einer Ausstellungszentrale für deutsche
Waren in Konstantinopel, sowie wandernde und schwimmende deutsche Aus¬
stellungen in der Türkei viel propagiert. Indem wir auf diese Institutionen
hinweisen, möchten wir zugleich die Begründung einer Zentralstelle für türkische
kommerzielle Angelegenheiten in Deutschland in Form einer türkischen Handels¬
kammer vorschlagen. Dieselbe hätte sich als Auskunsts- und Propagandastelle,
sowie durch Interessenvertretung zu betätigen und alle am Handel mit der
Türkei interessierten Kreise zu umschließen. Ihre Verbindung mit einer deutschen
Handelskammer in Konstantinopel kann so ausgestaltet werden, daß letztere als
die Schwesteranstalt der ersteren erscheint. Der Sitz einer türkischen Handels¬
kammer in Berlin wäre deshalb zweckmäßig, weil sie zwecks mündlicher Be¬
sprechungen, wie sie so oft im geschäftlichen Leben notwendig erscheinen, leicht,
schnell und bequem zugänglich sein würde. Ihre Auskunfterteilung soll sich außer
auf das regulär kaufmännische, auch auf die Jnvestitionsmöglichkeiten für weite
Kreise des Kapitalistenpublikums ausdehnen. Dies erscheint jetzt besonders an¬
gebracht, weil nach dem Kriege aller Wahrscheinlichkeit nach eine Gründer¬
tätigkeit einsetzen wird, die zu überwachen eine unumgängliche Notwendigkeit
ist. Eine rechtzeitige Aufklärung des Publikums und die Eindämmung der
ungesunden Gründertätigkeit wird die türkische Volkswirtschaft vor schweren Ge¬
fährdungen schützen. Gleichzeitig wird eine türkische Handelskammer die Möglich¬
keit haben, aussichtsreiche Unternehmungen zu fördern.

Die Frage nach der Hebung des Handels zwischen beiden Ländern deckt
sich schließlich mit derjenigen des Aufbaus der Kapitalinvestitionen. Beide be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/111>, abgerufen am 24.08.2024.