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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Wie unsere vorfahren Besitz ergriffen

nach drei Himmelsrichtungen hin, stark zu sein, auf der vierten beschränkte sich
ihr Muß auf den Schattenfall. Eine Bestimmung des alten bayerischen Gesetzes,
ganz einzig in ihrer Art, sagt darüber: wer seinen Zaun erneuern und dabei
sein Gut vergrößern will, der möge mit einem Spaten nach allen Seiten werfen
und dann soweit vorrücken; nur gegen Norden soll der Zaun nicht weiter gerückt
werden, als des Mannes Schatten fiel, -- eine Äußerung, die das uralte
religiöse Empfinden des Heidentums von der traurigen und schauerlichen
Mitternachtseite offenbart.

Bei dem schon mehrfach erwähnten Werfen kam natürlich sehr viel darauf
an, daß einer Gewandtheit und Übung darin besaß. Vor allem warfen dabei
unsere Vorfahren mit ihren Waffen. So schleuderte Kaiser Otto von der
Nordspitze Jütlands, wo sich die Wasser der Nord- und Ostsee miteinander
vermählen, seinen Speer ins schäumende Meer, um, nachdem er das Land
errungen, auch davon Besitz zu ergreifen, soweit er konnte. Der Speerwurf
über das Wasser war ein häufig geübter Brauch, besonders auch am Rhein, und
auf der Insel Rügen war er so "gang und gäbe", daß man dort schließlich
ein ganz bestimmtes Maß dafür festsetzte: der Weite dreier Meereswellen wurde
ein Speerwurf gleich erachtet. Noch früher aber bediente man sich, um Grenzen
zu marken, der älteren Vorzeitwaffen. Da warf man mit der Axt und mit
dem Hammer. Die Mythen unseres Volkes erzählen vom Hammer Thors, an
dessen Wurf heute noch viele denkwürdige Stätten im Norden: die Stadt
Hammerfest in Norwegen, Hämmeren und Hammershuus auf Bornhorm und die
seltsamen Donnerkeile am Ostseestrande erinnern. Wo der Hammer niederfiel,
da blieb er liegen; vielfach grub er sich sogar ein. So wurde der Hammer
(ursprünglich ein Stein) zum Grundstein, und es geschieht in Erinnerung an
jene weit zurückliegende Zeit, daß wir heute auf den Grundstein des neuen
Hauses, das wir bauen, drei feierliche Schläge mit dem Hammer tun. In
Wahrheit schlagen wir dabei mit dem Hammer auf den Hammer; wir hämmern
ihn ein, und es ist nun das allerseltsamste, daß man früher auch drei harte
Steine (Hämmer) unter den Grundstein legte. Noch Karl Martell mag den
Streithammer geführt haben, sein Name deutet auf einen "Meister Hämmerlein";
sein Enkel Karl der Große nicht mehr. Im Nibelungenliede wird auch von
Jung Siegfried gerühmt, daß er "den Hammer wohl schwingen kunnt". Er
schuf sich mit dem Hammer sein blankes Schwert; mit der alten die neue
Waffe. So wandelt sich die Zeit. . . .

Im Laufe der Jahrhunderte verblaßte die Erinnerung an diese ehrwürdige"
Symbole, und man warf schließlich, um Grenzen und Rechte zu bestimmen
und dadurch Besitz zu ergreifen, mit allen möglichen, zum Teil lächerlichen
Dingen und auf lächerliche Weise. So bestimmten die Fischer an der Schlei
durch den Wurf des Steuernagels an das Ufer, wie weit ihr Recht ging, die Netze
zum Trocknen aufzuhängen, und die Inter warfen mit ihrem Honiglöffel,
wobei sie die wunderlichsten Kapriolen machten. Alte Rechtsbestimmungen aus


Wie unsere vorfahren Besitz ergriffen

nach drei Himmelsrichtungen hin, stark zu sein, auf der vierten beschränkte sich
ihr Muß auf den Schattenfall. Eine Bestimmung des alten bayerischen Gesetzes,
ganz einzig in ihrer Art, sagt darüber: wer seinen Zaun erneuern und dabei
sein Gut vergrößern will, der möge mit einem Spaten nach allen Seiten werfen
und dann soweit vorrücken; nur gegen Norden soll der Zaun nicht weiter gerückt
werden, als des Mannes Schatten fiel, — eine Äußerung, die das uralte
religiöse Empfinden des Heidentums von der traurigen und schauerlichen
Mitternachtseite offenbart.

Bei dem schon mehrfach erwähnten Werfen kam natürlich sehr viel darauf
an, daß einer Gewandtheit und Übung darin besaß. Vor allem warfen dabei
unsere Vorfahren mit ihren Waffen. So schleuderte Kaiser Otto von der
Nordspitze Jütlands, wo sich die Wasser der Nord- und Ostsee miteinander
vermählen, seinen Speer ins schäumende Meer, um, nachdem er das Land
errungen, auch davon Besitz zu ergreifen, soweit er konnte. Der Speerwurf
über das Wasser war ein häufig geübter Brauch, besonders auch am Rhein, und
auf der Insel Rügen war er so „gang und gäbe", daß man dort schließlich
ein ganz bestimmtes Maß dafür festsetzte: der Weite dreier Meereswellen wurde
ein Speerwurf gleich erachtet. Noch früher aber bediente man sich, um Grenzen
zu marken, der älteren Vorzeitwaffen. Da warf man mit der Axt und mit
dem Hammer. Die Mythen unseres Volkes erzählen vom Hammer Thors, an
dessen Wurf heute noch viele denkwürdige Stätten im Norden: die Stadt
Hammerfest in Norwegen, Hämmeren und Hammershuus auf Bornhorm und die
seltsamen Donnerkeile am Ostseestrande erinnern. Wo der Hammer niederfiel,
da blieb er liegen; vielfach grub er sich sogar ein. So wurde der Hammer
(ursprünglich ein Stein) zum Grundstein, und es geschieht in Erinnerung an
jene weit zurückliegende Zeit, daß wir heute auf den Grundstein des neuen
Hauses, das wir bauen, drei feierliche Schläge mit dem Hammer tun. In
Wahrheit schlagen wir dabei mit dem Hammer auf den Hammer; wir hämmern
ihn ein, und es ist nun das allerseltsamste, daß man früher auch drei harte
Steine (Hämmer) unter den Grundstein legte. Noch Karl Martell mag den
Streithammer geführt haben, sein Name deutet auf einen „Meister Hämmerlein";
sein Enkel Karl der Große nicht mehr. Im Nibelungenliede wird auch von
Jung Siegfried gerühmt, daß er „den Hammer wohl schwingen kunnt". Er
schuf sich mit dem Hammer sein blankes Schwert; mit der alten die neue
Waffe. So wandelt sich die Zeit. . . .

Im Laufe der Jahrhunderte verblaßte die Erinnerung an diese ehrwürdige«
Symbole, und man warf schließlich, um Grenzen und Rechte zu bestimmen
und dadurch Besitz zu ergreifen, mit allen möglichen, zum Teil lächerlichen
Dingen und auf lächerliche Weise. So bestimmten die Fischer an der Schlei
durch den Wurf des Steuernagels an das Ufer, wie weit ihr Recht ging, die Netze
zum Trocknen aufzuhängen, und die Inter warfen mit ihrem Honiglöffel,
wobei sie die wunderlichsten Kapriolen machten. Alte Rechtsbestimmungen aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/94>, abgerufen am 22.07.2024.