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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Die Judonfrage nach dem Kriege

unsere Juden gehören heute durchaus den mittleren und höheren Schichten an
mit einem starken Drange, weiter emporzusteigen. Damit sind sie dem stärkeren
Menschenverbrauch dieser Volksschichten ausgesetzt, ohne daß ihnen durch auf¬
steigende Existenzen neue Kräfte zuströmten. Dazu kommt, daß ihnen mit der
Zunahme von Wohlstand und Bildung der Wille zu nationaler Sonderexistenz
schwindet; Mischheiraten, Übertritte und mehr noch christliche Kindererziehung
vermindern dauernd ihre Zahl, und vielleicht sind sie sogar von der europäischen
Rassenpest stärker angesteckt als das übrige Volk. So kommt es, daß ihre Volks¬
vermehrung heute hinter der allgemeinen Volksvermehrung zurückbleibt, während
sie ihr früher überlegen war. Dieses Sinken der jüdischen Volksvermehrung
ist ein fortschreitender und wahrscheinlich unaufhaltsamer Prozeß, und er wird
allmählich zu einem absoluten Rückgang der jüdischen Bevölkerung und schließlich
zum Untergehen der Juden oder ihrem Aufgehen im übrigen Volke führen.
Ist dies auch ein Ausblick auf Jahrhunderte, so wird doch die Spannung mit
allen ihren Begleiterscheinungen schon lange vorher, vielleicht in ein oder zwei
Generationen geschwunden sein. Alles unter der Voraussetzung, daß das
westliche Judentum sich selbst überlassen bleibt.

Es bestünde deshalb überhaupt keine Veranlassung, der Judenfrage gerade
in diesem kritischen Augenblick Beachtung zu schenken, wenn nicht hinter dem
K niege eine neue und weit ernstere Judenfrage auftauchte. In unserem östlichen
Nachbarlande wohnen über fünf Millionen Juden, eben jene Juden, von denen
der zionistische Volkskalender erzählte. Sie sind auf wenige Landesteile
beschränkt, in denen sie einen erheblichen Bruchteil der Bevölkerung ausmachen.
Sie sind von der völkerbeglückenden Lehre des Neumalthusianismus noch unberührt.
Sie leben zum großen Teil in den kümmerlichsten Verhältnissen, in ihren Erwerbs¬
möglichkeiten durch eine harte Gesetzgebung beschränkt und durch ein brutales
Verwaltungssystem, zu dessen Einrichtungen der Pogrom gehört. Freilich kann
man diesem System wohl Menschlichkeit und Gerechtigkeit aber doch nicht
durchaus Verstand und Weitblick absprechen, denn es verfolgt das klare Ziel,
eine Entwicklung der Judenfrage, wie sie in den westlichen Ländern eingetreten
ist, zu verhindern. In einem kulturarmen Lande, dem ein breiter Mittelstand
fehlt, und in dem die besten Kräfte des Volkes noch in einem durchaus gesättigten
bäuerlichen Proletariat gebunden sind, würden die Juden nach einer Emanzipation
nur zu leicht im Wirtschaftsleben und bald auch im politischen Leben die Führung
an sich reißen. Unsere Heerführer haben dieser jüdischen Masse im Namen der
verbündeten Regierungen in offiziellen Proklamationen Freiheit und Gleich¬
berechtigung versprochen, und wir werden dieses Versprechen nach einem sieg¬
reichen Kriege einlösen. Es ist nicht schwer, sich die Folgen für unseren künftigen
östlichen Nachbarstaat auszumalen. Zunächst werden die Juden hauptsächlich
auf den Gebieten vordringen, auf denen sie sich schon jetzt beendigen, und dabei
die Städte, in denen sie bis jetzt festgehalten sind, verlassen. Sie werden sich
als Zwischenhändler, Gastwirte, Agenten, über das flache Land verbreiten und


Die Judonfrage nach dem Kriege

unsere Juden gehören heute durchaus den mittleren und höheren Schichten an
mit einem starken Drange, weiter emporzusteigen. Damit sind sie dem stärkeren
Menschenverbrauch dieser Volksschichten ausgesetzt, ohne daß ihnen durch auf¬
steigende Existenzen neue Kräfte zuströmten. Dazu kommt, daß ihnen mit der
Zunahme von Wohlstand und Bildung der Wille zu nationaler Sonderexistenz
schwindet; Mischheiraten, Übertritte und mehr noch christliche Kindererziehung
vermindern dauernd ihre Zahl, und vielleicht sind sie sogar von der europäischen
Rassenpest stärker angesteckt als das übrige Volk. So kommt es, daß ihre Volks¬
vermehrung heute hinter der allgemeinen Volksvermehrung zurückbleibt, während
sie ihr früher überlegen war. Dieses Sinken der jüdischen Volksvermehrung
ist ein fortschreitender und wahrscheinlich unaufhaltsamer Prozeß, und er wird
allmählich zu einem absoluten Rückgang der jüdischen Bevölkerung und schließlich
zum Untergehen der Juden oder ihrem Aufgehen im übrigen Volke führen.
Ist dies auch ein Ausblick auf Jahrhunderte, so wird doch die Spannung mit
allen ihren Begleiterscheinungen schon lange vorher, vielleicht in ein oder zwei
Generationen geschwunden sein. Alles unter der Voraussetzung, daß das
westliche Judentum sich selbst überlassen bleibt.

Es bestünde deshalb überhaupt keine Veranlassung, der Judenfrage gerade
in diesem kritischen Augenblick Beachtung zu schenken, wenn nicht hinter dem
K niege eine neue und weit ernstere Judenfrage auftauchte. In unserem östlichen
Nachbarlande wohnen über fünf Millionen Juden, eben jene Juden, von denen
der zionistische Volkskalender erzählte. Sie sind auf wenige Landesteile
beschränkt, in denen sie einen erheblichen Bruchteil der Bevölkerung ausmachen.
Sie sind von der völkerbeglückenden Lehre des Neumalthusianismus noch unberührt.
Sie leben zum großen Teil in den kümmerlichsten Verhältnissen, in ihren Erwerbs¬
möglichkeiten durch eine harte Gesetzgebung beschränkt und durch ein brutales
Verwaltungssystem, zu dessen Einrichtungen der Pogrom gehört. Freilich kann
man diesem System wohl Menschlichkeit und Gerechtigkeit aber doch nicht
durchaus Verstand und Weitblick absprechen, denn es verfolgt das klare Ziel,
eine Entwicklung der Judenfrage, wie sie in den westlichen Ländern eingetreten
ist, zu verhindern. In einem kulturarmen Lande, dem ein breiter Mittelstand
fehlt, und in dem die besten Kräfte des Volkes noch in einem durchaus gesättigten
bäuerlichen Proletariat gebunden sind, würden die Juden nach einer Emanzipation
nur zu leicht im Wirtschaftsleben und bald auch im politischen Leben die Führung
an sich reißen. Unsere Heerführer haben dieser jüdischen Masse im Namen der
verbündeten Regierungen in offiziellen Proklamationen Freiheit und Gleich¬
berechtigung versprochen, und wir werden dieses Versprechen nach einem sieg¬
reichen Kriege einlösen. Es ist nicht schwer, sich die Folgen für unseren künftigen
östlichen Nachbarstaat auszumalen. Zunächst werden die Juden hauptsächlich
auf den Gebieten vordringen, auf denen sie sich schon jetzt beendigen, und dabei
die Städte, in denen sie bis jetzt festgehalten sind, verlassen. Sie werden sich
als Zwischenhändler, Gastwirte, Agenten, über das flache Land verbreiten und


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[0416] Die Judonfrage nach dem Kriege unsere Juden gehören heute durchaus den mittleren und höheren Schichten an mit einem starken Drange, weiter emporzusteigen. Damit sind sie dem stärkeren Menschenverbrauch dieser Volksschichten ausgesetzt, ohne daß ihnen durch auf¬ steigende Existenzen neue Kräfte zuströmten. Dazu kommt, daß ihnen mit der Zunahme von Wohlstand und Bildung der Wille zu nationaler Sonderexistenz schwindet; Mischheiraten, Übertritte und mehr noch christliche Kindererziehung vermindern dauernd ihre Zahl, und vielleicht sind sie sogar von der europäischen Rassenpest stärker angesteckt als das übrige Volk. So kommt es, daß ihre Volks¬ vermehrung heute hinter der allgemeinen Volksvermehrung zurückbleibt, während sie ihr früher überlegen war. Dieses Sinken der jüdischen Volksvermehrung ist ein fortschreitender und wahrscheinlich unaufhaltsamer Prozeß, und er wird allmählich zu einem absoluten Rückgang der jüdischen Bevölkerung und schließlich zum Untergehen der Juden oder ihrem Aufgehen im übrigen Volke führen. Ist dies auch ein Ausblick auf Jahrhunderte, so wird doch die Spannung mit allen ihren Begleiterscheinungen schon lange vorher, vielleicht in ein oder zwei Generationen geschwunden sein. Alles unter der Voraussetzung, daß das westliche Judentum sich selbst überlassen bleibt. Es bestünde deshalb überhaupt keine Veranlassung, der Judenfrage gerade in diesem kritischen Augenblick Beachtung zu schenken, wenn nicht hinter dem K niege eine neue und weit ernstere Judenfrage auftauchte. In unserem östlichen Nachbarlande wohnen über fünf Millionen Juden, eben jene Juden, von denen der zionistische Volkskalender erzählte. Sie sind auf wenige Landesteile beschränkt, in denen sie einen erheblichen Bruchteil der Bevölkerung ausmachen. Sie sind von der völkerbeglückenden Lehre des Neumalthusianismus noch unberührt. Sie leben zum großen Teil in den kümmerlichsten Verhältnissen, in ihren Erwerbs¬ möglichkeiten durch eine harte Gesetzgebung beschränkt und durch ein brutales Verwaltungssystem, zu dessen Einrichtungen der Pogrom gehört. Freilich kann man diesem System wohl Menschlichkeit und Gerechtigkeit aber doch nicht durchaus Verstand und Weitblick absprechen, denn es verfolgt das klare Ziel, eine Entwicklung der Judenfrage, wie sie in den westlichen Ländern eingetreten ist, zu verhindern. In einem kulturarmen Lande, dem ein breiter Mittelstand fehlt, und in dem die besten Kräfte des Volkes noch in einem durchaus gesättigten bäuerlichen Proletariat gebunden sind, würden die Juden nach einer Emanzipation nur zu leicht im Wirtschaftsleben und bald auch im politischen Leben die Führung an sich reißen. Unsere Heerführer haben dieser jüdischen Masse im Namen der verbündeten Regierungen in offiziellen Proklamationen Freiheit und Gleich¬ berechtigung versprochen, und wir werden dieses Versprechen nach einem sieg¬ reichen Kriege einlösen. Es ist nicht schwer, sich die Folgen für unseren künftigen östlichen Nachbarstaat auszumalen. Zunächst werden die Juden hauptsächlich auf den Gebieten vordringen, auf denen sie sich schon jetzt beendigen, und dabei die Städte, in denen sie bis jetzt festgehalten sind, verlassen. Sie werden sich als Zwischenhändler, Gastwirte, Agenten, über das flache Land verbreiten und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/416>, abgerufen am 25.08.2024.