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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Englische ZVeltpolitik und lveltverkehrsfragen vor dem Kriege

Zukunft gleichsam automatisch einen englischen nach dem Norden auslösen. Der
erste Sieg Englands über Rußland war das 1907 geschlossene russisch-englische
Abkommen, das die Unverletzlichkeit und Selbständigkeit des Persischen Reiches
gewährleistet. England schuf sich damit wie bereits in Afghanistan einen
"Pufferstaat", der allzu lüsterne russische Angriffe zunächst zurückhält. Freilich
machte trotz alledem die russische Besetzung der nordwestlichen Provinzen Perstcns
sowie der russische Bahnbau nach Täbris weitere Fortschritte. England antwortete
sofort mit einem Gegenstoß, 'indem sich bereits 1909 eine englische Gesellschaft
in Südwestpersien das alleinige Ausbeuterecht der sehr bedeutenden Ölfelder
sicherte und darin Anfang 1914 durch die englische Regierung mit einem Betrag
von 44 Millionen Mark unterstützt wurde. Selbst in dem für England
günstigsten Falle einer völligen Zertrümmerung der Türkei, die ihm auf den beiden
ersten Zugangswegen unbedingt die Alleinherrschaft sichern müßte, würde die
Gegnerschaft Englands feinem jetzigen Verbündeten Rußland gegenüber von
neuem entflammen. Die immer noch schwebenden persischen Probleme werden
weiter zu einer Entscheidung drängen.

Englands Stellung im Indischen Ozean ist somit bis jetzt unantastbar.
Alle weiteren Erörterungen aber würden in das Reich der Hypothese führen,
ehe nicht eine Entscheidung der türkischen Waffen in Kaukasien und Ägypten
gefallen ist.

Stiller Ozean. Er allein scheint noch den englischen Weltbeherr¬
schungsplänen zu trotzen. Zwar liegen auch hier bereits starke Stützpunkte
englischer Macht in Kanada, Hongkong, Australien und zahlreichen Inseln, ab^er
die ungeheuere Breite des Ozeans ermöglicht nur schwer eine enge Verknüpfung.
Die Vereinigten Staaten von Amerika und Japan erscheinen hier als künftige
Gegner einer weitumfassenden englischen Weltpolitik. Wie im Atlantischen Ozean
ist der Panamakanal auch der Kernpunkt der künftigen pazifischen Verkehrs¬
politik. Hier laufen die Fäden der Schiffahrtslinien zusammen; seinem Schutze
von pazifischer Seite haben die nächstliegenden Inseln zu dienen. Aber nur die
zu Ecuador gehörigen Galapcijosinseln kommen als Vorpostenstellung in Betracht,
und diese stehen bereits unter amerikanischem Einfluß. Wie weit die englische
Politik in die pazifischen Verhältnisse eingreifen wird, ist heute schwer zu sagen.
Irgend welche Anzeichen sind bisher nirgends deutlich zu erkennen gewesen und
werden möglicherweise erst mit der Eröffnung der regelmäßigen Pauamaschiff-
fahrt in Erscheinung treten; es sei denn, daß man das englisch-japanische Bündnis,
das freilich angesichts der gegensätzlichen Stellung beider Mächte in Ostasien
nicht überschätzt werden darf, als ein erstes Wirken englisch-pazifischer Politik
ansehen will. Wenn es auch zunächst nur als Einschüchterung Rußlands in
seinem Streben nach Osten anzusprechen ist -- und diese Ansicht ist trotz des
Tsingtauraubes aufrecht zu erhalten --, so hat es doch durch den mehr und
mehr hervortretenden schroffen Gegensatz Japan--Vereinigte Staaten eine neue
Bedeutung. Immerhin muß man berücksichtigen, daß bei der Breite des Stillen


Englische ZVeltpolitik und lveltverkehrsfragen vor dem Kriege

Zukunft gleichsam automatisch einen englischen nach dem Norden auslösen. Der
erste Sieg Englands über Rußland war das 1907 geschlossene russisch-englische
Abkommen, das die Unverletzlichkeit und Selbständigkeit des Persischen Reiches
gewährleistet. England schuf sich damit wie bereits in Afghanistan einen
„Pufferstaat", der allzu lüsterne russische Angriffe zunächst zurückhält. Freilich
machte trotz alledem die russische Besetzung der nordwestlichen Provinzen Perstcns
sowie der russische Bahnbau nach Täbris weitere Fortschritte. England antwortete
sofort mit einem Gegenstoß, 'indem sich bereits 1909 eine englische Gesellschaft
in Südwestpersien das alleinige Ausbeuterecht der sehr bedeutenden Ölfelder
sicherte und darin Anfang 1914 durch die englische Regierung mit einem Betrag
von 44 Millionen Mark unterstützt wurde. Selbst in dem für England
günstigsten Falle einer völligen Zertrümmerung der Türkei, die ihm auf den beiden
ersten Zugangswegen unbedingt die Alleinherrschaft sichern müßte, würde die
Gegnerschaft Englands feinem jetzigen Verbündeten Rußland gegenüber von
neuem entflammen. Die immer noch schwebenden persischen Probleme werden
weiter zu einer Entscheidung drängen.

Englands Stellung im Indischen Ozean ist somit bis jetzt unantastbar.
Alle weiteren Erörterungen aber würden in das Reich der Hypothese führen,
ehe nicht eine Entscheidung der türkischen Waffen in Kaukasien und Ägypten
gefallen ist.

Stiller Ozean. Er allein scheint noch den englischen Weltbeherr¬
schungsplänen zu trotzen. Zwar liegen auch hier bereits starke Stützpunkte
englischer Macht in Kanada, Hongkong, Australien und zahlreichen Inseln, ab^er
die ungeheuere Breite des Ozeans ermöglicht nur schwer eine enge Verknüpfung.
Die Vereinigten Staaten von Amerika und Japan erscheinen hier als künftige
Gegner einer weitumfassenden englischen Weltpolitik. Wie im Atlantischen Ozean
ist der Panamakanal auch der Kernpunkt der künftigen pazifischen Verkehrs¬
politik. Hier laufen die Fäden der Schiffahrtslinien zusammen; seinem Schutze
von pazifischer Seite haben die nächstliegenden Inseln zu dienen. Aber nur die
zu Ecuador gehörigen Galapcijosinseln kommen als Vorpostenstellung in Betracht,
und diese stehen bereits unter amerikanischem Einfluß. Wie weit die englische
Politik in die pazifischen Verhältnisse eingreifen wird, ist heute schwer zu sagen.
Irgend welche Anzeichen sind bisher nirgends deutlich zu erkennen gewesen und
werden möglicherweise erst mit der Eröffnung der regelmäßigen Pauamaschiff-
fahrt in Erscheinung treten; es sei denn, daß man das englisch-japanische Bündnis,
das freilich angesichts der gegensätzlichen Stellung beider Mächte in Ostasien
nicht überschätzt werden darf, als ein erstes Wirken englisch-pazifischer Politik
ansehen will. Wenn es auch zunächst nur als Einschüchterung Rußlands in
seinem Streben nach Osten anzusprechen ist — und diese Ansicht ist trotz des
Tsingtauraubes aufrecht zu erhalten —, so hat es doch durch den mehr und
mehr hervortretenden schroffen Gegensatz Japan—Vereinigte Staaten eine neue
Bedeutung. Immerhin muß man berücksichtigen, daß bei der Breite des Stillen


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[0342] Englische ZVeltpolitik und lveltverkehrsfragen vor dem Kriege Zukunft gleichsam automatisch einen englischen nach dem Norden auslösen. Der erste Sieg Englands über Rußland war das 1907 geschlossene russisch-englische Abkommen, das die Unverletzlichkeit und Selbständigkeit des Persischen Reiches gewährleistet. England schuf sich damit wie bereits in Afghanistan einen „Pufferstaat", der allzu lüsterne russische Angriffe zunächst zurückhält. Freilich machte trotz alledem die russische Besetzung der nordwestlichen Provinzen Perstcns sowie der russische Bahnbau nach Täbris weitere Fortschritte. England antwortete sofort mit einem Gegenstoß, 'indem sich bereits 1909 eine englische Gesellschaft in Südwestpersien das alleinige Ausbeuterecht der sehr bedeutenden Ölfelder sicherte und darin Anfang 1914 durch die englische Regierung mit einem Betrag von 44 Millionen Mark unterstützt wurde. Selbst in dem für England günstigsten Falle einer völligen Zertrümmerung der Türkei, die ihm auf den beiden ersten Zugangswegen unbedingt die Alleinherrschaft sichern müßte, würde die Gegnerschaft Englands feinem jetzigen Verbündeten Rußland gegenüber von neuem entflammen. Die immer noch schwebenden persischen Probleme werden weiter zu einer Entscheidung drängen. Englands Stellung im Indischen Ozean ist somit bis jetzt unantastbar. Alle weiteren Erörterungen aber würden in das Reich der Hypothese führen, ehe nicht eine Entscheidung der türkischen Waffen in Kaukasien und Ägypten gefallen ist. Stiller Ozean. Er allein scheint noch den englischen Weltbeherr¬ schungsplänen zu trotzen. Zwar liegen auch hier bereits starke Stützpunkte englischer Macht in Kanada, Hongkong, Australien und zahlreichen Inseln, ab^er die ungeheuere Breite des Ozeans ermöglicht nur schwer eine enge Verknüpfung. Die Vereinigten Staaten von Amerika und Japan erscheinen hier als künftige Gegner einer weitumfassenden englischen Weltpolitik. Wie im Atlantischen Ozean ist der Panamakanal auch der Kernpunkt der künftigen pazifischen Verkehrs¬ politik. Hier laufen die Fäden der Schiffahrtslinien zusammen; seinem Schutze von pazifischer Seite haben die nächstliegenden Inseln zu dienen. Aber nur die zu Ecuador gehörigen Galapcijosinseln kommen als Vorpostenstellung in Betracht, und diese stehen bereits unter amerikanischem Einfluß. Wie weit die englische Politik in die pazifischen Verhältnisse eingreifen wird, ist heute schwer zu sagen. Irgend welche Anzeichen sind bisher nirgends deutlich zu erkennen gewesen und werden möglicherweise erst mit der Eröffnung der regelmäßigen Pauamaschiff- fahrt in Erscheinung treten; es sei denn, daß man das englisch-japanische Bündnis, das freilich angesichts der gegensätzlichen Stellung beider Mächte in Ostasien nicht überschätzt werden darf, als ein erstes Wirken englisch-pazifischer Politik ansehen will. Wenn es auch zunächst nur als Einschüchterung Rußlands in seinem Streben nach Osten anzusprechen ist — und diese Ansicht ist trotz des Tsingtauraubes aufrecht zu erhalten —, so hat es doch durch den mehr und mehr hervortretenden schroffen Gegensatz Japan—Vereinigte Staaten eine neue Bedeutung. Immerhin muß man berücksichtigen, daß bei der Breite des Stillen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/342>, abgerufen am 23.07.2024.