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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Englische Iveltvolitik und ZVeltoerkehrsfragen vor dein Kriege

nennen! solange England seine zielbewußte imperialistische Politik, die eine
alleinige Beherrschung des Mittelnreeres in sich schließt, aufrecht erhalten kann,
so lange werden alle französischen Machtgelüste nicht in Erfüllung gehen: noch
viel weniger alle italienischen. Zwar würde vermutlich bei günstigem Ausgang
England ein starkes Italien als Gegengewicht gegen die Mittelmeermacht
Frankreich nicht ungern sehen; aber man sollte sich doch in Rom keiner Täuschung
hingeben, daß diese Machtunterstützung auch nur einen einzigen Schritt weiter
ginge, als es den Interessen Englands zusagt. Ein Groß-Jtalien im Mittel¬
meer mit starker Stellung im Balkan, Nordafrika oder gar Kleinasien findet
genau so gut Englands kräftigsten Widerstand wie eine Mittelmeermacht
Frankreich.

Jndischer Ozean. Wie das Mittelmeer ist auch die Seezufahrt zum
Indischen Ozean britisch. Der Suezkanal und das Note Meer find völlig in
Englands Hand: Ägypten, Aden, die Insel Perim, Sokotra. Der Indische Ozean
aber ist ein britischer Ozean wie kein zweiter. Weder Frankreich in Madagaskar
und den Inseln, noch Deutschland mit Ostafrika -- von Portugal, Italien und
Holland ist ganz zu schweigen -- vermögen auch nur im geringsten dieser
Weltmachtstellung Englands im Indischen Ozean sich ebenbürtig an die Seite
zu stellen. Die nichtbritischen Besitzungen an den Küsten dieses Ozeans sind
nur unerhebliche, strategisch und politisch völlig belanglose Unterbrechungen
englischer Küstenumgürtung.

Aber es bleibt beachtenswert, daß England jeder Gebietsänderung oder
-erweiterung an den Küsten dieses britischen "Jndiameerreiches" (Kjellen) und
ihrer Hinterländer energisch entgegentritt. Im Indischen Ozean soll eben ein
zweiter, unantastbarer Mittelpunkt des britischen Weltreiches erstehen, wie der
nordatlantische Ozean mit seinen britischen Gestaden Englands und Kanadas
als der erste angesehen wird.

Daher mußte folgerichtig das Ziel jeder imperialistischen Politik sein:
Beherrschung der europäischen Zugänge zum indischen Machtbereich. Drei von
der Natur vorgezeichnete Richtungen weisen die Wege zum indisch-britischen
Orient: der Suezkanal mit dem Noten Meer, dann Syrien, Mesopotamien und der
Persische Golf, endlich von Norden her die kaspisch-turanische senke durch
Persien. Jede Macht, die an einer dieser drei Zugangsstellen den Toren des
britisch-indischen Reiches sich nähert, gefährdet bei der Bedeutung Indiens für
Englands Volkswirtschaft England selbst auf das empfindlichste. Der Schutz der
indischen Zufahrtsstraßen ist dauernd die Sorge der englischen Politik. Wenn
England daher im gegenwärtigen Kriege mit immerhin starken Kräften dem
türkischen Vordringen sowohl in Ägypten als auch in Mesopotamien entgegen¬
tritt, so beweist das die hohe Bedeutung, die England diesen beiden Wegen beimißt.

Der am meisten unter englischem Einfluß stehende Weg ist der über Suez,
der einzige, kürzeste Seeweg; er ist zugleich für die Verbindung Englands mit
Indien der wichtigste. Eine Lahmlegung des britischen Handels in Indien


Englische Iveltvolitik und ZVeltoerkehrsfragen vor dein Kriege

nennen! solange England seine zielbewußte imperialistische Politik, die eine
alleinige Beherrschung des Mittelnreeres in sich schließt, aufrecht erhalten kann,
so lange werden alle französischen Machtgelüste nicht in Erfüllung gehen: noch
viel weniger alle italienischen. Zwar würde vermutlich bei günstigem Ausgang
England ein starkes Italien als Gegengewicht gegen die Mittelmeermacht
Frankreich nicht ungern sehen; aber man sollte sich doch in Rom keiner Täuschung
hingeben, daß diese Machtunterstützung auch nur einen einzigen Schritt weiter
ginge, als es den Interessen Englands zusagt. Ein Groß-Jtalien im Mittel¬
meer mit starker Stellung im Balkan, Nordafrika oder gar Kleinasien findet
genau so gut Englands kräftigsten Widerstand wie eine Mittelmeermacht
Frankreich.

Jndischer Ozean. Wie das Mittelmeer ist auch die Seezufahrt zum
Indischen Ozean britisch. Der Suezkanal und das Note Meer find völlig in
Englands Hand: Ägypten, Aden, die Insel Perim, Sokotra. Der Indische Ozean
aber ist ein britischer Ozean wie kein zweiter. Weder Frankreich in Madagaskar
und den Inseln, noch Deutschland mit Ostafrika — von Portugal, Italien und
Holland ist ganz zu schweigen — vermögen auch nur im geringsten dieser
Weltmachtstellung Englands im Indischen Ozean sich ebenbürtig an die Seite
zu stellen. Die nichtbritischen Besitzungen an den Küsten dieses Ozeans sind
nur unerhebliche, strategisch und politisch völlig belanglose Unterbrechungen
englischer Küstenumgürtung.

Aber es bleibt beachtenswert, daß England jeder Gebietsänderung oder
-erweiterung an den Küsten dieses britischen „Jndiameerreiches" (Kjellen) und
ihrer Hinterländer energisch entgegentritt. Im Indischen Ozean soll eben ein
zweiter, unantastbarer Mittelpunkt des britischen Weltreiches erstehen, wie der
nordatlantische Ozean mit seinen britischen Gestaden Englands und Kanadas
als der erste angesehen wird.

Daher mußte folgerichtig das Ziel jeder imperialistischen Politik sein:
Beherrschung der europäischen Zugänge zum indischen Machtbereich. Drei von
der Natur vorgezeichnete Richtungen weisen die Wege zum indisch-britischen
Orient: der Suezkanal mit dem Noten Meer, dann Syrien, Mesopotamien und der
Persische Golf, endlich von Norden her die kaspisch-turanische senke durch
Persien. Jede Macht, die an einer dieser drei Zugangsstellen den Toren des
britisch-indischen Reiches sich nähert, gefährdet bei der Bedeutung Indiens für
Englands Volkswirtschaft England selbst auf das empfindlichste. Der Schutz der
indischen Zufahrtsstraßen ist dauernd die Sorge der englischen Politik. Wenn
England daher im gegenwärtigen Kriege mit immerhin starken Kräften dem
türkischen Vordringen sowohl in Ägypten als auch in Mesopotamien entgegen¬
tritt, so beweist das die hohe Bedeutung, die England diesen beiden Wegen beimißt.

Der am meisten unter englischem Einfluß stehende Weg ist der über Suez,
der einzige, kürzeste Seeweg; er ist zugleich für die Verbindung Englands mit
Indien der wichtigste. Eine Lahmlegung des britischen Handels in Indien


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[0340] Englische Iveltvolitik und ZVeltoerkehrsfragen vor dein Kriege nennen! solange England seine zielbewußte imperialistische Politik, die eine alleinige Beherrschung des Mittelnreeres in sich schließt, aufrecht erhalten kann, so lange werden alle französischen Machtgelüste nicht in Erfüllung gehen: noch viel weniger alle italienischen. Zwar würde vermutlich bei günstigem Ausgang England ein starkes Italien als Gegengewicht gegen die Mittelmeermacht Frankreich nicht ungern sehen; aber man sollte sich doch in Rom keiner Täuschung hingeben, daß diese Machtunterstützung auch nur einen einzigen Schritt weiter ginge, als es den Interessen Englands zusagt. Ein Groß-Jtalien im Mittel¬ meer mit starker Stellung im Balkan, Nordafrika oder gar Kleinasien findet genau so gut Englands kräftigsten Widerstand wie eine Mittelmeermacht Frankreich. Jndischer Ozean. Wie das Mittelmeer ist auch die Seezufahrt zum Indischen Ozean britisch. Der Suezkanal und das Note Meer find völlig in Englands Hand: Ägypten, Aden, die Insel Perim, Sokotra. Der Indische Ozean aber ist ein britischer Ozean wie kein zweiter. Weder Frankreich in Madagaskar und den Inseln, noch Deutschland mit Ostafrika — von Portugal, Italien und Holland ist ganz zu schweigen — vermögen auch nur im geringsten dieser Weltmachtstellung Englands im Indischen Ozean sich ebenbürtig an die Seite zu stellen. Die nichtbritischen Besitzungen an den Küsten dieses Ozeans sind nur unerhebliche, strategisch und politisch völlig belanglose Unterbrechungen englischer Küstenumgürtung. Aber es bleibt beachtenswert, daß England jeder Gebietsänderung oder -erweiterung an den Küsten dieses britischen „Jndiameerreiches" (Kjellen) und ihrer Hinterländer energisch entgegentritt. Im Indischen Ozean soll eben ein zweiter, unantastbarer Mittelpunkt des britischen Weltreiches erstehen, wie der nordatlantische Ozean mit seinen britischen Gestaden Englands und Kanadas als der erste angesehen wird. Daher mußte folgerichtig das Ziel jeder imperialistischen Politik sein: Beherrschung der europäischen Zugänge zum indischen Machtbereich. Drei von der Natur vorgezeichnete Richtungen weisen die Wege zum indisch-britischen Orient: der Suezkanal mit dem Noten Meer, dann Syrien, Mesopotamien und der Persische Golf, endlich von Norden her die kaspisch-turanische senke durch Persien. Jede Macht, die an einer dieser drei Zugangsstellen den Toren des britisch-indischen Reiches sich nähert, gefährdet bei der Bedeutung Indiens für Englands Volkswirtschaft England selbst auf das empfindlichste. Der Schutz der indischen Zufahrtsstraßen ist dauernd die Sorge der englischen Politik. Wenn England daher im gegenwärtigen Kriege mit immerhin starken Kräften dem türkischen Vordringen sowohl in Ägypten als auch in Mesopotamien entgegen¬ tritt, so beweist das die hohe Bedeutung, die England diesen beiden Wegen beimißt. Der am meisten unter englischem Einfluß stehende Weg ist der über Suez, der einzige, kürzeste Seeweg; er ist zugleich für die Verbindung Englands mit Indien der wichtigste. Eine Lahmlegung des britischen Handels in Indien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/340>, abgerufen am 23.07.2024.