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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Englische lveltpolitik und lveltverkehrsfragcn vor dem Kriege

Nicht wesentlich anders liegen die Verhältnisse in Brasilien, wenn auch
hier zunächst die enge Verbrüderung noch nicht so offensichtlichen Ausdruck
gefunden hat. Aber bereits heute ist Brasilien finanziell stark von England
abhängig. Daß daher die englische Politik im gegebenen Augenblick auch hier
Mittel und Wege finden wird, ihrem Ziel entgegenzustreben, bedarf bei ihrer
Zähigkeit und Ausdauer keines Zweifels. Auch der gelegentlich der Erörterung
der Austeilung portugiesischen Kolonialbesitzes aufgetauchte Plan, Madeira
möglichst in englische Hände zu bringen, ist angesichts der günstigen Vorpostcn-
stellung der Insel vor der Straße von Gibraltar keineswegs in das Reich der
Phantasie zu verweisen. --

Englands Stellung im Mittelmeer ist zu bekannt und zu oft erörtert
worden, als daß eingehend davon gesprochen werden müßte. In Gibraltar
zweigt die indisch-ostasiatisch-australische Linie ab. Auch hier waltet scheinbar
das Bestreben ob, Stützpunkte in möglichst gleichmäßig beherrschender Ver¬
teilung zu erlangen. Bei der Wichtigkeit dieser Linie für die englischen Interessen
scheint hier das Netz noch engmaschiger, noch umschließender gezogen zu sein
als auf den' atlantischen Straßen. Dort hat England nur mit wenigen Gro߬
staaten auf weitem Raum, hier mit vielen aufstrebenden Mittelmeerstaaten auf
engem Raum zu rechnen. Gibraltar, Malta, Ägypten. Zypern, vielleicht auch
künftig Kreta, stehen in einem durchaus gleichmäßigen Entfernungsverhältnis
M einander und sind dauernd Flottenstationen ersten Ranges. Freilich spielen
bei der überragenden strategischen Bedeutung Gibraltars und Maltas die
Entfernungen keine allzu wichtige Rolle.

Keine Mittelmeermacht wird bis jetzt -- ohne Rücksicht auf den Ausgang
des Krieges und die damit 'vermutlich auch besonders im östlichen Mittelmeer
eintretenden Machtverschiebungen -- England den Ruhm streitig machen wollen,
das Mittelmeer zu beherrschen; vor allem kann es nicht Frankreich, das freilich
den westlichen Teil mit Hilfe seiner nordafrikanischen Kolonien zu beherrschen
glaubt, in Wirklichkeit aber immer nur eine Mitteln-ermacht von Englands
Gnaden sein und selbst nach einen, für die Entente glücklichen Ende immer bleiben
wird. Der Verbrüderungshymnus französischer Minister vor mehr als einem
Jahr auf eine englisch-französische Mittelmeerpolitik kann von England nicht
ernst genommen werden, will.es sich nicht in das eigene Fleisch schneiden. Es
kann eine solche Mittelmeerverbrüderung so lange mitmachen, als es seine erste
Stellung im Mittelmeer dabei nicht verliert. Jeder allzu kühne Vorstoß der
französischen Mittelmeerpolitik muß in London notwendigerweise einen Gegenstoß
auslösen. Vor allem wir brauchen heute die Worte des Herrn Chautemps im
Juli 1914 (I) gelegentlich der Erörterung des französischen Marinebudgets im
Senat nicht tragisch zu nehmen, wenn er meinte, daß Frankreich sich "diese
Herrschaft über das Mittelmeer sichern müsse, koste es was es wolle, durch eine
entscheidende Überlegenheit über die vereinten Flotten Österreichs und Italiens".
Er hätte wohl besser getan, statt dessen seinen Bundesgenossen England zu


Englische lveltpolitik und lveltverkehrsfragcn vor dem Kriege

Nicht wesentlich anders liegen die Verhältnisse in Brasilien, wenn auch
hier zunächst die enge Verbrüderung noch nicht so offensichtlichen Ausdruck
gefunden hat. Aber bereits heute ist Brasilien finanziell stark von England
abhängig. Daß daher die englische Politik im gegebenen Augenblick auch hier
Mittel und Wege finden wird, ihrem Ziel entgegenzustreben, bedarf bei ihrer
Zähigkeit und Ausdauer keines Zweifels. Auch der gelegentlich der Erörterung
der Austeilung portugiesischen Kolonialbesitzes aufgetauchte Plan, Madeira
möglichst in englische Hände zu bringen, ist angesichts der günstigen Vorpostcn-
stellung der Insel vor der Straße von Gibraltar keineswegs in das Reich der
Phantasie zu verweisen. —

Englands Stellung im Mittelmeer ist zu bekannt und zu oft erörtert
worden, als daß eingehend davon gesprochen werden müßte. In Gibraltar
zweigt die indisch-ostasiatisch-australische Linie ab. Auch hier waltet scheinbar
das Bestreben ob, Stützpunkte in möglichst gleichmäßig beherrschender Ver¬
teilung zu erlangen. Bei der Wichtigkeit dieser Linie für die englischen Interessen
scheint hier das Netz noch engmaschiger, noch umschließender gezogen zu sein
als auf den' atlantischen Straßen. Dort hat England nur mit wenigen Gro߬
staaten auf weitem Raum, hier mit vielen aufstrebenden Mittelmeerstaaten auf
engem Raum zu rechnen. Gibraltar, Malta, Ägypten. Zypern, vielleicht auch
künftig Kreta, stehen in einem durchaus gleichmäßigen Entfernungsverhältnis
M einander und sind dauernd Flottenstationen ersten Ranges. Freilich spielen
bei der überragenden strategischen Bedeutung Gibraltars und Maltas die
Entfernungen keine allzu wichtige Rolle.

Keine Mittelmeermacht wird bis jetzt — ohne Rücksicht auf den Ausgang
des Krieges und die damit 'vermutlich auch besonders im östlichen Mittelmeer
eintretenden Machtverschiebungen — England den Ruhm streitig machen wollen,
das Mittelmeer zu beherrschen; vor allem kann es nicht Frankreich, das freilich
den westlichen Teil mit Hilfe seiner nordafrikanischen Kolonien zu beherrschen
glaubt, in Wirklichkeit aber immer nur eine Mitteln-ermacht von Englands
Gnaden sein und selbst nach einen, für die Entente glücklichen Ende immer bleiben
wird. Der Verbrüderungshymnus französischer Minister vor mehr als einem
Jahr auf eine englisch-französische Mittelmeerpolitik kann von England nicht
ernst genommen werden, will.es sich nicht in das eigene Fleisch schneiden. Es
kann eine solche Mittelmeerverbrüderung so lange mitmachen, als es seine erste
Stellung im Mittelmeer dabei nicht verliert. Jeder allzu kühne Vorstoß der
französischen Mittelmeerpolitik muß in London notwendigerweise einen Gegenstoß
auslösen. Vor allem wir brauchen heute die Worte des Herrn Chautemps im
Juli 1914 (I) gelegentlich der Erörterung des französischen Marinebudgets im
Senat nicht tragisch zu nehmen, wenn er meinte, daß Frankreich sich „diese
Herrschaft über das Mittelmeer sichern müsse, koste es was es wolle, durch eine
entscheidende Überlegenheit über die vereinten Flotten Österreichs und Italiens".
Er hätte wohl besser getan, statt dessen seinen Bundesgenossen England zu


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[0339] Englische lveltpolitik und lveltverkehrsfragcn vor dem Kriege Nicht wesentlich anders liegen die Verhältnisse in Brasilien, wenn auch hier zunächst die enge Verbrüderung noch nicht so offensichtlichen Ausdruck gefunden hat. Aber bereits heute ist Brasilien finanziell stark von England abhängig. Daß daher die englische Politik im gegebenen Augenblick auch hier Mittel und Wege finden wird, ihrem Ziel entgegenzustreben, bedarf bei ihrer Zähigkeit und Ausdauer keines Zweifels. Auch der gelegentlich der Erörterung der Austeilung portugiesischen Kolonialbesitzes aufgetauchte Plan, Madeira möglichst in englische Hände zu bringen, ist angesichts der günstigen Vorpostcn- stellung der Insel vor der Straße von Gibraltar keineswegs in das Reich der Phantasie zu verweisen. — Englands Stellung im Mittelmeer ist zu bekannt und zu oft erörtert worden, als daß eingehend davon gesprochen werden müßte. In Gibraltar zweigt die indisch-ostasiatisch-australische Linie ab. Auch hier waltet scheinbar das Bestreben ob, Stützpunkte in möglichst gleichmäßig beherrschender Ver¬ teilung zu erlangen. Bei der Wichtigkeit dieser Linie für die englischen Interessen scheint hier das Netz noch engmaschiger, noch umschließender gezogen zu sein als auf den' atlantischen Straßen. Dort hat England nur mit wenigen Gro߬ staaten auf weitem Raum, hier mit vielen aufstrebenden Mittelmeerstaaten auf engem Raum zu rechnen. Gibraltar, Malta, Ägypten. Zypern, vielleicht auch künftig Kreta, stehen in einem durchaus gleichmäßigen Entfernungsverhältnis M einander und sind dauernd Flottenstationen ersten Ranges. Freilich spielen bei der überragenden strategischen Bedeutung Gibraltars und Maltas die Entfernungen keine allzu wichtige Rolle. Keine Mittelmeermacht wird bis jetzt — ohne Rücksicht auf den Ausgang des Krieges und die damit 'vermutlich auch besonders im östlichen Mittelmeer eintretenden Machtverschiebungen — England den Ruhm streitig machen wollen, das Mittelmeer zu beherrschen; vor allem kann es nicht Frankreich, das freilich den westlichen Teil mit Hilfe seiner nordafrikanischen Kolonien zu beherrschen glaubt, in Wirklichkeit aber immer nur eine Mitteln-ermacht von Englands Gnaden sein und selbst nach einen, für die Entente glücklichen Ende immer bleiben wird. Der Verbrüderungshymnus französischer Minister vor mehr als einem Jahr auf eine englisch-französische Mittelmeerpolitik kann von England nicht ernst genommen werden, will.es sich nicht in das eigene Fleisch schneiden. Es kann eine solche Mittelmeerverbrüderung so lange mitmachen, als es seine erste Stellung im Mittelmeer dabei nicht verliert. Jeder allzu kühne Vorstoß der französischen Mittelmeerpolitik muß in London notwendigerweise einen Gegenstoß auslösen. Vor allem wir brauchen heute die Worte des Herrn Chautemps im Juli 1914 (I) gelegentlich der Erörterung des französischen Marinebudgets im Senat nicht tragisch zu nehmen, wenn er meinte, daß Frankreich sich „diese Herrschaft über das Mittelmeer sichern müsse, koste es was es wolle, durch eine entscheidende Überlegenheit über die vereinten Flotten Österreichs und Italiens". Er hätte wohl besser getan, statt dessen seinen Bundesgenossen England zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/339>, abgerufen am 23.07.2024.