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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Künstlerische Probleme des Krieges

Erzählungen und Berichten der Kämpfenden hier und da aufhorchen läßt: ein
neuer Stil der beobachtnngsgesättigten Sachlichkeit, ohne Pose, ohne Sentimen¬
talität, notgedrungen knapp, aber reich in seiner aufrichtigen Schmucklosigkeit.
Der Krieg ist eine viel zu ernste, viel zu heilige Sache, um sein Tatsächliches
gleich in einem Brei von aufdringlichen Gefühlen zu begraben. Die Schilderung
wird kurz, ja lakonisch, gewinnt aber an Anschaulichkeit und epischer Ein¬
dringlichkeit und dadurch an dokumentarischem Wert, wobei die alles
durchzitternde Empfindung ganz von selber fühlbar wird. Was nun die Kmist-
formen betrifft, so treten an erste Stelle die Novelle und die Skizze des Malers.
Die Novelle, die ihrer Natur nach äußerste Konzentration und stilistische Festigkeit,
Klarheit des Inhalts, und das außerordentliche Ereignis erfordert, wird, wenn
nicht alle Anzeichen täuschen, eine neue Blüte erleben. Aber nicht alle werden
durch sie vollbefriedigt werden: wo das eigene Gefühlsleben zu stark ist, um
durch das künstlerisch bewältigte Einzelgeschehnis befriedigt zu werden und der
Anknüpfung an sichtbares bedarf, wird die Skizze des Malers den Vorzug
erhalten. Leider haben viele Maler mit episodischen Greuelszenen zu wirken
gesucht: sehr mit Unrecht, da das bloß Schreckliche dem Daheimgebliebenen kaum
mehr als blasses Gruseln, dem aber, der es in Wirlichkeit miterleben mußte,
eine peinliche Erinnerung verursacht. Ruhigere Darstellungen dagegen können
ungeheuer viel geben: ein des Abends durch ein Dorf marschierender Trupp
Soldaten, ein zerstörtes Haus bei Regenwetter oder ein Generalstabszimmer bei
Lampenlicht, wie man sie von Ludw. Dettmann sehen konnte, vermitteln nicht
nur Einzelheiten des Krieges, sondern teilen auch viel und sehr wertvolles von
der Gesamtstimmung mit, während bombenwerfende Zeppeline oder Kreuzer
versenkende Unterseeboote über den bloßen Kuriositätenwert nicht hinauskommen.

Den Krieg in seiner Totalität zu geben, wird dagegen der bildenden Kunst
nicht möglich sein. Die Zeiten sind vorbei, in denen man von einem Hügel
herab das malerische Schauspiel der Schlacht betrachten konnte, und zudem ist für
uns heute die Schlacht nur eines der vielen Symptome des Krieges. Die vielen
anderen aber: Zerstörung von Ortschaften, Verwüstung der Muren, Not und
Herzeleid der Daheimgebliebenen, Angst, Schrecken und Wut der heimgesuchten
Bevölkerung, dieArbeit hinter derFront, die Lazarette usw. in eins zu fassen, dürfte
höchstens der Allegorie möglich fein. Für solche aber ist, wie man leicht an
dem schwachen Eindruck, den Böcklins oder Stücks hierhergehörige Bilder der
wirklichkeitsnahen Gegenwart machen, merken kann, die Zeit noch lange nicht
gekommen.

Anders steht es in der Literatur. Dabei ist die Eigentümlichkeit zu berück¬
sichtigen, daß der Krieg, wenigstens von deutscher Seite aus, als Volkskrieg
empfunden wird. Für das Drama, das trotz Grabbe, einen überragenden
Helden und deutlich erfaßbare Gegenspieler nicht entbehren kann, dürfte sich also
leine Gelegenheit bieten, höchstens mag der Krieg Milieu oder Motive hergeben,
abgesehen natürlich von Festspielen, von denen jedoch, nach den Proben, die


Künstlerische Probleme des Krieges

Erzählungen und Berichten der Kämpfenden hier und da aufhorchen läßt: ein
neuer Stil der beobachtnngsgesättigten Sachlichkeit, ohne Pose, ohne Sentimen¬
talität, notgedrungen knapp, aber reich in seiner aufrichtigen Schmucklosigkeit.
Der Krieg ist eine viel zu ernste, viel zu heilige Sache, um sein Tatsächliches
gleich in einem Brei von aufdringlichen Gefühlen zu begraben. Die Schilderung
wird kurz, ja lakonisch, gewinnt aber an Anschaulichkeit und epischer Ein¬
dringlichkeit und dadurch an dokumentarischem Wert, wobei die alles
durchzitternde Empfindung ganz von selber fühlbar wird. Was nun die Kmist-
formen betrifft, so treten an erste Stelle die Novelle und die Skizze des Malers.
Die Novelle, die ihrer Natur nach äußerste Konzentration und stilistische Festigkeit,
Klarheit des Inhalts, und das außerordentliche Ereignis erfordert, wird, wenn
nicht alle Anzeichen täuschen, eine neue Blüte erleben. Aber nicht alle werden
durch sie vollbefriedigt werden: wo das eigene Gefühlsleben zu stark ist, um
durch das künstlerisch bewältigte Einzelgeschehnis befriedigt zu werden und der
Anknüpfung an sichtbares bedarf, wird die Skizze des Malers den Vorzug
erhalten. Leider haben viele Maler mit episodischen Greuelszenen zu wirken
gesucht: sehr mit Unrecht, da das bloß Schreckliche dem Daheimgebliebenen kaum
mehr als blasses Gruseln, dem aber, der es in Wirlichkeit miterleben mußte,
eine peinliche Erinnerung verursacht. Ruhigere Darstellungen dagegen können
ungeheuer viel geben: ein des Abends durch ein Dorf marschierender Trupp
Soldaten, ein zerstörtes Haus bei Regenwetter oder ein Generalstabszimmer bei
Lampenlicht, wie man sie von Ludw. Dettmann sehen konnte, vermitteln nicht
nur Einzelheiten des Krieges, sondern teilen auch viel und sehr wertvolles von
der Gesamtstimmung mit, während bombenwerfende Zeppeline oder Kreuzer
versenkende Unterseeboote über den bloßen Kuriositätenwert nicht hinauskommen.

Den Krieg in seiner Totalität zu geben, wird dagegen der bildenden Kunst
nicht möglich sein. Die Zeiten sind vorbei, in denen man von einem Hügel
herab das malerische Schauspiel der Schlacht betrachten konnte, und zudem ist für
uns heute die Schlacht nur eines der vielen Symptome des Krieges. Die vielen
anderen aber: Zerstörung von Ortschaften, Verwüstung der Muren, Not und
Herzeleid der Daheimgebliebenen, Angst, Schrecken und Wut der heimgesuchten
Bevölkerung, dieArbeit hinter derFront, die Lazarette usw. in eins zu fassen, dürfte
höchstens der Allegorie möglich fein. Für solche aber ist, wie man leicht an
dem schwachen Eindruck, den Böcklins oder Stücks hierhergehörige Bilder der
wirklichkeitsnahen Gegenwart machen, merken kann, die Zeit noch lange nicht
gekommen.

Anders steht es in der Literatur. Dabei ist die Eigentümlichkeit zu berück¬
sichtigen, daß der Krieg, wenigstens von deutscher Seite aus, als Volkskrieg
empfunden wird. Für das Drama, das trotz Grabbe, einen überragenden
Helden und deutlich erfaßbare Gegenspieler nicht entbehren kann, dürfte sich also
leine Gelegenheit bieten, höchstens mag der Krieg Milieu oder Motive hergeben,
abgesehen natürlich von Festspielen, von denen jedoch, nach den Proben, die


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[0326] Künstlerische Probleme des Krieges Erzählungen und Berichten der Kämpfenden hier und da aufhorchen läßt: ein neuer Stil der beobachtnngsgesättigten Sachlichkeit, ohne Pose, ohne Sentimen¬ talität, notgedrungen knapp, aber reich in seiner aufrichtigen Schmucklosigkeit. Der Krieg ist eine viel zu ernste, viel zu heilige Sache, um sein Tatsächliches gleich in einem Brei von aufdringlichen Gefühlen zu begraben. Die Schilderung wird kurz, ja lakonisch, gewinnt aber an Anschaulichkeit und epischer Ein¬ dringlichkeit und dadurch an dokumentarischem Wert, wobei die alles durchzitternde Empfindung ganz von selber fühlbar wird. Was nun die Kmist- formen betrifft, so treten an erste Stelle die Novelle und die Skizze des Malers. Die Novelle, die ihrer Natur nach äußerste Konzentration und stilistische Festigkeit, Klarheit des Inhalts, und das außerordentliche Ereignis erfordert, wird, wenn nicht alle Anzeichen täuschen, eine neue Blüte erleben. Aber nicht alle werden durch sie vollbefriedigt werden: wo das eigene Gefühlsleben zu stark ist, um durch das künstlerisch bewältigte Einzelgeschehnis befriedigt zu werden und der Anknüpfung an sichtbares bedarf, wird die Skizze des Malers den Vorzug erhalten. Leider haben viele Maler mit episodischen Greuelszenen zu wirken gesucht: sehr mit Unrecht, da das bloß Schreckliche dem Daheimgebliebenen kaum mehr als blasses Gruseln, dem aber, der es in Wirlichkeit miterleben mußte, eine peinliche Erinnerung verursacht. Ruhigere Darstellungen dagegen können ungeheuer viel geben: ein des Abends durch ein Dorf marschierender Trupp Soldaten, ein zerstörtes Haus bei Regenwetter oder ein Generalstabszimmer bei Lampenlicht, wie man sie von Ludw. Dettmann sehen konnte, vermitteln nicht nur Einzelheiten des Krieges, sondern teilen auch viel und sehr wertvolles von der Gesamtstimmung mit, während bombenwerfende Zeppeline oder Kreuzer versenkende Unterseeboote über den bloßen Kuriositätenwert nicht hinauskommen. Den Krieg in seiner Totalität zu geben, wird dagegen der bildenden Kunst nicht möglich sein. Die Zeiten sind vorbei, in denen man von einem Hügel herab das malerische Schauspiel der Schlacht betrachten konnte, und zudem ist für uns heute die Schlacht nur eines der vielen Symptome des Krieges. Die vielen anderen aber: Zerstörung von Ortschaften, Verwüstung der Muren, Not und Herzeleid der Daheimgebliebenen, Angst, Schrecken und Wut der heimgesuchten Bevölkerung, dieArbeit hinter derFront, die Lazarette usw. in eins zu fassen, dürfte höchstens der Allegorie möglich fein. Für solche aber ist, wie man leicht an dem schwachen Eindruck, den Böcklins oder Stücks hierhergehörige Bilder der wirklichkeitsnahen Gegenwart machen, merken kann, die Zeit noch lange nicht gekommen. Anders steht es in der Literatur. Dabei ist die Eigentümlichkeit zu berück¬ sichtigen, daß der Krieg, wenigstens von deutscher Seite aus, als Volkskrieg empfunden wird. Für das Drama, das trotz Grabbe, einen überragenden Helden und deutlich erfaßbare Gegenspieler nicht entbehren kann, dürfte sich also leine Gelegenheit bieten, höchstens mag der Krieg Milieu oder Motive hergeben, abgesehen natürlich von Festspielen, von denen jedoch, nach den Proben, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/326>, abgerufen am 25.08.2024.