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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Italienische Stimmungen vor der Kriegserklärung an die Türkei

beachteten Artikel des Secolo vom 4. August, dessen Überschrift die Frage stellte:
"Was tun die Engländer?" Hier wird jede übelwollende Kritik an den
englischen Leistungen als oberflächlich und gegenstandslos verdammt und in
langatmigen Ausführungen nachzuweisen gesucht, daß doch England es sei, das
im ganzen Vierverband die größten Erfolge aufzuweisen habe. Seine geringere
Leistungsfähigkeit im Vergleich mit Deutschland wird mit dem in solchen
Debatten immer wiederkehrenden Argument begründet, daß Deutschland sich seit
Jahren auf den Krieg vorbereitete, während das friedliche Albion mit seinen
Rüstungen erst zu Beginn der Feindseligkeiten eingesetzt habe; daß es anderseits
nur selbstverständlich sei, wenn ein individualistisch demokratisch angelegtes Staats--
wesen von liberaler Färbung nicht in demselben Maße wie ein ganz auf
staatliche Organisation eingestelltes und die Freiheit des Individuums unter¬
drückendes Reich funktioniere. An dem endgültigen Gelingen sei aber nach den
bisherigen Ergebnissen nicht zu zweifeln. Daß die Zuversicht in Englands
Hilfe weniger Widerstandskraft haben muß, als es nach außen hin erscheint,
läßt sich daraus schließen, daß wie auf Verabredung das Thema von der
übrigen Presse weitergesponnen wird. Immer wieder füllen sich die Spalten
mit Schilderungen und Preisungen von England. Ein römisches Blatt breitet
an der Hand von statistischen Angaben die maßlosen Reichtümer des britischen
Imperiums aus, die seine Hilfsquellen als unerschöpflich erscheinen lassen. An einer
anderen Stelle wird geschildert, in welcher Weise Indien zu der Kriegsarbeit
beiträgt, seine Bodenschätze und seine Machtmittel in den Dienst der gemeinsamen
Sache stellt. Es ist, als wollte man die Phantasie der Italiener wie im Märchen
mit der Vorstellung von einem Wunderland erfüllen, das über alle Schätze
gebietet, und zugleich eine Verkörperung des guten Prinzips bedeutet, an dqs
man sich nur zu halten und ihm sich anzuvertrauen brauche, um das Glück auf
Erden zu finden. Im italienischen Volk gibt es Gemüter, die solchem Katechismus
zugänglich sind; an sie wendet sich diese Pressetaktik. Wie ängstlich man darauf
bedacht ist, einen derartigen Glauben nicht ins Wanken zu bringen, und nicht
den geringsten Zweifel an der unerschütterlichen Kraft Englands aufkommen zu
lasten, geht daraus hervor, daß der Avanti verrät, Bemerkungen, in denen er
sich offen über England aussprechen wollte, habe ihm die Zensur gestrichen.

Von englischer Seite setzt man alles daran, Italien entsprechend zu be¬
handeln und in guter Stimmung zu erhalten. So ist verfügt worden, daß in
Malta das Italienische als einzige Amtssprache eingeführt werden soll.
20 Sanitätsautomobile hat man Italien als Geschenk dargebracht. Als eine Gunst¬
bezeigung ging auch die Begrüßungsadresse, die zahlreiche Unterschriften hervor¬
ragender Persönlichkeiten aus Kreisen des Parlaments, der Aristokratie, des
Handels und der Wissenschaft trug, an die befreundete Nation. In höchst
geschickter Weise ist dieses Schriftstück angelegt und mit diplomatischem Raffinement
der italienischen Psyche angepaßt. Auf die liberalen Instinkte der Bevölkerung
sucht es einzuwirken, indem es die Art der deutschen Kriegführung bloßstellt


Italienische Stimmungen vor der Kriegserklärung an die Türkei

beachteten Artikel des Secolo vom 4. August, dessen Überschrift die Frage stellte:
„Was tun die Engländer?" Hier wird jede übelwollende Kritik an den
englischen Leistungen als oberflächlich und gegenstandslos verdammt und in
langatmigen Ausführungen nachzuweisen gesucht, daß doch England es sei, das
im ganzen Vierverband die größten Erfolge aufzuweisen habe. Seine geringere
Leistungsfähigkeit im Vergleich mit Deutschland wird mit dem in solchen
Debatten immer wiederkehrenden Argument begründet, daß Deutschland sich seit
Jahren auf den Krieg vorbereitete, während das friedliche Albion mit seinen
Rüstungen erst zu Beginn der Feindseligkeiten eingesetzt habe; daß es anderseits
nur selbstverständlich sei, wenn ein individualistisch demokratisch angelegtes Staats--
wesen von liberaler Färbung nicht in demselben Maße wie ein ganz auf
staatliche Organisation eingestelltes und die Freiheit des Individuums unter¬
drückendes Reich funktioniere. An dem endgültigen Gelingen sei aber nach den
bisherigen Ergebnissen nicht zu zweifeln. Daß die Zuversicht in Englands
Hilfe weniger Widerstandskraft haben muß, als es nach außen hin erscheint,
läßt sich daraus schließen, daß wie auf Verabredung das Thema von der
übrigen Presse weitergesponnen wird. Immer wieder füllen sich die Spalten
mit Schilderungen und Preisungen von England. Ein römisches Blatt breitet
an der Hand von statistischen Angaben die maßlosen Reichtümer des britischen
Imperiums aus, die seine Hilfsquellen als unerschöpflich erscheinen lassen. An einer
anderen Stelle wird geschildert, in welcher Weise Indien zu der Kriegsarbeit
beiträgt, seine Bodenschätze und seine Machtmittel in den Dienst der gemeinsamen
Sache stellt. Es ist, als wollte man die Phantasie der Italiener wie im Märchen
mit der Vorstellung von einem Wunderland erfüllen, das über alle Schätze
gebietet, und zugleich eine Verkörperung des guten Prinzips bedeutet, an dqs
man sich nur zu halten und ihm sich anzuvertrauen brauche, um das Glück auf
Erden zu finden. Im italienischen Volk gibt es Gemüter, die solchem Katechismus
zugänglich sind; an sie wendet sich diese Pressetaktik. Wie ängstlich man darauf
bedacht ist, einen derartigen Glauben nicht ins Wanken zu bringen, und nicht
den geringsten Zweifel an der unerschütterlichen Kraft Englands aufkommen zu
lasten, geht daraus hervor, daß der Avanti verrät, Bemerkungen, in denen er
sich offen über England aussprechen wollte, habe ihm die Zensur gestrichen.

Von englischer Seite setzt man alles daran, Italien entsprechend zu be¬
handeln und in guter Stimmung zu erhalten. So ist verfügt worden, daß in
Malta das Italienische als einzige Amtssprache eingeführt werden soll.
20 Sanitätsautomobile hat man Italien als Geschenk dargebracht. Als eine Gunst¬
bezeigung ging auch die Begrüßungsadresse, die zahlreiche Unterschriften hervor¬
ragender Persönlichkeiten aus Kreisen des Parlaments, der Aristokratie, des
Handels und der Wissenschaft trug, an die befreundete Nation. In höchst
geschickter Weise ist dieses Schriftstück angelegt und mit diplomatischem Raffinement
der italienischen Psyche angepaßt. Auf die liberalen Instinkte der Bevölkerung
sucht es einzuwirken, indem es die Art der deutschen Kriegführung bloßstellt


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[0320] Italienische Stimmungen vor der Kriegserklärung an die Türkei beachteten Artikel des Secolo vom 4. August, dessen Überschrift die Frage stellte: „Was tun die Engländer?" Hier wird jede übelwollende Kritik an den englischen Leistungen als oberflächlich und gegenstandslos verdammt und in langatmigen Ausführungen nachzuweisen gesucht, daß doch England es sei, das im ganzen Vierverband die größten Erfolge aufzuweisen habe. Seine geringere Leistungsfähigkeit im Vergleich mit Deutschland wird mit dem in solchen Debatten immer wiederkehrenden Argument begründet, daß Deutschland sich seit Jahren auf den Krieg vorbereitete, während das friedliche Albion mit seinen Rüstungen erst zu Beginn der Feindseligkeiten eingesetzt habe; daß es anderseits nur selbstverständlich sei, wenn ein individualistisch demokratisch angelegtes Staats-- wesen von liberaler Färbung nicht in demselben Maße wie ein ganz auf staatliche Organisation eingestelltes und die Freiheit des Individuums unter¬ drückendes Reich funktioniere. An dem endgültigen Gelingen sei aber nach den bisherigen Ergebnissen nicht zu zweifeln. Daß die Zuversicht in Englands Hilfe weniger Widerstandskraft haben muß, als es nach außen hin erscheint, läßt sich daraus schließen, daß wie auf Verabredung das Thema von der übrigen Presse weitergesponnen wird. Immer wieder füllen sich die Spalten mit Schilderungen und Preisungen von England. Ein römisches Blatt breitet an der Hand von statistischen Angaben die maßlosen Reichtümer des britischen Imperiums aus, die seine Hilfsquellen als unerschöpflich erscheinen lassen. An einer anderen Stelle wird geschildert, in welcher Weise Indien zu der Kriegsarbeit beiträgt, seine Bodenschätze und seine Machtmittel in den Dienst der gemeinsamen Sache stellt. Es ist, als wollte man die Phantasie der Italiener wie im Märchen mit der Vorstellung von einem Wunderland erfüllen, das über alle Schätze gebietet, und zugleich eine Verkörperung des guten Prinzips bedeutet, an dqs man sich nur zu halten und ihm sich anzuvertrauen brauche, um das Glück auf Erden zu finden. Im italienischen Volk gibt es Gemüter, die solchem Katechismus zugänglich sind; an sie wendet sich diese Pressetaktik. Wie ängstlich man darauf bedacht ist, einen derartigen Glauben nicht ins Wanken zu bringen, und nicht den geringsten Zweifel an der unerschütterlichen Kraft Englands aufkommen zu lasten, geht daraus hervor, daß der Avanti verrät, Bemerkungen, in denen er sich offen über England aussprechen wollte, habe ihm die Zensur gestrichen. Von englischer Seite setzt man alles daran, Italien entsprechend zu be¬ handeln und in guter Stimmung zu erhalten. So ist verfügt worden, daß in Malta das Italienische als einzige Amtssprache eingeführt werden soll. 20 Sanitätsautomobile hat man Italien als Geschenk dargebracht. Als eine Gunst¬ bezeigung ging auch die Begrüßungsadresse, die zahlreiche Unterschriften hervor¬ ragender Persönlichkeiten aus Kreisen des Parlaments, der Aristokratie, des Handels und der Wissenschaft trug, an die befreundete Nation. In höchst geschickter Weise ist dieses Schriftstück angelegt und mit diplomatischem Raffinement der italienischen Psyche angepaßt. Auf die liberalen Instinkte der Bevölkerung sucht es einzuwirken, indem es die Art der deutschen Kriegführung bloßstellt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/320>, abgerufen am 23.07.2024.