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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Skandinavien und der Krieg

Wir fragen also das große Rußland: ist in der Art, wie Finnland, die
Ukraina und Polen behandelt werden, das Nationalitätsprinzip anerkannt?
Nein. Wir fragen zugleich das starke Deutschland, wie es in dieser Beziehung
mit dem dänischen Schleswig und der Ostmark stehe. Auch hier heißt die Ant¬
wort: nein. Das polnische Volk konnte seinen Staat nicht aufrecht erhalten
und mußte daher untergehen, aber es konnte seine Sprache, seinen Boden und
seine Erinnerungen lieben, und daher wird es sicherlich dereinst wieder auf¬
erstehen. Das Judenvolk wurde aus seinem Lande verjagt, denn es kreuzigte
seine größte Mission auf Golgatha, aber es liebte die nie erloschenen Feuer¬
brände seines heimatlichen Herdes und nahm sie wärmend mit in die fernste
Diaspora, und daher kann das Volk mit seiner starken Familiensolidarität nie
sterben. Die russischen Judenverfolgungen sind einer der größten Schandflecke
der Menschheit, und die Nemesis der Weltgeschichte wird sie nicht vergessen.

Ein setnerNationalität sich bewußtes Volk ist ebensowenig durchJmpertalismus
von der Erde auszulöschen wie der Fixstern am Himmelsgewölbe durch die
dunkelste Wolke. Das Volk kann wohl bis zu äußerer Unkenntlichkeit nieder¬
getreten, gequält und in das Gewand fremder Kultur gekleidet werden, aber
sein Geist lebt unter dieser Hülle unverwandelt weiter. Der Schreiber dieser
Zeilen traf einmal mit einem deutschen Akademiker zusammen, der sich bitter
über den Undank der Polen gegen die deutsche Kulturarbeit in der Ostmark
beklagte. AIs Ausländer konnte ich seine Worte nicht bestretten, aber ich konnte
doch antworten, daß Vaterlandsliebe schließlich nicht nach Geld und Gut frage,
sondern nur nach ihrer eigenen Ewigkeit in dem nationalen Götterbilde, das
ebenso unsterblich ist wie das individuelle. Nicht für sein Hab und Gut kämpfte
Runebergs Soldat Stoll Nummer 12, nicht einmal für Haus und Hof, denn --
wie es in dem schönen Gedichte heißt -- "er wies auf den Weg am Hügel¬
rand: mein Heim auf diesem ich hab'". Er stritt aus dunkelm Instinkte für
die bodenlose nationale Tiefe in seinem einfachen, tapferen Gemüte.

In seiner Unterdrückung anderer Nationalitäten ist der Imperialismus
ein Versuch, das Unsterbliche zu töten. So empfindet es das skandinavische
Rechjsgefühl. Ein Volk ist ein Unendlichkeitswesen, das durch die Größe seines
Geistes zu allen möglichen Welteroberungen berechtigt ist. aber Geist ist Geist
und darf nicht auf Kosten eines schwächeren Staates zu roher physischer Kast
materialisiert werden. Die Maxime des Rechtes eines Volkes auf Welteroberung
ist die Ibsens: "so weit, wie meine Dichtung den Sinn setzt in Brand, so
weit liegt die Grenze für mein Vaterland". Die Eroberung soll auf dem
Wege freien, edlen Schaffens vor sich gehen, und keine Krämerweisheit wird
die Völker des Nordens davon überzeugen können, daß der brutale Kupferfuß
des Imperialismus ihr moralisches Recht auf eigenes freies und reiches Leben
Prinzipiell zertreten darf. Die skandinavischen Völker haben auch ihre Welt¬
erobererträume und denken nicht an ein Einstellen ihrer nationalen Ent¬
wicklung, sei es auf dem materiellen Weltmarkte, sei es auf dem geistigen,


Skandinavien und der Krieg

Wir fragen also das große Rußland: ist in der Art, wie Finnland, die
Ukraina und Polen behandelt werden, das Nationalitätsprinzip anerkannt?
Nein. Wir fragen zugleich das starke Deutschland, wie es in dieser Beziehung
mit dem dänischen Schleswig und der Ostmark stehe. Auch hier heißt die Ant¬
wort: nein. Das polnische Volk konnte seinen Staat nicht aufrecht erhalten
und mußte daher untergehen, aber es konnte seine Sprache, seinen Boden und
seine Erinnerungen lieben, und daher wird es sicherlich dereinst wieder auf¬
erstehen. Das Judenvolk wurde aus seinem Lande verjagt, denn es kreuzigte
seine größte Mission auf Golgatha, aber es liebte die nie erloschenen Feuer¬
brände seines heimatlichen Herdes und nahm sie wärmend mit in die fernste
Diaspora, und daher kann das Volk mit seiner starken Familiensolidarität nie
sterben. Die russischen Judenverfolgungen sind einer der größten Schandflecke
der Menschheit, und die Nemesis der Weltgeschichte wird sie nicht vergessen.

Ein setnerNationalität sich bewußtes Volk ist ebensowenig durchJmpertalismus
von der Erde auszulöschen wie der Fixstern am Himmelsgewölbe durch die
dunkelste Wolke. Das Volk kann wohl bis zu äußerer Unkenntlichkeit nieder¬
getreten, gequält und in das Gewand fremder Kultur gekleidet werden, aber
sein Geist lebt unter dieser Hülle unverwandelt weiter. Der Schreiber dieser
Zeilen traf einmal mit einem deutschen Akademiker zusammen, der sich bitter
über den Undank der Polen gegen die deutsche Kulturarbeit in der Ostmark
beklagte. AIs Ausländer konnte ich seine Worte nicht bestretten, aber ich konnte
doch antworten, daß Vaterlandsliebe schließlich nicht nach Geld und Gut frage,
sondern nur nach ihrer eigenen Ewigkeit in dem nationalen Götterbilde, das
ebenso unsterblich ist wie das individuelle. Nicht für sein Hab und Gut kämpfte
Runebergs Soldat Stoll Nummer 12, nicht einmal für Haus und Hof, denn —
wie es in dem schönen Gedichte heißt — „er wies auf den Weg am Hügel¬
rand: mein Heim auf diesem ich hab'". Er stritt aus dunkelm Instinkte für
die bodenlose nationale Tiefe in seinem einfachen, tapferen Gemüte.

In seiner Unterdrückung anderer Nationalitäten ist der Imperialismus
ein Versuch, das Unsterbliche zu töten. So empfindet es das skandinavische
Rechjsgefühl. Ein Volk ist ein Unendlichkeitswesen, das durch die Größe seines
Geistes zu allen möglichen Welteroberungen berechtigt ist. aber Geist ist Geist
und darf nicht auf Kosten eines schwächeren Staates zu roher physischer Kast
materialisiert werden. Die Maxime des Rechtes eines Volkes auf Welteroberung
ist die Ibsens: „so weit, wie meine Dichtung den Sinn setzt in Brand, so
weit liegt die Grenze für mein Vaterland". Die Eroberung soll auf dem
Wege freien, edlen Schaffens vor sich gehen, und keine Krämerweisheit wird
die Völker des Nordens davon überzeugen können, daß der brutale Kupferfuß
des Imperialismus ihr moralisches Recht auf eigenes freies und reiches Leben
Prinzipiell zertreten darf. Die skandinavischen Völker haben auch ihre Welt¬
erobererträume und denken nicht an ein Einstellen ihrer nationalen Ent¬
wicklung, sei es auf dem materiellen Weltmarkte, sei es auf dem geistigen,


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[0305] Skandinavien und der Krieg Wir fragen also das große Rußland: ist in der Art, wie Finnland, die Ukraina und Polen behandelt werden, das Nationalitätsprinzip anerkannt? Nein. Wir fragen zugleich das starke Deutschland, wie es in dieser Beziehung mit dem dänischen Schleswig und der Ostmark stehe. Auch hier heißt die Ant¬ wort: nein. Das polnische Volk konnte seinen Staat nicht aufrecht erhalten und mußte daher untergehen, aber es konnte seine Sprache, seinen Boden und seine Erinnerungen lieben, und daher wird es sicherlich dereinst wieder auf¬ erstehen. Das Judenvolk wurde aus seinem Lande verjagt, denn es kreuzigte seine größte Mission auf Golgatha, aber es liebte die nie erloschenen Feuer¬ brände seines heimatlichen Herdes und nahm sie wärmend mit in die fernste Diaspora, und daher kann das Volk mit seiner starken Familiensolidarität nie sterben. Die russischen Judenverfolgungen sind einer der größten Schandflecke der Menschheit, und die Nemesis der Weltgeschichte wird sie nicht vergessen. Ein setnerNationalität sich bewußtes Volk ist ebensowenig durchJmpertalismus von der Erde auszulöschen wie der Fixstern am Himmelsgewölbe durch die dunkelste Wolke. Das Volk kann wohl bis zu äußerer Unkenntlichkeit nieder¬ getreten, gequält und in das Gewand fremder Kultur gekleidet werden, aber sein Geist lebt unter dieser Hülle unverwandelt weiter. Der Schreiber dieser Zeilen traf einmal mit einem deutschen Akademiker zusammen, der sich bitter über den Undank der Polen gegen die deutsche Kulturarbeit in der Ostmark beklagte. AIs Ausländer konnte ich seine Worte nicht bestretten, aber ich konnte doch antworten, daß Vaterlandsliebe schließlich nicht nach Geld und Gut frage, sondern nur nach ihrer eigenen Ewigkeit in dem nationalen Götterbilde, das ebenso unsterblich ist wie das individuelle. Nicht für sein Hab und Gut kämpfte Runebergs Soldat Stoll Nummer 12, nicht einmal für Haus und Hof, denn — wie es in dem schönen Gedichte heißt — „er wies auf den Weg am Hügel¬ rand: mein Heim auf diesem ich hab'". Er stritt aus dunkelm Instinkte für die bodenlose nationale Tiefe in seinem einfachen, tapferen Gemüte. In seiner Unterdrückung anderer Nationalitäten ist der Imperialismus ein Versuch, das Unsterbliche zu töten. So empfindet es das skandinavische Rechjsgefühl. Ein Volk ist ein Unendlichkeitswesen, das durch die Größe seines Geistes zu allen möglichen Welteroberungen berechtigt ist. aber Geist ist Geist und darf nicht auf Kosten eines schwächeren Staates zu roher physischer Kast materialisiert werden. Die Maxime des Rechtes eines Volkes auf Welteroberung ist die Ibsens: „so weit, wie meine Dichtung den Sinn setzt in Brand, so weit liegt die Grenze für mein Vaterland". Die Eroberung soll auf dem Wege freien, edlen Schaffens vor sich gehen, und keine Krämerweisheit wird die Völker des Nordens davon überzeugen können, daß der brutale Kupferfuß des Imperialismus ihr moralisches Recht auf eigenes freies und reiches Leben Prinzipiell zertreten darf. Die skandinavischen Völker haben auch ihre Welt¬ erobererträume und denken nicht an ein Einstellen ihrer nationalen Ent¬ wicklung, sei es auf dem materiellen Weltmarkte, sei es auf dem geistigen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/305>, abgerufen am 23.07.2024.