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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der Dichterheld von Przemysl
Ich zahl' . . . eins, zwei... jaI Sie sind alle da!
Wie Blasebälge heben sich die Brüste.
Jungens, wie lang' war euch kein Liebchen nah,
Weich angeschmiegt, daß euer Mund sie küßte!
Traumengelein, entschwebt dem Himmelstor.
Für ein, zwei Stunden gibt es Ruhepause --
Im Sternland rasch den Großen Wagen vor:
Für ein, zwei Stunden bringet uns nach Hause.
Die heut wie Drachen stürmten durch den Raum,
Jetzt schlafen sie hier friedlich wie die Lämmer.
He, Leutnant Tschaaszahr lacht verliebt im Traum,
Der Schelm Pursche Wohl nach fremdem Wild im Dämmer.
Sie, Schwager Bogdan, war'n heut wieder frech!
Leicht kam es, daß Sie auf der Nase lagen.
Gegen vier Russen!--Haben Sie mal Pech,
Was würd' in Szobodko das Dirndl sagen?
Hier, Kamrad Szaboh war gewiß nicht dumm,
Er holte sich zwei russische Steppensöhne.
In Dobosch feilscht er jetzt am Jahrmarkt um
Ein Pfefferkuchenherz für seine Schöne.
Weinlese hält Freund Kowatsch, wie mich dünkt.
Die Zunge schnalzt, was guten Most bedeutet.
Vom Wirtshausschild in Buda baumelnd winkt
Der Russenschädel, den er jüngst erbeutet.
Noch an? dem Schlaf schreit Michael: "Zum Sturm!"
Geduld -- Man wird sehr bald uns dazu laden --
Schon donnert es aus unserm Mörserturm . . .
Haho! Es tagt! . . . Gut'n Morgen, Kameraden!

Das Gedicht gehört zu den anmutigsten, die der Krieg gezeitigt hat. Mit
geringsten Wortaufwand ist das Lager der ermüdeten Truppe gezeichnet, ihre
Tapferkeit geschildert und bürgerlicher Beruf und Charakter des einzelnen scharf
ausgeprägt. Und fiegeszuversichtlich klingt es aus.

Aber die zweite Belagerung von Przemysl durch die Russen drückte die
Stimmung der Soldaten recht bedenklich herab. Es bedürfte kräftiger Auf¬
munterung der Verzagenden, um ihre Niedergeschlagenheit zu bannen. Die
Bemühungen des Dichterhelden geben sich in dem folgenden Gedichte kund:

"Baume, laß dein Stöhnen ..."

(Baume ist die ungarische Wandlung des Vornamens Valentin. Tarogato -- gesprochen:
Tarrogatoh, mit dem Ton auf der ersten Silbe -- ist ein flötenartiges Blasinstrument,
das um die Wende vom siebzehnten zum achtzehnten Jahrhundert in Gebrauch kam.)
[Beginn Spaltensatz] [Spaltenumbruch] Baume, und bedenke:
Hier im sumpfigen Tale
Riefen gegen FeindeSränke
Rakoczi's Signale.
Damals wie jetzt eben
Zogen wir zum Streite,
Damals auch um Tod und Leben
Stand uns Gott zur Seite. [Ende Spaltensatz] Baume, laß dein Stöhnen!
Fasching ist ja wieder!
Horch! Vom Polenhügel tönen
Tarogato-Lieder.
Baume, Freund, bedenke, "
Daß hier uns Madjaren
Strahlend hell ein Leitstern lenke
Seit vielen hundert Jahren.

Der Dichterheld von Przemysl
Ich zahl' . . . eins, zwei... jaI Sie sind alle da!
Wie Blasebälge heben sich die Brüste.
Jungens, wie lang' war euch kein Liebchen nah,
Weich angeschmiegt, daß euer Mund sie küßte!
Traumengelein, entschwebt dem Himmelstor.
Für ein, zwei Stunden gibt es Ruhepause —
Im Sternland rasch den Großen Wagen vor:
Für ein, zwei Stunden bringet uns nach Hause.
Die heut wie Drachen stürmten durch den Raum,
Jetzt schlafen sie hier friedlich wie die Lämmer.
He, Leutnant Tschaaszahr lacht verliebt im Traum,
Der Schelm Pursche Wohl nach fremdem Wild im Dämmer.
Sie, Schwager Bogdan, war'n heut wieder frech!
Leicht kam es, daß Sie auf der Nase lagen.
Gegen vier Russen!--Haben Sie mal Pech,
Was würd' in Szobodko das Dirndl sagen?
Hier, Kamrad Szaboh war gewiß nicht dumm,
Er holte sich zwei russische Steppensöhne.
In Dobosch feilscht er jetzt am Jahrmarkt um
Ein Pfefferkuchenherz für seine Schöne.
Weinlese hält Freund Kowatsch, wie mich dünkt.
Die Zunge schnalzt, was guten Most bedeutet.
Vom Wirtshausschild in Buda baumelnd winkt
Der Russenschädel, den er jüngst erbeutet.
Noch an? dem Schlaf schreit Michael: „Zum Sturm!"
Geduld — Man wird sehr bald uns dazu laden —
Schon donnert es aus unserm Mörserturm . . .
Haho! Es tagt! . . . Gut'n Morgen, Kameraden!

Das Gedicht gehört zu den anmutigsten, die der Krieg gezeitigt hat. Mit
geringsten Wortaufwand ist das Lager der ermüdeten Truppe gezeichnet, ihre
Tapferkeit geschildert und bürgerlicher Beruf und Charakter des einzelnen scharf
ausgeprägt. Und fiegeszuversichtlich klingt es aus.

Aber die zweite Belagerung von Przemysl durch die Russen drückte die
Stimmung der Soldaten recht bedenklich herab. Es bedürfte kräftiger Auf¬
munterung der Verzagenden, um ihre Niedergeschlagenheit zu bannen. Die
Bemühungen des Dichterhelden geben sich in dem folgenden Gedichte kund:

„Baume, laß dein Stöhnen ..."

(Baume ist die ungarische Wandlung des Vornamens Valentin. Tarogato — gesprochen:
Tarrogatoh, mit dem Ton auf der ersten Silbe — ist ein flötenartiges Blasinstrument,
das um die Wende vom siebzehnten zum achtzehnten Jahrhundert in Gebrauch kam.)
[Beginn Spaltensatz] [Spaltenumbruch] Baume, und bedenke:
Hier im sumpfigen Tale
Riefen gegen FeindeSränke
Rakoczi's Signale.
Damals wie jetzt eben
Zogen wir zum Streite,
Damals auch um Tod und Leben
Stand uns Gott zur Seite. [Ende Spaltensatz] Baume, laß dein Stöhnen!
Fasching ist ja wieder!
Horch! Vom Polenhügel tönen
Tarogato-Lieder.
Baume, Freund, bedenke, "
Daß hier uns Madjaren
Strahlend hell ein Leitstern lenke
Seit vielen hundert Jahren.

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[0292] Der Dichterheld von Przemysl Ich zahl' . . . eins, zwei... jaI Sie sind alle da! Wie Blasebälge heben sich die Brüste. Jungens, wie lang' war euch kein Liebchen nah, Weich angeschmiegt, daß euer Mund sie küßte! Traumengelein, entschwebt dem Himmelstor. Für ein, zwei Stunden gibt es Ruhepause — Im Sternland rasch den Großen Wagen vor: Für ein, zwei Stunden bringet uns nach Hause. Die heut wie Drachen stürmten durch den Raum, Jetzt schlafen sie hier friedlich wie die Lämmer. He, Leutnant Tschaaszahr lacht verliebt im Traum, Der Schelm Pursche Wohl nach fremdem Wild im Dämmer. Sie, Schwager Bogdan, war'n heut wieder frech! Leicht kam es, daß Sie auf der Nase lagen. Gegen vier Russen!--Haben Sie mal Pech, Was würd' in Szobodko das Dirndl sagen? Hier, Kamrad Szaboh war gewiß nicht dumm, Er holte sich zwei russische Steppensöhne. In Dobosch feilscht er jetzt am Jahrmarkt um Ein Pfefferkuchenherz für seine Schöne. Weinlese hält Freund Kowatsch, wie mich dünkt. Die Zunge schnalzt, was guten Most bedeutet. Vom Wirtshausschild in Buda baumelnd winkt Der Russenschädel, den er jüngst erbeutet. Noch an? dem Schlaf schreit Michael: „Zum Sturm!" Geduld — Man wird sehr bald uns dazu laden — Schon donnert es aus unserm Mörserturm . . . Haho! Es tagt! . . . Gut'n Morgen, Kameraden! Das Gedicht gehört zu den anmutigsten, die der Krieg gezeitigt hat. Mit geringsten Wortaufwand ist das Lager der ermüdeten Truppe gezeichnet, ihre Tapferkeit geschildert und bürgerlicher Beruf und Charakter des einzelnen scharf ausgeprägt. Und fiegeszuversichtlich klingt es aus. Aber die zweite Belagerung von Przemysl durch die Russen drückte die Stimmung der Soldaten recht bedenklich herab. Es bedürfte kräftiger Auf¬ munterung der Verzagenden, um ihre Niedergeschlagenheit zu bannen. Die Bemühungen des Dichterhelden geben sich in dem folgenden Gedichte kund: „Baume, laß dein Stöhnen ..." (Baume ist die ungarische Wandlung des Vornamens Valentin. Tarogato — gesprochen: Tarrogatoh, mit dem Ton auf der ersten Silbe — ist ein flötenartiges Blasinstrument, das um die Wende vom siebzehnten zum achtzehnten Jahrhundert in Gebrauch kam.) Baume, und bedenke: Hier im sumpfigen Tale Riefen gegen FeindeSränke Rakoczi's Signale. Damals wie jetzt eben Zogen wir zum Streite, Damals auch um Tod und Leben Stand uns Gott zur Seite. Baume, laß dein Stöhnen! Fasching ist ja wieder! Horch! Vom Polenhügel tönen Tarogato-Lieder. Baume, Freund, bedenke, " Daß hier uns Madjaren Strahlend hell ein Leitstern lenke Seit vielen hundert Jahren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/292>, abgerufen am 23.07.2024.