Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Innenkämpfe Gioßbritanniens

empfunden wurde. Aber die alte, britische Arbeitsstruktur war stolz, gewisser¬
maßen doch würdig mit ihren schlichten, herben Linien der kuck ^elf, aer
I^hour ana ^anufacturs ^als aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts.
Der stärkeren Arbeitskraft schenkte der Wille, der Impuls der Nation Freiheit
und staatliche Berücksichtigung zugleich. Auch der stärkere Handarbeiter war im
Sinne dieser ^co der Geehrte, der Notwendige, also der Geschützte in seiner
Arbeit und in "fairer" Arbeitsentlohnung. Die älteren I^abour ^et8 verwarfen
in vielen ihrer Hauptzüge sogar den Sinn von Manchester, weil sie das Wesen,
den Kern einer starken, organisierten Einheits-, einer nationalen Kollektivarbeit
fassen wollten. Allmählich hat England ein gut Teil des einfachen National-
arbeitswillens verloren: der Cobdenismus hat Jahrzehnte nach Richard Cobdens
Tode erst richtig gesiegt. England hat die Natur seiner industriellen Produktion
erschreckend verändert: die alte, von ihm empirisch gefundene Präzisions-Jndustrie
ist zur insularen, einseitigen Massenproduktion geworden. Der Stand der
ungelernten Arbeiter hat so natürlich rapide steigen müssen. Diese ungelernten
Arbeiter und andere kleine, schwache "Karlos" will die modernste Arbeitsgesetzgebung
Englands vor allem behüten, schleppen und tragen, ohne die Nationalarbeit an
sich heben, bewußt tüchtiger machen zu wollen und zu können. D. Lloyd Georges
und Genossen greifen das englische Arbeitsproblem höchst oberflächlich an. Sie
wollen "Krautes" pflegen. Sie sollten statt dessen versuchen, nicht die kranken
"Kamas" zu verbinden, sondern die nationale Produktion selbst zur Stärkung,
Zur Harmonie zu führen. Mit dem Kriege haben sie diese Produktion jeden¬
falls zu einem groben Mißklang geleitet: Englands Handelsbilanz ist in den
Zehn ersten Kriegsmonaten um über sieben Milliarden Mark passiv geworden;
seine Zahlungsbilanz besitzt -- dank der grandiosen Pumpwirtschaft zugunsten der
Verbündeten -- ein Minus von fünf Milliarden Mark, Plus drei Milliarden
Mark für Lebensmittel und andere Einkäufe aus "fremden Händen".

Das von Lloyd Georges so geliebte soziale Heilproblem wird allgemach
für das Vereinigte Königreich unlösbar werden: eine Möglichkeit von
"fairen" Minimallöhnen, das Recht auf Arbeit für "alle fleißigen Hände" usw.
-~ alle diese guten, edlen Dinge sind nämlich wirklich nur da erreichbar,
wo starke, tüchtige Arbeitsnachftage, wo wahre, organisatorische Produktions¬
gesundheit besteht. Englands Handesbilanz ist aber schon lange vor dem
Kriege in den wichtigsten, veredelten Waren dauernd und als Ganzes auch
meistens logisch-fortschreitend geglitten -- geglitten -- geglitten. Das Aktivsaldo
von etwa 3000 bis 3600 Millionen Mark p. a. ballte sich in den Händen einer
dünnen Schicht. Die Arbeitsharmonie Englands war dahin -- schon vor dem
Kriege, als Lloyd Georges die Harmonie der Arbeitsentlohnung, in Nebensachen
wenigstens, einzuführen bestrebt war.

Mit den allein noch stärkeren manas unter den Industriearbeitern, mit den
Oracle Unions, ist das System von Lloyd Georges vor dem Kriege und zur
ersten Kriegszeit recht schwer fertig geworden. Jetzt scheint es anders, weil


Grenzboten III 1915 18
Innenkämpfe Gioßbritanniens

empfunden wurde. Aber die alte, britische Arbeitsstruktur war stolz, gewisser¬
maßen doch würdig mit ihren schlichten, herben Linien der kuck ^elf, aer
I^hour ana ^anufacturs ^als aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts.
Der stärkeren Arbeitskraft schenkte der Wille, der Impuls der Nation Freiheit
und staatliche Berücksichtigung zugleich. Auch der stärkere Handarbeiter war im
Sinne dieser ^co der Geehrte, der Notwendige, also der Geschützte in seiner
Arbeit und in „fairer" Arbeitsentlohnung. Die älteren I^abour ^et8 verwarfen
in vielen ihrer Hauptzüge sogar den Sinn von Manchester, weil sie das Wesen,
den Kern einer starken, organisierten Einheits-, einer nationalen Kollektivarbeit
fassen wollten. Allmählich hat England ein gut Teil des einfachen National-
arbeitswillens verloren: der Cobdenismus hat Jahrzehnte nach Richard Cobdens
Tode erst richtig gesiegt. England hat die Natur seiner industriellen Produktion
erschreckend verändert: die alte, von ihm empirisch gefundene Präzisions-Jndustrie
ist zur insularen, einseitigen Massenproduktion geworden. Der Stand der
ungelernten Arbeiter hat so natürlich rapide steigen müssen. Diese ungelernten
Arbeiter und andere kleine, schwache „Karlos" will die modernste Arbeitsgesetzgebung
Englands vor allem behüten, schleppen und tragen, ohne die Nationalarbeit an
sich heben, bewußt tüchtiger machen zu wollen und zu können. D. Lloyd Georges
und Genossen greifen das englische Arbeitsproblem höchst oberflächlich an. Sie
wollen „Krautes" pflegen. Sie sollten statt dessen versuchen, nicht die kranken
»Kamas" zu verbinden, sondern die nationale Produktion selbst zur Stärkung,
Zur Harmonie zu führen. Mit dem Kriege haben sie diese Produktion jeden¬
falls zu einem groben Mißklang geleitet: Englands Handelsbilanz ist in den
Zehn ersten Kriegsmonaten um über sieben Milliarden Mark passiv geworden;
seine Zahlungsbilanz besitzt — dank der grandiosen Pumpwirtschaft zugunsten der
Verbündeten — ein Minus von fünf Milliarden Mark, Plus drei Milliarden
Mark für Lebensmittel und andere Einkäufe aus „fremden Händen".

Das von Lloyd Georges so geliebte soziale Heilproblem wird allgemach
für das Vereinigte Königreich unlösbar werden: eine Möglichkeit von
„fairen" Minimallöhnen, das Recht auf Arbeit für „alle fleißigen Hände" usw.
-~ alle diese guten, edlen Dinge sind nämlich wirklich nur da erreichbar,
wo starke, tüchtige Arbeitsnachftage, wo wahre, organisatorische Produktions¬
gesundheit besteht. Englands Handesbilanz ist aber schon lange vor dem
Kriege in den wichtigsten, veredelten Waren dauernd und als Ganzes auch
meistens logisch-fortschreitend geglitten — geglitten — geglitten. Das Aktivsaldo
von etwa 3000 bis 3600 Millionen Mark p. a. ballte sich in den Händen einer
dünnen Schicht. Die Arbeitsharmonie Englands war dahin — schon vor dem
Kriege, als Lloyd Georges die Harmonie der Arbeitsentlohnung, in Nebensachen
wenigstens, einzuführen bestrebt war.

Mit den allein noch stärkeren manas unter den Industriearbeitern, mit den
Oracle Unions, ist das System von Lloyd Georges vor dem Kriege und zur
ersten Kriegszeit recht schwer fertig geworden. Jetzt scheint es anders, weil


Grenzboten III 1915 18
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0285" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324258"/>
          <fw type="header" place="top"> Innenkämpfe Gioßbritanniens</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_878" prev="#ID_877"> empfunden wurde. Aber die alte, britische Arbeitsstruktur war stolz, gewisser¬<lb/>
maßen doch würdig mit ihren schlichten, herben Linien der kuck ^elf, aer<lb/>
I^hour ana ^anufacturs ^als aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts.<lb/>
Der stärkeren Arbeitskraft schenkte der Wille, der Impuls der Nation Freiheit<lb/>
und staatliche Berücksichtigung zugleich. Auch der stärkere Handarbeiter war im<lb/>
Sinne dieser ^co der Geehrte, der Notwendige, also der Geschützte in seiner<lb/>
Arbeit und in &#x201E;fairer" Arbeitsentlohnung. Die älteren I^abour ^et8 verwarfen<lb/>
in vielen ihrer Hauptzüge sogar den Sinn von Manchester, weil sie das Wesen,<lb/>
den Kern einer starken, organisierten Einheits-, einer nationalen Kollektivarbeit<lb/>
fassen wollten. Allmählich hat England ein gut Teil des einfachen National-<lb/>
arbeitswillens verloren: der Cobdenismus hat Jahrzehnte nach Richard Cobdens<lb/>
Tode erst richtig gesiegt. England hat die Natur seiner industriellen Produktion<lb/>
erschreckend verändert: die alte, von ihm empirisch gefundene Präzisions-Jndustrie<lb/>
ist zur insularen, einseitigen Massenproduktion geworden. Der Stand der<lb/>
ungelernten Arbeiter hat so natürlich rapide steigen müssen. Diese ungelernten<lb/>
Arbeiter und andere kleine, schwache &#x201E;Karlos" will die modernste Arbeitsgesetzgebung<lb/>
Englands vor allem behüten, schleppen und tragen, ohne die Nationalarbeit an<lb/>
sich heben, bewußt tüchtiger machen zu wollen und zu können. D. Lloyd Georges<lb/>
und Genossen greifen das englische Arbeitsproblem höchst oberflächlich an. Sie<lb/>
wollen &#x201E;Krautes" pflegen. Sie sollten statt dessen versuchen, nicht die kranken<lb/>
»Kamas" zu verbinden, sondern die nationale Produktion selbst zur Stärkung,<lb/>
Zur Harmonie zu führen. Mit dem Kriege haben sie diese Produktion jeden¬<lb/>
falls zu einem groben Mißklang geleitet: Englands Handelsbilanz ist in den<lb/>
Zehn ersten Kriegsmonaten um über sieben Milliarden Mark passiv geworden;<lb/>
seine Zahlungsbilanz besitzt &#x2014; dank der grandiosen Pumpwirtschaft zugunsten der<lb/>
Verbündeten &#x2014; ein Minus von fünf Milliarden Mark, Plus drei Milliarden<lb/>
Mark für Lebensmittel und andere Einkäufe aus &#x201E;fremden Händen".</p><lb/>
          <p xml:id="ID_879"> Das von Lloyd Georges so geliebte soziale Heilproblem wird allgemach<lb/>
für das Vereinigte Königreich unlösbar werden: eine Möglichkeit von<lb/>
&#x201E;fairen" Minimallöhnen, das Recht auf Arbeit für &#x201E;alle fleißigen Hände" usw.<lb/>
-~ alle diese guten, edlen Dinge sind nämlich wirklich nur da erreichbar,<lb/>
wo starke, tüchtige Arbeitsnachftage, wo wahre, organisatorische Produktions¬<lb/>
gesundheit besteht. Englands Handesbilanz ist aber schon lange vor dem<lb/>
Kriege in den wichtigsten, veredelten Waren dauernd und als Ganzes auch<lb/>
meistens logisch-fortschreitend geglitten &#x2014; geglitten &#x2014; geglitten. Das Aktivsaldo<lb/>
von etwa 3000 bis 3600 Millionen Mark p. a. ballte sich in den Händen einer<lb/>
dünnen Schicht. Die Arbeitsharmonie Englands war dahin &#x2014; schon vor dem<lb/>
Kriege, als Lloyd Georges die Harmonie der Arbeitsentlohnung, in Nebensachen<lb/>
wenigstens, einzuführen bestrebt war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_880" next="#ID_881"> Mit den allein noch stärkeren manas unter den Industriearbeitern, mit den<lb/>
Oracle Unions, ist das System von Lloyd Georges vor dem Kriege und zur<lb/>
ersten Kriegszeit recht schwer fertig geworden. Jetzt scheint es anders, weil</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1915 18</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0285] Innenkämpfe Gioßbritanniens empfunden wurde. Aber die alte, britische Arbeitsstruktur war stolz, gewisser¬ maßen doch würdig mit ihren schlichten, herben Linien der kuck ^elf, aer I^hour ana ^anufacturs ^als aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Der stärkeren Arbeitskraft schenkte der Wille, der Impuls der Nation Freiheit und staatliche Berücksichtigung zugleich. Auch der stärkere Handarbeiter war im Sinne dieser ^co der Geehrte, der Notwendige, also der Geschützte in seiner Arbeit und in „fairer" Arbeitsentlohnung. Die älteren I^abour ^et8 verwarfen in vielen ihrer Hauptzüge sogar den Sinn von Manchester, weil sie das Wesen, den Kern einer starken, organisierten Einheits-, einer nationalen Kollektivarbeit fassen wollten. Allmählich hat England ein gut Teil des einfachen National- arbeitswillens verloren: der Cobdenismus hat Jahrzehnte nach Richard Cobdens Tode erst richtig gesiegt. England hat die Natur seiner industriellen Produktion erschreckend verändert: die alte, von ihm empirisch gefundene Präzisions-Jndustrie ist zur insularen, einseitigen Massenproduktion geworden. Der Stand der ungelernten Arbeiter hat so natürlich rapide steigen müssen. Diese ungelernten Arbeiter und andere kleine, schwache „Karlos" will die modernste Arbeitsgesetzgebung Englands vor allem behüten, schleppen und tragen, ohne die Nationalarbeit an sich heben, bewußt tüchtiger machen zu wollen und zu können. D. Lloyd Georges und Genossen greifen das englische Arbeitsproblem höchst oberflächlich an. Sie wollen „Krautes" pflegen. Sie sollten statt dessen versuchen, nicht die kranken »Kamas" zu verbinden, sondern die nationale Produktion selbst zur Stärkung, Zur Harmonie zu führen. Mit dem Kriege haben sie diese Produktion jeden¬ falls zu einem groben Mißklang geleitet: Englands Handelsbilanz ist in den Zehn ersten Kriegsmonaten um über sieben Milliarden Mark passiv geworden; seine Zahlungsbilanz besitzt — dank der grandiosen Pumpwirtschaft zugunsten der Verbündeten — ein Minus von fünf Milliarden Mark, Plus drei Milliarden Mark für Lebensmittel und andere Einkäufe aus „fremden Händen". Das von Lloyd Georges so geliebte soziale Heilproblem wird allgemach für das Vereinigte Königreich unlösbar werden: eine Möglichkeit von „fairen" Minimallöhnen, das Recht auf Arbeit für „alle fleißigen Hände" usw. -~ alle diese guten, edlen Dinge sind nämlich wirklich nur da erreichbar, wo starke, tüchtige Arbeitsnachftage, wo wahre, organisatorische Produktions¬ gesundheit besteht. Englands Handesbilanz ist aber schon lange vor dem Kriege in den wichtigsten, veredelten Waren dauernd und als Ganzes auch meistens logisch-fortschreitend geglitten — geglitten — geglitten. Das Aktivsaldo von etwa 3000 bis 3600 Millionen Mark p. a. ballte sich in den Händen einer dünnen Schicht. Die Arbeitsharmonie Englands war dahin — schon vor dem Kriege, als Lloyd Georges die Harmonie der Arbeitsentlohnung, in Nebensachen wenigstens, einzuführen bestrebt war. Mit den allein noch stärkeren manas unter den Industriearbeitern, mit den Oracle Unions, ist das System von Lloyd Georges vor dem Kriege und zur ersten Kriegszeit recht schwer fertig geworden. Jetzt scheint es anders, weil Grenzboten III 1915 18

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/285
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/285>, abgerufen am 23.07.2024.