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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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warum bekämpft uns Rußland?

sammenbruch herauskommt. Seine heutigen 150 Millionen meistens ungebildete
Einwohner werden in zwanzig Jahren als 200 bis 250 Millionen erheblich
höher stehender auf dem Kampfplatz wieder erscheinen und Vergeltung fordern;
der russische Schlendrian wird unter einer anderen Regierung erheblich zurück¬
gehen und es werden uns Armeen gegenüberstehen, die besser verpflegt, besser
ausgerüstet, besser geführt und von einem besseren Geiste beseelt sein werden
wie die heutigen. Welche Gefahr sich da für unsere nationale Zukunft vor¬
bereitet, ist leicht zu ermessen. Möge uns genügend politischer Fernblick gegeben
sein, um unter den rauchenden Trümmern von heute die aufkeimende Drachen¬
saat von morgen zu sehen!

Nun kann noch eingeworfen werden, daß Rußland vielleicht doch seinen
Dardanellentraum aufgeben wird, wenn es den Krieg verliert und damit die
Basis geschaffen wäre, um nach einiger Zeit zu den alten Beziehungen zurück
zu kommen, die um so herzlicher sein könnten, als man sich auf den Schlacht¬
feldern die nötige, gegenseitige Achtung erworben hat, welche solch ein Ver¬
hältnis nur begünstigen kann. Verfasser ist der Ansicht, daß dieser Fall nur
eintreten würde, wenn Rußland vollständig und dauernd geschwächt aus dem
Kriege hervorginge. Unmöglich ist dies nicht, denn es ist an sich unnatürlich,
daß ein Volk ein Reich beherrscht, in dem es nur etwa fünfzig Prozent der
Gesamtbevölkerung ausmacht, von der ein großer Teil kulturell höher steht
als das herrschende Volk. Gelingt es, die Russen auf sich selbst zurück zu
führen, das heißt einen Staat zu konstruieren, der nur aus Russen besteht, so
wäre wohl der Grad der Schwäche erreicht, der sie zum Aufgeben so mancher
anmaßender Hoffnungen bringen könnte, unter anderen der Dardanellen. Haß
genügend hat Rußland unter seinen Fremdvölkern gesät, um dies zu erleichtern:
ein abgetrenntes Polen, Finnland, Ostseeprovinzen, Bessarabien, ein selbständiges
Kleinrußland, ein an die Türkei angeschlossenes, mohammedanisches Transkaspien
würden diesen Zweck erfüllen. Können solche oder ähnliche Umwälzungen
herbeigeführt werden, so könnte Deutschland ruhig der Zukunft entgegensehen,
gelingt dies nicht, so wäre der erste Friedenstag gleichzeitig der erste Tag
angestrengtester Rüstung für den kommenden Krieg mit Rußland um die
Meerengen.




warum bekämpft uns Rußland?

sammenbruch herauskommt. Seine heutigen 150 Millionen meistens ungebildete
Einwohner werden in zwanzig Jahren als 200 bis 250 Millionen erheblich
höher stehender auf dem Kampfplatz wieder erscheinen und Vergeltung fordern;
der russische Schlendrian wird unter einer anderen Regierung erheblich zurück¬
gehen und es werden uns Armeen gegenüberstehen, die besser verpflegt, besser
ausgerüstet, besser geführt und von einem besseren Geiste beseelt sein werden
wie die heutigen. Welche Gefahr sich da für unsere nationale Zukunft vor¬
bereitet, ist leicht zu ermessen. Möge uns genügend politischer Fernblick gegeben
sein, um unter den rauchenden Trümmern von heute die aufkeimende Drachen¬
saat von morgen zu sehen!

Nun kann noch eingeworfen werden, daß Rußland vielleicht doch seinen
Dardanellentraum aufgeben wird, wenn es den Krieg verliert und damit die
Basis geschaffen wäre, um nach einiger Zeit zu den alten Beziehungen zurück
zu kommen, die um so herzlicher sein könnten, als man sich auf den Schlacht¬
feldern die nötige, gegenseitige Achtung erworben hat, welche solch ein Ver¬
hältnis nur begünstigen kann. Verfasser ist der Ansicht, daß dieser Fall nur
eintreten würde, wenn Rußland vollständig und dauernd geschwächt aus dem
Kriege hervorginge. Unmöglich ist dies nicht, denn es ist an sich unnatürlich,
daß ein Volk ein Reich beherrscht, in dem es nur etwa fünfzig Prozent der
Gesamtbevölkerung ausmacht, von der ein großer Teil kulturell höher steht
als das herrschende Volk. Gelingt es, die Russen auf sich selbst zurück zu
führen, das heißt einen Staat zu konstruieren, der nur aus Russen besteht, so
wäre wohl der Grad der Schwäche erreicht, der sie zum Aufgeben so mancher
anmaßender Hoffnungen bringen könnte, unter anderen der Dardanellen. Haß
genügend hat Rußland unter seinen Fremdvölkern gesät, um dies zu erleichtern:
ein abgetrenntes Polen, Finnland, Ostseeprovinzen, Bessarabien, ein selbständiges
Kleinrußland, ein an die Türkei angeschlossenes, mohammedanisches Transkaspien
würden diesen Zweck erfüllen. Können solche oder ähnliche Umwälzungen
herbeigeführt werden, so könnte Deutschland ruhig der Zukunft entgegensehen,
gelingt dies nicht, so wäre der erste Friedenstag gleichzeitig der erste Tag
angestrengtester Rüstung für den kommenden Krieg mit Rußland um die
Meerengen.




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[0281] warum bekämpft uns Rußland? sammenbruch herauskommt. Seine heutigen 150 Millionen meistens ungebildete Einwohner werden in zwanzig Jahren als 200 bis 250 Millionen erheblich höher stehender auf dem Kampfplatz wieder erscheinen und Vergeltung fordern; der russische Schlendrian wird unter einer anderen Regierung erheblich zurück¬ gehen und es werden uns Armeen gegenüberstehen, die besser verpflegt, besser ausgerüstet, besser geführt und von einem besseren Geiste beseelt sein werden wie die heutigen. Welche Gefahr sich da für unsere nationale Zukunft vor¬ bereitet, ist leicht zu ermessen. Möge uns genügend politischer Fernblick gegeben sein, um unter den rauchenden Trümmern von heute die aufkeimende Drachen¬ saat von morgen zu sehen! Nun kann noch eingeworfen werden, daß Rußland vielleicht doch seinen Dardanellentraum aufgeben wird, wenn es den Krieg verliert und damit die Basis geschaffen wäre, um nach einiger Zeit zu den alten Beziehungen zurück zu kommen, die um so herzlicher sein könnten, als man sich auf den Schlacht¬ feldern die nötige, gegenseitige Achtung erworben hat, welche solch ein Ver¬ hältnis nur begünstigen kann. Verfasser ist der Ansicht, daß dieser Fall nur eintreten würde, wenn Rußland vollständig und dauernd geschwächt aus dem Kriege hervorginge. Unmöglich ist dies nicht, denn es ist an sich unnatürlich, daß ein Volk ein Reich beherrscht, in dem es nur etwa fünfzig Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht, von der ein großer Teil kulturell höher steht als das herrschende Volk. Gelingt es, die Russen auf sich selbst zurück zu führen, das heißt einen Staat zu konstruieren, der nur aus Russen besteht, so wäre wohl der Grad der Schwäche erreicht, der sie zum Aufgeben so mancher anmaßender Hoffnungen bringen könnte, unter anderen der Dardanellen. Haß genügend hat Rußland unter seinen Fremdvölkern gesät, um dies zu erleichtern: ein abgetrenntes Polen, Finnland, Ostseeprovinzen, Bessarabien, ein selbständiges Kleinrußland, ein an die Türkei angeschlossenes, mohammedanisches Transkaspien würden diesen Zweck erfüllen. Können solche oder ähnliche Umwälzungen herbeigeführt werden, so könnte Deutschland ruhig der Zukunft entgegensehen, gelingt dies nicht, so wäre der erste Friedenstag gleichzeitig der erste Tag angestrengtester Rüstung für den kommenden Krieg mit Rußland um die Meerengen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/281>, abgerufen am 23.07.2024.