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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Rrieg und Religion

so daß unwillkürlich die Möglichkeit eines friedlichen Zusammenarbeitens der
Kirchen vor uns aufsteigt. Die Religion hat wie in allen großen Reformations¬
zeiten eine ungeheuere Vereinfachung erlebt: Der Gedanke des Gottvertrauens
und des Glaubens an das gerechte Walten Gottes steht naturgemäß entsprechend
dem religiösen Erlebnis im Vordergrund aller religiösen Äußerungen. Die
Religion hat aber auch eine ungeahnte Bereicherung ihrer Erlebnisse erfahren:
Gott ist uns in unserer eigenen Geschichte so nahe getreten, daß alle Offenbarung
der Vergangenheit verblaßt vor dem Gefühl der gegenwärtigen Offenbarung
Gottes. Wurde zwar schon stets von Theologen behauptet, daß Gott in der
Geschichte sich uns kundtut, so ist doch dieses jetzt endlich das Erlebnis weiter
Kreise unseres Volkes geworden. Und unter dem Eindruck dieser neuen
Erfahrungen fordert Joh. Müller in seinen Kriegshesten, daß die Kirche diese
neue Offenbarung zum Gegenstand ihrer Predigten machte: "Gott hat uns neue
Texte gegeben. Sehet zu, daß ihr darüber predigt, und laßt die alten Perikopen,
bis er wieder weniger deutlich zu uns redet als heute." Der Gedanke der
Weiterbildung der Religion, der aus religiösen Reflexionen heraus zur Ver¬
handlung unter den Theologen stand, tritt in neuer wirkungskräftiger Form uns
entgegen. Denn er wird erlebt. Deutschtum und Christentum wollen einen
Bund eingehen. Und eigentümlich ist, daß die Tendenz zu diesem Zusammen¬
gehen der Religion mit deutscher Art weithin als Rückkehr zu den religiösen
Kräften der Vergangenheit erlebt wird, so wie jede wirksame Neubildung der
Religion als eine Rückkehr zu Vergangenem bisher erlebt wurde. Daneben tritt
hervor der Glaube an ewiges Leben und Unsterblichkeit. Der Opfertod unserer
Krieger führt hin zu dem Gedanken an den Opfertod Christi. Der Wert der
seelischen religiösen Kräfte wird von denen, die draußen sind, und von denen,
die in der Heimat sind, in ungeahnter Weise neu empfunden. Die Not drängt
zum Aufschwung zu Gott.

Es ist müßig, in Diskussionen einzutreten über künftige Gestaltungen der
Religion. Denn aus der Reflexion wächst nicht lebenskräftige Frömmigkeit
hervor. Aus erlebter Religion muß die neue Gestaltung hervorwachsen. Und
von der Art, wie wir die Religion unter uns pflegen, wird die Zukunft auch
hier abhängen. Predigt und Unterricht der Pfarrer werden von unendlicher
Bedeutung auch in der Zukunft sein. Daneben tritt in unserer literarischen
Zeit das Buch. Es ist zwar unendlich töricht zu meinen, daß ein Buch als
als solches schon religiöses Leben schafft. Aber die Lektüre eines religiösen
Buches kann uns jene stille Stunde schaffen, in der Gott von uns gefühlt
wird. So sei einiges herausgehoben aus der Masse der religiösen Literatur,
das über die Zeit hinaus bedeutsam sein wird.

Unter dem Titel "Ein feste Burg" hat Hofprediger lie. Doehring ein
vornehm ausgestattetes Predigtwerk herausgegeben (Verlag von N. Hobbing
in Berlin. 1. Band Preis 7,50 Mary. Das Buch wird späteren Ge¬
schlechtern ein Zeugnis sein für die Art, wie heut gepredigt wird. Es sind


Rrieg und Religion

so daß unwillkürlich die Möglichkeit eines friedlichen Zusammenarbeitens der
Kirchen vor uns aufsteigt. Die Religion hat wie in allen großen Reformations¬
zeiten eine ungeheuere Vereinfachung erlebt: Der Gedanke des Gottvertrauens
und des Glaubens an das gerechte Walten Gottes steht naturgemäß entsprechend
dem religiösen Erlebnis im Vordergrund aller religiösen Äußerungen. Die
Religion hat aber auch eine ungeahnte Bereicherung ihrer Erlebnisse erfahren:
Gott ist uns in unserer eigenen Geschichte so nahe getreten, daß alle Offenbarung
der Vergangenheit verblaßt vor dem Gefühl der gegenwärtigen Offenbarung
Gottes. Wurde zwar schon stets von Theologen behauptet, daß Gott in der
Geschichte sich uns kundtut, so ist doch dieses jetzt endlich das Erlebnis weiter
Kreise unseres Volkes geworden. Und unter dem Eindruck dieser neuen
Erfahrungen fordert Joh. Müller in seinen Kriegshesten, daß die Kirche diese
neue Offenbarung zum Gegenstand ihrer Predigten machte: „Gott hat uns neue
Texte gegeben. Sehet zu, daß ihr darüber predigt, und laßt die alten Perikopen,
bis er wieder weniger deutlich zu uns redet als heute." Der Gedanke der
Weiterbildung der Religion, der aus religiösen Reflexionen heraus zur Ver¬
handlung unter den Theologen stand, tritt in neuer wirkungskräftiger Form uns
entgegen. Denn er wird erlebt. Deutschtum und Christentum wollen einen
Bund eingehen. Und eigentümlich ist, daß die Tendenz zu diesem Zusammen¬
gehen der Religion mit deutscher Art weithin als Rückkehr zu den religiösen
Kräften der Vergangenheit erlebt wird, so wie jede wirksame Neubildung der
Religion als eine Rückkehr zu Vergangenem bisher erlebt wurde. Daneben tritt
hervor der Glaube an ewiges Leben und Unsterblichkeit. Der Opfertod unserer
Krieger führt hin zu dem Gedanken an den Opfertod Christi. Der Wert der
seelischen religiösen Kräfte wird von denen, die draußen sind, und von denen,
die in der Heimat sind, in ungeahnter Weise neu empfunden. Die Not drängt
zum Aufschwung zu Gott.

Es ist müßig, in Diskussionen einzutreten über künftige Gestaltungen der
Religion. Denn aus der Reflexion wächst nicht lebenskräftige Frömmigkeit
hervor. Aus erlebter Religion muß die neue Gestaltung hervorwachsen. Und
von der Art, wie wir die Religion unter uns pflegen, wird die Zukunft auch
hier abhängen. Predigt und Unterricht der Pfarrer werden von unendlicher
Bedeutung auch in der Zukunft sein. Daneben tritt in unserer literarischen
Zeit das Buch. Es ist zwar unendlich töricht zu meinen, daß ein Buch als
als solches schon religiöses Leben schafft. Aber die Lektüre eines religiösen
Buches kann uns jene stille Stunde schaffen, in der Gott von uns gefühlt
wird. So sei einiges herausgehoben aus der Masse der religiösen Literatur,
das über die Zeit hinaus bedeutsam sein wird.

Unter dem Titel „Ein feste Burg" hat Hofprediger lie. Doehring ein
vornehm ausgestattetes Predigtwerk herausgegeben (Verlag von N. Hobbing
in Berlin. 1. Band Preis 7,50 Mary. Das Buch wird späteren Ge¬
schlechtern ein Zeugnis sein für die Art, wie heut gepredigt wird. Es sind


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[0226] Rrieg und Religion so daß unwillkürlich die Möglichkeit eines friedlichen Zusammenarbeitens der Kirchen vor uns aufsteigt. Die Religion hat wie in allen großen Reformations¬ zeiten eine ungeheuere Vereinfachung erlebt: Der Gedanke des Gottvertrauens und des Glaubens an das gerechte Walten Gottes steht naturgemäß entsprechend dem religiösen Erlebnis im Vordergrund aller religiösen Äußerungen. Die Religion hat aber auch eine ungeahnte Bereicherung ihrer Erlebnisse erfahren: Gott ist uns in unserer eigenen Geschichte so nahe getreten, daß alle Offenbarung der Vergangenheit verblaßt vor dem Gefühl der gegenwärtigen Offenbarung Gottes. Wurde zwar schon stets von Theologen behauptet, daß Gott in der Geschichte sich uns kundtut, so ist doch dieses jetzt endlich das Erlebnis weiter Kreise unseres Volkes geworden. Und unter dem Eindruck dieser neuen Erfahrungen fordert Joh. Müller in seinen Kriegshesten, daß die Kirche diese neue Offenbarung zum Gegenstand ihrer Predigten machte: „Gott hat uns neue Texte gegeben. Sehet zu, daß ihr darüber predigt, und laßt die alten Perikopen, bis er wieder weniger deutlich zu uns redet als heute." Der Gedanke der Weiterbildung der Religion, der aus religiösen Reflexionen heraus zur Ver¬ handlung unter den Theologen stand, tritt in neuer wirkungskräftiger Form uns entgegen. Denn er wird erlebt. Deutschtum und Christentum wollen einen Bund eingehen. Und eigentümlich ist, daß die Tendenz zu diesem Zusammen¬ gehen der Religion mit deutscher Art weithin als Rückkehr zu den religiösen Kräften der Vergangenheit erlebt wird, so wie jede wirksame Neubildung der Religion als eine Rückkehr zu Vergangenem bisher erlebt wurde. Daneben tritt hervor der Glaube an ewiges Leben und Unsterblichkeit. Der Opfertod unserer Krieger führt hin zu dem Gedanken an den Opfertod Christi. Der Wert der seelischen religiösen Kräfte wird von denen, die draußen sind, und von denen, die in der Heimat sind, in ungeahnter Weise neu empfunden. Die Not drängt zum Aufschwung zu Gott. Es ist müßig, in Diskussionen einzutreten über künftige Gestaltungen der Religion. Denn aus der Reflexion wächst nicht lebenskräftige Frömmigkeit hervor. Aus erlebter Religion muß die neue Gestaltung hervorwachsen. Und von der Art, wie wir die Religion unter uns pflegen, wird die Zukunft auch hier abhängen. Predigt und Unterricht der Pfarrer werden von unendlicher Bedeutung auch in der Zukunft sein. Daneben tritt in unserer literarischen Zeit das Buch. Es ist zwar unendlich töricht zu meinen, daß ein Buch als als solches schon religiöses Leben schafft. Aber die Lektüre eines religiösen Buches kann uns jene stille Stunde schaffen, in der Gott von uns gefühlt wird. So sei einiges herausgehoben aus der Masse der religiösen Literatur, das über die Zeit hinaus bedeutsam sein wird. Unter dem Titel „Ein feste Burg" hat Hofprediger lie. Doehring ein vornehm ausgestattetes Predigtwerk herausgegeben (Verlag von N. Hobbing in Berlin. 1. Band Preis 7,50 Mary. Das Buch wird späteren Ge¬ schlechtern ein Zeugnis sein für die Art, wie heut gepredigt wird. Es sind

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/226>, abgerufen am 23.07.2024.