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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Die heutige Soldatensprache -- ein Vorschlag zu ihrer Sammlung

mit einer Achtung, die "drüben" in Feld und Haus nicht immer da ist. Trotz
alledem bilden freilich die Eigenschaften des Feindes, seine körperliche Beschaffenheit,
seelische und geistige Mängel, Äußerlichkeiten des Wappens und der Haltung
Fundgruben für die behende, angriffslustige Phantasie, die sich wie mit der
Waffe so auch mit Wort und Witz am Gegner reibt.

Aber auch die eigenen Truppen verschont der Witz nicht; die Erfindungslust,
die sich überall zu helfen weiß, die im Wirtschaftsleben neuer Lage sich anpaßt,
im Schützengraben das Leben so bequem wie möglich und so sicher wie nötig
gestaltet, spiegelt sich auch im Kleinen in den Ausdrücken wieder, mit denen
der Soldat die Angehörigen aller eigenen Truppengattungen in oft sehr
charakteristischer Weise, mit einem Worte vielsagend, belegt. Was in Friedens-
zeiten schon selbstverständlich war, daß man die Truppen mit allerlei Ersatz¬
namen kennzeichnete, die aus ihrer Eigenart und besonderen Beschäftigung
hervorgegangen waren, steigert sich in Kriegszeiten, in denen gemeinsame Gefahr,
der Ernst des Zieles solche Gefühle begünstigt und hervorruft; daß dabei
Spottlust und Anerkennung sich nicht ausschließen, im Gegenteil, nach dem
Satze: "Was sich liebt, das neckt sich" höchste Verehrung für Gattung oder
einzelne, sich gern im Spitznamen, in allerlei Formen der Abkürzung, in der
Um- und Verdrehung zeigt, ist ebenso selbstverständlich wie die Tatsache, daß
diese Fachausdrücke, die im Frieden eigentlich nur den Soldaten angingen, jetzt
Teilnahme und Verbreitung im ganzen Volke finden.

So häufen sich im Durcheinander die Motive, denen etwa der nach Ursache
und Umfang begrenzte Gedanke der Sprachreinigung an die Seite treten mag.
Damit ist diesmal nicht der Eindeutschungsprozeß gemeint, den der Soldat aus
dem Drang nach Verständigung und Vereinfachung willkürlich unternimmt,
sondern der grundsätzliche Versuch, die Sprache möglichst rein zu gestalten --
ein Versuch, bet dem man nicht nur die Mißerfolge hundelt und verspotten,
sondern auch den Drang und Weg durch zügelnde oder treibende Mitarbeit
unterstützen soll; nur so kann in positiver Kritik Richtiges und Unrichtiges,
Bleibendes und Versehltes gesondert werden. Große Geltung kann dieses
Motiv übrigens deswegen nicht gewinnen, weil die militärischen Ausdrücke
doch zunächst Fachsprache sind. Diese können wohl für den persönlichen
Gebrauch und unbewußt durch Soldatenmund umgedeutet, nicht aber in
bewußter Veränderung umgewandelt werden, wenigstens nicht solange der
Krieg noch andauert und Überlieferung wie Erziehung auf diesem Gebiet
eine Reihe von engumschriebenen, nur so verständlichen Bezeichnungen festgelegt
hat. Eine noch geringere Rolle spielt für den Prozeß sprachlicher Neubildungen
das rein menschliche, man könnte sagen "euphemistische" Gefühl, das darin
besteht, eine peinliche, unangenehm empfundene Sache durch einen würdigeren
Ausdruck zu ersetzen: hierher gehören etwa die Erörterungen über die Worte
"Invalide, Krüppel" und der Versuch, dafür ehrenvollere und doch zugleich
kennzeichnende Ausdrücke zu prägen.


Die heutige Soldatensprache — ein Vorschlag zu ihrer Sammlung

mit einer Achtung, die „drüben" in Feld und Haus nicht immer da ist. Trotz
alledem bilden freilich die Eigenschaften des Feindes, seine körperliche Beschaffenheit,
seelische und geistige Mängel, Äußerlichkeiten des Wappens und der Haltung
Fundgruben für die behende, angriffslustige Phantasie, die sich wie mit der
Waffe so auch mit Wort und Witz am Gegner reibt.

Aber auch die eigenen Truppen verschont der Witz nicht; die Erfindungslust,
die sich überall zu helfen weiß, die im Wirtschaftsleben neuer Lage sich anpaßt,
im Schützengraben das Leben so bequem wie möglich und so sicher wie nötig
gestaltet, spiegelt sich auch im Kleinen in den Ausdrücken wieder, mit denen
der Soldat die Angehörigen aller eigenen Truppengattungen in oft sehr
charakteristischer Weise, mit einem Worte vielsagend, belegt. Was in Friedens-
zeiten schon selbstverständlich war, daß man die Truppen mit allerlei Ersatz¬
namen kennzeichnete, die aus ihrer Eigenart und besonderen Beschäftigung
hervorgegangen waren, steigert sich in Kriegszeiten, in denen gemeinsame Gefahr,
der Ernst des Zieles solche Gefühle begünstigt und hervorruft; daß dabei
Spottlust und Anerkennung sich nicht ausschließen, im Gegenteil, nach dem
Satze: „Was sich liebt, das neckt sich" höchste Verehrung für Gattung oder
einzelne, sich gern im Spitznamen, in allerlei Formen der Abkürzung, in der
Um- und Verdrehung zeigt, ist ebenso selbstverständlich wie die Tatsache, daß
diese Fachausdrücke, die im Frieden eigentlich nur den Soldaten angingen, jetzt
Teilnahme und Verbreitung im ganzen Volke finden.

So häufen sich im Durcheinander die Motive, denen etwa der nach Ursache
und Umfang begrenzte Gedanke der Sprachreinigung an die Seite treten mag.
Damit ist diesmal nicht der Eindeutschungsprozeß gemeint, den der Soldat aus
dem Drang nach Verständigung und Vereinfachung willkürlich unternimmt,
sondern der grundsätzliche Versuch, die Sprache möglichst rein zu gestalten —
ein Versuch, bet dem man nicht nur die Mißerfolge hundelt und verspotten,
sondern auch den Drang und Weg durch zügelnde oder treibende Mitarbeit
unterstützen soll; nur so kann in positiver Kritik Richtiges und Unrichtiges,
Bleibendes und Versehltes gesondert werden. Große Geltung kann dieses
Motiv übrigens deswegen nicht gewinnen, weil die militärischen Ausdrücke
doch zunächst Fachsprache sind. Diese können wohl für den persönlichen
Gebrauch und unbewußt durch Soldatenmund umgedeutet, nicht aber in
bewußter Veränderung umgewandelt werden, wenigstens nicht solange der
Krieg noch andauert und Überlieferung wie Erziehung auf diesem Gebiet
eine Reihe von engumschriebenen, nur so verständlichen Bezeichnungen festgelegt
hat. Eine noch geringere Rolle spielt für den Prozeß sprachlicher Neubildungen
das rein menschliche, man könnte sagen „euphemistische" Gefühl, das darin
besteht, eine peinliche, unangenehm empfundene Sache durch einen würdigeren
Ausdruck zu ersetzen: hierher gehören etwa die Erörterungen über die Worte
„Invalide, Krüppel" und der Versuch, dafür ehrenvollere und doch zugleich
kennzeichnende Ausdrücke zu prägen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/190>, abgerufen am 23.07.2024.