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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Die Friedensziele von ^g^S

Er, wie Castlereagh, der sich dabei noch der Ungunst des englischen Königs
aussetzte, da dieser die deutschen Pläne begünstigte, hofften durch diesen Schritt
dauernd die französische Regierung in ihrem Sinne beherrschen zu können.
Dazu kam, daß sie einen allzu großen Einfluß Rußlands auf Frankreich
fürchteten, und, um diesem die Wage zu halten, noch edelmütiger, noch gro߬
mütiger gegen das Land verfahren wollten. Zudem hatten die napoleonischen
Kriege England Größeres gegeben, als es je erhofft hatte. Seine Welt- und
Seeherrschaft hatten sie fest und großartig begründet. Es hatte nichts mehr
zu wünschen und zu verlangen. Sein Ehrgeiz war befriedigt. Daß die
Deutschen bei der Verteilung der Welt wieder einmal zu kurz gekommen waren,
war ihre Sache! Mochten sie sich mit ihren Dichtern und Philosophen trösten --
Ideologen, die sie nun doch einmal waren I

Aber auch Osterreich, damals von Metternichs kurzsichtiger Politik geleitet,
nahm sich der deutschen Sache herzlich wenig an. Das Elsaß hätte allerdings
Interesse für es gehabt, man hätte es zu einer neuen Sekundogenitur einrichten
können, allenfalls bedeutete es auch ein wichtiges Tauschobjekt für andere
Gebietserwerbungen. Aber mit dem Erzherzog Karl, dem Elsaß-Lothringen
zufallen sollte, stand Kaiser Franz seit langem auf gespanntem Fuß und dachte
wohl nicht daran, sich für ihn zu verwenden. Im übrigen scheint österreichischer-
seits die Furcht vor der nationalen Strömung in Deutschland und vor dem
Gedanken, Preußen könne sich zum Vorkämpfer dieser Richtung machen, größer
gewesen zu sein, als der Wunsch nach Erweiterung seines Gebietes. Jedenfalls
verlangte Metternich in einer Denkschrift, in der er erklärte, man habe nicht
erobern, sondern nur "den bewaffneten Jakobinismus" bekämpfen wollen, nur
die Verwandlung der offensiven Stellung Frankreichs in eine rein defensive und
die Zurückgabe derjenigen Festungen, die "Frankreichs Angriffen auf die Grenz¬
lande zu Stützpunkten dienten" -- für Deutschland Landau und für die
Niederlande einige feste Plätze an der belgischen Grenze; Straßburg dagegen
und einige andere Festungen sollten geschleift werden.

So von allen im Stich gelassen mußte Preußen eine Forderung nach der
anderen schweren Herzens fallen lassen. Was nützten jetzt noch die beweglichsten
Denkschriften Hardenbergs an den Prinzregenten von England, die scharfsinnigsten
Briefe und Argumentationen Gagerns an Alexander, die Unterredungen Steins
mit seinem früheren Vertrauten, die Bitten Friedrich Wilhelms an seinen
ehemaligen Freund? Ihnen allen setzte Alexander immer wieder entgegen, er
wünsche keine Verkleinerung Frankreichs, um dem Ansehen Ludwig des Acht¬
zehnter nicht zu schaden, während die englische Negierung erklärte, sie werde,
falls es durch die Ansprüche der deutschen Mächte zu einem neuen Krieg mit
Frankreich kommen sollte, an diesem Kampfe nicht mehr teilnehmen.

"Preußen", so schrieb Hardenberg damals an den Regierungsrat Butte,
der in einer Schrift .Die unerläßlichen Bedingungen des Friedens mit Frankreich'
das Elsaß. Lothringen, Metz, Toul und Verdun gefordert hatte, "Preußen ist


Grenzboten III 1916 8
Die Friedensziele von ^g^S

Er, wie Castlereagh, der sich dabei noch der Ungunst des englischen Königs
aussetzte, da dieser die deutschen Pläne begünstigte, hofften durch diesen Schritt
dauernd die französische Regierung in ihrem Sinne beherrschen zu können.
Dazu kam, daß sie einen allzu großen Einfluß Rußlands auf Frankreich
fürchteten, und, um diesem die Wage zu halten, noch edelmütiger, noch gro߬
mütiger gegen das Land verfahren wollten. Zudem hatten die napoleonischen
Kriege England Größeres gegeben, als es je erhofft hatte. Seine Welt- und
Seeherrschaft hatten sie fest und großartig begründet. Es hatte nichts mehr
zu wünschen und zu verlangen. Sein Ehrgeiz war befriedigt. Daß die
Deutschen bei der Verteilung der Welt wieder einmal zu kurz gekommen waren,
war ihre Sache! Mochten sie sich mit ihren Dichtern und Philosophen trösten —
Ideologen, die sie nun doch einmal waren I

Aber auch Osterreich, damals von Metternichs kurzsichtiger Politik geleitet,
nahm sich der deutschen Sache herzlich wenig an. Das Elsaß hätte allerdings
Interesse für es gehabt, man hätte es zu einer neuen Sekundogenitur einrichten
können, allenfalls bedeutete es auch ein wichtiges Tauschobjekt für andere
Gebietserwerbungen. Aber mit dem Erzherzog Karl, dem Elsaß-Lothringen
zufallen sollte, stand Kaiser Franz seit langem auf gespanntem Fuß und dachte
wohl nicht daran, sich für ihn zu verwenden. Im übrigen scheint österreichischer-
seits die Furcht vor der nationalen Strömung in Deutschland und vor dem
Gedanken, Preußen könne sich zum Vorkämpfer dieser Richtung machen, größer
gewesen zu sein, als der Wunsch nach Erweiterung seines Gebietes. Jedenfalls
verlangte Metternich in einer Denkschrift, in der er erklärte, man habe nicht
erobern, sondern nur „den bewaffneten Jakobinismus" bekämpfen wollen, nur
die Verwandlung der offensiven Stellung Frankreichs in eine rein defensive und
die Zurückgabe derjenigen Festungen, die „Frankreichs Angriffen auf die Grenz¬
lande zu Stützpunkten dienten" — für Deutschland Landau und für die
Niederlande einige feste Plätze an der belgischen Grenze; Straßburg dagegen
und einige andere Festungen sollten geschleift werden.

So von allen im Stich gelassen mußte Preußen eine Forderung nach der
anderen schweren Herzens fallen lassen. Was nützten jetzt noch die beweglichsten
Denkschriften Hardenbergs an den Prinzregenten von England, die scharfsinnigsten
Briefe und Argumentationen Gagerns an Alexander, die Unterredungen Steins
mit seinem früheren Vertrauten, die Bitten Friedrich Wilhelms an seinen
ehemaligen Freund? Ihnen allen setzte Alexander immer wieder entgegen, er
wünsche keine Verkleinerung Frankreichs, um dem Ansehen Ludwig des Acht¬
zehnter nicht zu schaden, während die englische Negierung erklärte, sie werde,
falls es durch die Ansprüche der deutschen Mächte zu einem neuen Krieg mit
Frankreich kommen sollte, an diesem Kampfe nicht mehr teilnehmen.

„Preußen", so schrieb Hardenberg damals an den Regierungsrat Butte,
der in einer Schrift .Die unerläßlichen Bedingungen des Friedens mit Frankreich'
das Elsaß. Lothringen, Metz, Toul und Verdun gefordert hatte, „Preußen ist


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[0125] Die Friedensziele von ^g^S Er, wie Castlereagh, der sich dabei noch der Ungunst des englischen Königs aussetzte, da dieser die deutschen Pläne begünstigte, hofften durch diesen Schritt dauernd die französische Regierung in ihrem Sinne beherrschen zu können. Dazu kam, daß sie einen allzu großen Einfluß Rußlands auf Frankreich fürchteten, und, um diesem die Wage zu halten, noch edelmütiger, noch gro߬ mütiger gegen das Land verfahren wollten. Zudem hatten die napoleonischen Kriege England Größeres gegeben, als es je erhofft hatte. Seine Welt- und Seeherrschaft hatten sie fest und großartig begründet. Es hatte nichts mehr zu wünschen und zu verlangen. Sein Ehrgeiz war befriedigt. Daß die Deutschen bei der Verteilung der Welt wieder einmal zu kurz gekommen waren, war ihre Sache! Mochten sie sich mit ihren Dichtern und Philosophen trösten — Ideologen, die sie nun doch einmal waren I Aber auch Osterreich, damals von Metternichs kurzsichtiger Politik geleitet, nahm sich der deutschen Sache herzlich wenig an. Das Elsaß hätte allerdings Interesse für es gehabt, man hätte es zu einer neuen Sekundogenitur einrichten können, allenfalls bedeutete es auch ein wichtiges Tauschobjekt für andere Gebietserwerbungen. Aber mit dem Erzherzog Karl, dem Elsaß-Lothringen zufallen sollte, stand Kaiser Franz seit langem auf gespanntem Fuß und dachte wohl nicht daran, sich für ihn zu verwenden. Im übrigen scheint österreichischer- seits die Furcht vor der nationalen Strömung in Deutschland und vor dem Gedanken, Preußen könne sich zum Vorkämpfer dieser Richtung machen, größer gewesen zu sein, als der Wunsch nach Erweiterung seines Gebietes. Jedenfalls verlangte Metternich in einer Denkschrift, in der er erklärte, man habe nicht erobern, sondern nur „den bewaffneten Jakobinismus" bekämpfen wollen, nur die Verwandlung der offensiven Stellung Frankreichs in eine rein defensive und die Zurückgabe derjenigen Festungen, die „Frankreichs Angriffen auf die Grenz¬ lande zu Stützpunkten dienten" — für Deutschland Landau und für die Niederlande einige feste Plätze an der belgischen Grenze; Straßburg dagegen und einige andere Festungen sollten geschleift werden. So von allen im Stich gelassen mußte Preußen eine Forderung nach der anderen schweren Herzens fallen lassen. Was nützten jetzt noch die beweglichsten Denkschriften Hardenbergs an den Prinzregenten von England, die scharfsinnigsten Briefe und Argumentationen Gagerns an Alexander, die Unterredungen Steins mit seinem früheren Vertrauten, die Bitten Friedrich Wilhelms an seinen ehemaligen Freund? Ihnen allen setzte Alexander immer wieder entgegen, er wünsche keine Verkleinerung Frankreichs, um dem Ansehen Ludwig des Acht¬ zehnter nicht zu schaden, während die englische Negierung erklärte, sie werde, falls es durch die Ansprüche der deutschen Mächte zu einem neuen Krieg mit Frankreich kommen sollte, an diesem Kampfe nicht mehr teilnehmen. „Preußen", so schrieb Hardenberg damals an den Regierungsrat Butte, der in einer Schrift .Die unerläßlichen Bedingungen des Friedens mit Frankreich' das Elsaß. Lothringen, Metz, Toul und Verdun gefordert hatte, „Preußen ist Grenzboten III 1916 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/125>, abgerufen am 25.08.2024.