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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Die ^riedensziele von

geistreiche gewandte Grieche, der in der Meinung, zur Durchführung der gro߬
artigen russischen Pläne im Orient die Hilfe Frankreichs nicht entbehren zu
können, eifrig diese Schonungspolitik vertrat, um der Gunst Frankreichs stets
gewiß zu bleiben. Dazu kam noch ein zweites, echt russisches Motiv. Alexander
fürchtete ein Erstarken Deutschlands, fürchtete eine Ausdehnung Deutschlands
nach dem Osten, wenn man Frankreich schwache und es ohnmächtig werden
ließ. Es war im russischen Interesse, daß "die Rivalität zwischen Deutschland
und Frankreich nie aufhörte, daß Frankreich stark genug blieb, um Deutschland
zu beschäftigen und den größten Teil seiner militärischen Kräfte binden
zu können."

In diesem Sinne erklärte Capodistrias dem Freiherrn von Stein, Rußland
habe kein Interesse, Frankreich zu vernichten und dadurch andere Mächte in
die Lage zu setzen, ihre ganze Aufmerksamkeit und Kräfte gegen Nußland zu
richten. Deshalb dürfe Rußland nie zulassen, daß Frankreich viel entrissen werde."

Noch größere Schwierigkeiten aber als Rußland setzte England den deutschen
Wünschen entgegen. Es ist ja bekannt, wie Wellington gleich nach der Schlacht
von Waterloo, als die Hilfe der Preußen ihm nicht mehr unentbehrlich dünkte,
rücksichtslos und ohne sich mit den Verbündeten zu beraten, alle wichtigen
Fragen allein entschieden hatte. Wie er nach der Schlacht als der eigentliche
Sieger sich dokumentiert und alles getan hatte, den Anteil der Preußen zu
verkleinern, (ließ er doch sämtliche Gefangene nach England transportieren,
obwohl mindestens zwei Drittel von ihnen auf Preußen fielen) so war er auch
als der alleinige Schirmherr der Bourbonen ausgetreten, die er unter feierlichem
Glockenlüuten in ihr Land zurückgeführt hatte. Ebenso hatte er Wert darauf
gelegt, daß seine Soldaten überall die französische Bevölkerung als Freunde
und Verbündete behandelten, ganz im Gegensatz zu Blücher, der im richtigen
Gefühl, in Feindesland zu stehen, Requisitionen ausgeschrieben, und, wenn
auch maßvoll, so doch wuchtig, als der Sieger und Eroberer sich gezeigt hatte.
"Es war ja nicht Napoleon allein gewesen, der sie sieben Jahre in Ketten
gelegt, beraubt und verhöhnt hatte, jeder einzelne Franzose hatte mit Lust und
im Bewußtsein eines Eroberers an dem von seinem geliebten Kaiser eingeleiteten
Verfahren teilgenommen." Aber überall hatte Wellington den deutschen Feld¬
herrn an der Ausführung feiner Maßnahmen zu hindern gesucht. Er hatte
Einspruch erhoben, als Blücher der Stadt Paris eine Kriegskontribution von
hundert Millionen Franken auferlegen wollte, er hatte die Sprengung der
Brücke von Jena verhindert und sich, diesmal freilich vergeblich, der Ein¬
quartierung der deutschen Truppen in Paris widersetzt. Er war sogar so weit
gegangen, zu erklären, die großen Erfolge der Verbündeten und seine eigenen
wären nur deshalb möglich gewesen, weil die Franzosen im allgemeinen ihre
Sache unterstützt hätten.

Natürlich war es nicht triefender Edelmut, der Wellington, ein Schüler
der indischen Politik, dazu trieb, die Sache Frankreichs so warm zu vertreten.


Die ^riedensziele von

geistreiche gewandte Grieche, der in der Meinung, zur Durchführung der gro߬
artigen russischen Pläne im Orient die Hilfe Frankreichs nicht entbehren zu
können, eifrig diese Schonungspolitik vertrat, um der Gunst Frankreichs stets
gewiß zu bleiben. Dazu kam noch ein zweites, echt russisches Motiv. Alexander
fürchtete ein Erstarken Deutschlands, fürchtete eine Ausdehnung Deutschlands
nach dem Osten, wenn man Frankreich schwache und es ohnmächtig werden
ließ. Es war im russischen Interesse, daß „die Rivalität zwischen Deutschland
und Frankreich nie aufhörte, daß Frankreich stark genug blieb, um Deutschland
zu beschäftigen und den größten Teil seiner militärischen Kräfte binden
zu können."

In diesem Sinne erklärte Capodistrias dem Freiherrn von Stein, Rußland
habe kein Interesse, Frankreich zu vernichten und dadurch andere Mächte in
die Lage zu setzen, ihre ganze Aufmerksamkeit und Kräfte gegen Nußland zu
richten. Deshalb dürfe Rußland nie zulassen, daß Frankreich viel entrissen werde."

Noch größere Schwierigkeiten aber als Rußland setzte England den deutschen
Wünschen entgegen. Es ist ja bekannt, wie Wellington gleich nach der Schlacht
von Waterloo, als die Hilfe der Preußen ihm nicht mehr unentbehrlich dünkte,
rücksichtslos und ohne sich mit den Verbündeten zu beraten, alle wichtigen
Fragen allein entschieden hatte. Wie er nach der Schlacht als der eigentliche
Sieger sich dokumentiert und alles getan hatte, den Anteil der Preußen zu
verkleinern, (ließ er doch sämtliche Gefangene nach England transportieren,
obwohl mindestens zwei Drittel von ihnen auf Preußen fielen) so war er auch
als der alleinige Schirmherr der Bourbonen ausgetreten, die er unter feierlichem
Glockenlüuten in ihr Land zurückgeführt hatte. Ebenso hatte er Wert darauf
gelegt, daß seine Soldaten überall die französische Bevölkerung als Freunde
und Verbündete behandelten, ganz im Gegensatz zu Blücher, der im richtigen
Gefühl, in Feindesland zu stehen, Requisitionen ausgeschrieben, und, wenn
auch maßvoll, so doch wuchtig, als der Sieger und Eroberer sich gezeigt hatte.
„Es war ja nicht Napoleon allein gewesen, der sie sieben Jahre in Ketten
gelegt, beraubt und verhöhnt hatte, jeder einzelne Franzose hatte mit Lust und
im Bewußtsein eines Eroberers an dem von seinem geliebten Kaiser eingeleiteten
Verfahren teilgenommen." Aber überall hatte Wellington den deutschen Feld¬
herrn an der Ausführung feiner Maßnahmen zu hindern gesucht. Er hatte
Einspruch erhoben, als Blücher der Stadt Paris eine Kriegskontribution von
hundert Millionen Franken auferlegen wollte, er hatte die Sprengung der
Brücke von Jena verhindert und sich, diesmal freilich vergeblich, der Ein¬
quartierung der deutschen Truppen in Paris widersetzt. Er war sogar so weit
gegangen, zu erklären, die großen Erfolge der Verbündeten und seine eigenen
wären nur deshalb möglich gewesen, weil die Franzosen im allgemeinen ihre
Sache unterstützt hätten.

Natürlich war es nicht triefender Edelmut, der Wellington, ein Schüler
der indischen Politik, dazu trieb, die Sache Frankreichs so warm zu vertreten.


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[0124] Die ^riedensziele von geistreiche gewandte Grieche, der in der Meinung, zur Durchführung der gro߬ artigen russischen Pläne im Orient die Hilfe Frankreichs nicht entbehren zu können, eifrig diese Schonungspolitik vertrat, um der Gunst Frankreichs stets gewiß zu bleiben. Dazu kam noch ein zweites, echt russisches Motiv. Alexander fürchtete ein Erstarken Deutschlands, fürchtete eine Ausdehnung Deutschlands nach dem Osten, wenn man Frankreich schwache und es ohnmächtig werden ließ. Es war im russischen Interesse, daß „die Rivalität zwischen Deutschland und Frankreich nie aufhörte, daß Frankreich stark genug blieb, um Deutschland zu beschäftigen und den größten Teil seiner militärischen Kräfte binden zu können." In diesem Sinne erklärte Capodistrias dem Freiherrn von Stein, Rußland habe kein Interesse, Frankreich zu vernichten und dadurch andere Mächte in die Lage zu setzen, ihre ganze Aufmerksamkeit und Kräfte gegen Nußland zu richten. Deshalb dürfe Rußland nie zulassen, daß Frankreich viel entrissen werde." Noch größere Schwierigkeiten aber als Rußland setzte England den deutschen Wünschen entgegen. Es ist ja bekannt, wie Wellington gleich nach der Schlacht von Waterloo, als die Hilfe der Preußen ihm nicht mehr unentbehrlich dünkte, rücksichtslos und ohne sich mit den Verbündeten zu beraten, alle wichtigen Fragen allein entschieden hatte. Wie er nach der Schlacht als der eigentliche Sieger sich dokumentiert und alles getan hatte, den Anteil der Preußen zu verkleinern, (ließ er doch sämtliche Gefangene nach England transportieren, obwohl mindestens zwei Drittel von ihnen auf Preußen fielen) so war er auch als der alleinige Schirmherr der Bourbonen ausgetreten, die er unter feierlichem Glockenlüuten in ihr Land zurückgeführt hatte. Ebenso hatte er Wert darauf gelegt, daß seine Soldaten überall die französische Bevölkerung als Freunde und Verbündete behandelten, ganz im Gegensatz zu Blücher, der im richtigen Gefühl, in Feindesland zu stehen, Requisitionen ausgeschrieben, und, wenn auch maßvoll, so doch wuchtig, als der Sieger und Eroberer sich gezeigt hatte. „Es war ja nicht Napoleon allein gewesen, der sie sieben Jahre in Ketten gelegt, beraubt und verhöhnt hatte, jeder einzelne Franzose hatte mit Lust und im Bewußtsein eines Eroberers an dem von seinem geliebten Kaiser eingeleiteten Verfahren teilgenommen." Aber überall hatte Wellington den deutschen Feld¬ herrn an der Ausführung feiner Maßnahmen zu hindern gesucht. Er hatte Einspruch erhoben, als Blücher der Stadt Paris eine Kriegskontribution von hundert Millionen Franken auferlegen wollte, er hatte die Sprengung der Brücke von Jena verhindert und sich, diesmal freilich vergeblich, der Ein¬ quartierung der deutschen Truppen in Paris widersetzt. Er war sogar so weit gegangen, zu erklären, die großen Erfolge der Verbündeten und seine eigenen wären nur deshalb möglich gewesen, weil die Franzosen im allgemeinen ihre Sache unterstützt hätten. Natürlich war es nicht triefender Edelmut, der Wellington, ein Schüler der indischen Politik, dazu trieb, die Sache Frankreichs so warm zu vertreten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/124>, abgerufen am 23.07.2024.